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Schlingensiefs “Hamlet” – Skandal oder Schattenboxen?

Skinheads und Neo-Nazis: Kontroverse um den neuen "Hamlet". Keystone

Die deutschsprachige Theaterwelt blickt mit angehaltenem Atem nach Zürich: Am Donnerstagabend hat Schlingensiefs "Hamlet" Premiere. Die Chronologie einer nebulösen und Skandal-trächtigen Vorankündung.

Christoph Schlingensief mag Alpenländer und die Alpenländer ihn. Noch bevor der Apothekersohn an den letztjährigen Wiener Festwochen die Republik Österreich mit seiner Container-Kampagne “Ausländer raus” aufmischte, hatte ihn Christoph Marthaler bereits zum “Hamlet” in Zürich aufgeboten. Nach dieser Ankündigung im Mai 2000 hörte man lange nicht viel.

Die Debatte rollt an

Am 8. Februar dieses Jahres eröffnete die SVP das Scharmützel mit der Anfrage an den Zürcher Stadtrat, was gegen allfällige antisemitische Ausschreitungen anlässlich des “Hamlet” vorgekehrt werde.

Der 40-jährige Regisseur und Mediendompteur hatte zu diesem Zeitpunkt laut eigenen Angaben das Shakespeare-Stück noch gar nicht gelesen. Dies holte er Mitte März nach. Anfang April begannen erste Proben und Schlingensief machte in einer deutschen Talk-Show seinen Plan publik, “aussteigewillige Neo-Nazis” als Schauspieler anzuheuern.

Grosse Beachtung im Voraus

Mittlerweile war die Kunde, dass Schlingensief ernüchterte Skins theatralisch eingliedern wollte, auch über interessierte Kreise hinausgedrungen. Die Laien sollten in der “Mausefalle” eingesetzt werden, jener Szene also, in der ein kleines Theaterstück Hamlets Stiefvater Claudius des Mordes überführt. Die Laien-Rollen wurden im Internet auf einer eigens geschaffenen Website ausgeschrieben.

Eine Woche nach Probenbeginn, als das Stück noch kaum zu Faden geschlagen war, erhielt Schlingensiefs “Mausefalle” die begehrte Einladung ans Berliner Theatertreffen. Es war dies das erste Mal, dass eine Inszenierung berufen wurde, die noch niemand gesehen hatte.

Die Werbe-Tour

Ein paar Tage darauf begann Schlingensief mit seinem Ensemble eine aufsehenerregende Werbetour. Die Methoden, die bei dieser Aktion zur Anwendung gelangten, waren erneut ungewöhnlich: Während Trottoir-Auftritten rief Schlingensief nacheinander zum Verbot der SVP, des Schlittschuh-Clubs ZSC Lions und der Subventionen für das Schauspielhaus auf.

Christoph Marthaler, der künstlerische Direktor des Schauspielhauses, verwies bei Anfragen irritierter Bürgerinnen und Bürger stets auf die Narrrenfreiheit des ungewöhnlichen Theatermachers. Der Verwaltungsrat des Schauspielhauses wiederum distanzierte sich vorsichtshalber.

Die “Schangse auszusteigen”

Am 3. Mai – eine Woche vor der Premiere – trafen die sieben Skinheads aus Deutschland in Zürich ein. Sie bekamen einen grossen Bahnhof. Einer der kahlrasierten Ankömmlinge sprach bei dieser Gelegenheit einen artigen Dank für die “Schangse auszusteigen” ins Mikrofon.

In der Folge nahm sich Schlingensief neben den Probearbeiten immer wieder Zeit für Sightseeing-Touren mit seinen Schützlingen. Ein Ausflugsziel bildete etwa Christoph Blochers Villa in Herrliberg.

swissinfo und Irene Widmer (sfd)

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