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Russlands Modernisierung birgt Risiken und Chancen

Die Lichter Moskaus verlocken Schweizer Unternehmen. Reuters

Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann reist zu einem offiziellen Besuch nach Russland. Ziel der Wirtschaftsmission ist es, den Weg zur Intensivierung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen weiter zu ebnen.

Zu den Schwerpunkten des viertägigen Besuchs gehören Gespräche mit Russlands Präsident Dimitri Medwedew zum Stand der Verhandlungen über das angestrebte Freihandelsabkommen sowie eine Bekräftigung der Rolle der Schweiz bei der wirtschaftlichen Modernisierung Russlands.

Schweizer Unternehmen sehen Russland als wichtigen Markt: Wegen seiner Grösse (142 Millionen Einwohner) einerseits und dem dringenden Bedarf, die Infrastruktur des Landes zu erneuern, vor allem im Bereich der Energieproduktion.

Dazu kommt, dass die Schweiz seit 2006 eine Strategie verfolgt, die der intensiven Entwicklung wirtschaftlicher Beziehungen mit den BRIC-Staaten, zu denen auch Russland zählt, Priorität einräumt.

Im November letzten Jahres wurden zudem die Verhandlungen der Europäischen Freihandels-Assoziation (EFTA) für ein Freihandels-Abkommen mit der Zollunion Russland, Weissrussland und Kasachstan offiziell lanciert.

“Enormes Potential”

Der Schweizer Urs-Peter Wepfer gilt als Experte des russischen Markts. Wepfer ist der Chef des Beratungs- und Logistik-Unternehmens United Machinery, das seit 1999 in Russland tätig ist.

Wepfer glaubt, dass Schweizer Firmen von den Bemühungen Russlands zur Modernisierung der massiven Energieindustrie, aber auch der Strassen, Eisenbahnen und Häfen profitieren könnten. Dazu kommt, dass sich Russland auf die Durchführung der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi, die Eishockey-Weltmeisterschaft 2016 und die Fussball-Weltmeisterschaft 2018 vorbereitet.

“Für ausländische Investoren und Exporteure besteht ein enormes Potential, denn ein Grossteil der Modernisierung der Infrastruktur wird von der russischen Regierung unterstützt”, erklärt Wepfer im Gespräch mit swissinfo.ch.

“Es gibt Bedarf für beste Qualität, sei es für Einrichtungen oder beim Know-how von High-Tech-Komponenten oder Präzisionsinstrumenten, beim Maschinen- und Anlagenbau sowie bei Eisenbahnen.”

Schweizer Konstruktions-Wissen sei auch daher gefragt, weil die Schweiz mit Problemen Erfahrungen habe, die sich aufgrund ähnlicher topographischer und klimatischer Bedingungen stellten.

Grosses Business

Schon heute sind grosse Schweizer Firmen in Russland etabliert. Der Zementriese Holcim wird nächste Woche in der Umgebung Moskaus eine neue Fabrik in Betrieb nehmen, Novartis wird in den nächsten fünf Jahren 420 Mio. Franken in die Entwicklung des Markts investieren, und Sulzer hatte im vergangenen Jahr eine Fabrik seiner Division Chemtech ausgebaut.

Sulzer Industriepumpen und Oerlikon Solar haben ihrerseits auf dem russischen Markt zugelegt, seit sie übernommen wurden von der Renova von Viktor Vekselberg, einem in der Schweiz ansässigen russischen Milliardär.

Um eine Präsenz im harten russischen Markt zu etablieren, brauche es viel Zeit, Durchhaltevermögen und die richtige Strategie, sagt Wladimir Kuznetsow, Stellvertreter Vekselbergs bei der Renova und Mitglied im Vorstand von Sulzer, gegenüber swissinfo.ch.

“Russland ist ein riesiger Markt, aber es gibt kein einfach verdientes Geld”, erklärt Kuznetsow. “Es gibt keinen magischen Schlüssel, der die Türen öffnet, auf Seite der ausländischen Firmen braucht es ein echtes Engagement.”

Man müsse mit grundlegenden Dingen beginnen. Dazu gehörten Leute in der Firma mit Russischkenntnissen sowie die Ausbildung des lokalen Personals für die Installation und den Unterhalt des Produkts. Und dazu ein Backup mit Produktions- und Service-Zentren in Russland selber.

Problem der Korruption

Erfahrene Beobachter wie Urs-Peter Wepfer gehen davon aus, dass Neueinsteiger im russischen Markt etwa zwei Jahre Zeit und rund eine halbe Million Franken investieren müssen, bevor sie Gewinne einfahren können. Fachleute raten Unternehmen auch, einen Ausstiegsplan zu haben, um weitere Verluste zu verhindern, falls ihre Strategie nach drei Jahren noch nicht aufgegangen ist.

Ein ernsthaftes Hindernis ist in Russland zudem die Korruption. Trotz Bemühungen, solchen Missbrauch auszumerzen, sowie Plänen, den Einfluss von Regierungsbeamten in Unternehmen zurückzubinden, figurierte Russland 2010 auf dem Korruptions-Index der Organisation Transparency International auf Platz 154 von 178 Ländern (wobei 178 die grösste Korruption bezeichnet).

Ungeachtet solcher Risiken begleitet eine Delegation von Schweizer Wirtschaftsvertretern aus rund 20 Unternehmen Bundesrat Schneider-Ammann auf seiner Wirtschaftsmission, die am Sonntag mit dem Flug nach Moskau beginnt.

Zum Programm der Reise gehören auch aktuelle Informationen zur Unterstützung der Modernisierung Russlands durch die Schweiz. So helfen der Technopark und die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich Russland bei der Einrichtung eines Vorzeigeprojekts. In Skolkovo in der Nähe Moskaus soll eine Art “Silicon Valley” entstehen, ein Zentrum für innovative neue Technologien.

Abschluss mit Medwedew

Bei einem Besuch der damalige Wirtschaftsministerin Doris Leuthard im vergangenen Jahr in Russland hatten die beiden Staaten einen 2008 unterzeichneten Aktionsplan zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit um weitere drei Jahre bis Ende 2013 verlängert und ausgeweitet.

Bei seinem Besuch werden Schneider-Ammann und seine russische Amtskollegin Elvira Nabiullina nun eine weitere Erklärung über die Zusammenarbeit bei der wirtschaftlichen Modernisierung unterzeichnen.

Abgerundet wird der Russland-Besuch Schneider-Ammanns mit einer Teilnahme an einem Treffen der diesjährigen Bundespräsidentin und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey mit Präsident Dimitri Medwedew.

Bereits im 18. Jahrhundert gab es intensive Kontakte zwischen den beiden Ländern. Und im 19. Jahrhundert gehörte Russland zu den Grossmächten, welche die Neutralität der Schweiz garantierten.

Vor allem im 19. und im frühen 20. Jahrhundert zog die Schweiz Kunstschaffende, Studierende sowie Dissidenten aus Russland an, darunter Lenin, der einige Jahre im Exil in der Schweiz verbrachte.

Im Zug der Wirren nach der Revolution von 1917 in Russland wurden die diplomatischen Beziehungen 1923 abgebrochen und erst 1946 wieder aufgenommen.

Nach dem Ende des Kalten Kriegs wurden die gegenseitigen Beziehungen rasch intensiviert. In der Zeit zwischen den späten 1990er-Jahren und 2007 war das Verhältnis aufgrund verschiedener Ereignisse etwas getrübt. Dazu gehörte der Zusammenstoss von zwei Flugzeugen bei Überlingen in dem von der Schweiz kontrolliertem Luftraum, wobei 71 Menschen umgekommen waren, vor allem russische Kinder.

Auch die Festnahme des ehemaligen russischen Atomministers Jewgeni Adamow 2005 in Bern und der Gerichtsentscheid, diesen an die USA auszuliefern, hatten für Unmut gesorgt. Schliesslich wurde Adamow nach Russland ausgeliefert.

Russland war auch nicht erbaut, als in der Schweiz Anklage erhoben wurde gegen Viktor Vekselberg wegen mutmasslichen Verstosses gegen das Börsengesetz 2008. Im letzten Jahr war der russische Milliardär dann vor Gericht freigesprochen worden.

In den letzten Jahren haben sich die diplomatischen Beziehungen vertieft: Die Schweiz vertritt seit dem kurzem Krieg von 2008 die russischen Interessen in Georgien und die georgischen Interessen in Russland.

Die Schweiz spielt zudem eine Vermittlerrolle bei den Bemühungen Russlands für einen Beitritt zur Welthandels-Organisation WTO.

Nach der jüngsten Finanzkrise von 2008, die Russland hart getroffen hatte, nahm der Handel zwischen der Schweiz und Russland zu.

Die Exporte aus der Schweiz nach Russland erhöhten sich 2010 um 26% auf 2,6 Mrd. Franken. Die Importe aus Russland in die Schweiz beliefen sich im selben Zeitraum auf 1 Mrd. Franken (+41%).

Die Schweizer Direktinvestitionen in Russland lagen Ende 2009 bei 6,2 Mrd. Franken; im selben Zeitraum beschäftigten Schweizer Firmen in Russland 75’000 Angestellte.

Als Mitglied der Europäischen Freihandels-Assoziation ist die Schweiz an den Verhandlungen für ein Freihandels-Abkommen mit der Zollunion Russland, Weissrussland, Kasachstan beteiligt.

Ein dreijähriger Aktionsplan zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Russland war 2010 um drei Jahre bis Ende 2013 verlängert und ausgeweitet worden. 

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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