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NSA-Skandal: “Schweiz muss Datenschutz verschärfen”

Thür ist überrascht über die weitverbreitete Gleichgültigkeit der Bürger gegenüber dem NSA-Skandal. Keystone

Die Schweiz und Europa müssten nach der Spionage-Affäre durch die USA ihre Datenschutzgesetze ausbauen, sagt der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür. Zudem seien klarere Richtlinien für multinationale Unternehmen nötig, die in der Schweiz tätig sein wollten.

Die Enthüllungen des früheren Mitarbeiters des amerikanischen Geheimdienstes NSA Edward Snowden über das Ausmass von Abhöraktionen durch die Geheimdienste der USA und Grossbritanniens sowie deren Partner sorgen in Europa weiterhin für Empörung. Sie lösten auch eine weltweite Debatte über Datenschutz und die Grenzen von Spionagetätigkeiten aus.

Auch die Schweiz wurde in die Kontroverse hineingezogen (s. Infobox). Die Regierung hat eine Untersuchung zu den angeblichen US-Spionageaktivitäten in der Schweiz eingeleitet. Dabei wurden Fragen zu einer möglichen Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der NSA aufgeworfen. Verteidigungsminister Ueli Maurer sagte jedoch, dass die Schweizer Regierung nie in Kontakt mit der NSA stand. Spekulationen über den Austausch von Daten mit dem US-Geheimdienst wies er zurück.

swissinfo.ch: Was beunruhigt Sie am meisten in Bezug auf die Überwachungsaktivitäten der NSA?

Hanspeter Thür: Natürlich diese fast flächendeckenden, weltumspannenden Überwachungen aller Kommunikationsmittel wie Telefon und E-Mail.

Es ist aber nicht nur eine Geschichte der US-Behörden. Es hat sich gezeigt, dass auch andere ausländische Geheimdienste mit ähnlichen Mitteln operieren. So gesehen ist es sehr beunruhigend, wie nun die technischen Mittel, die immer raffinierter werden, umfassend eingesetzt werden, um die Bürgerinnen und Bürger zu beschnüffeln.

Der Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür hat seit den Berichten über die Aktivitäten amerikanischer Nachrichtendienste ein Umdenken in Schweizer Unternehmen festgestellt. Er habe Kenntnis von Krisensitzungen in einzelnen Unternehmen, sagte Thür am 8. November gegenüber Radio SRF. Um dem Diebstahl von Daten vorzubeugen, würden auch ” USB-Ports verschlossen”, sagte Thür.

In einem Interview mit dem St. Galler Tagblatt und der Neuen Luzerner Zeitung zeigte sich der Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter “wenig überrascht” über das Ausmass der US-Aktivitäten. Den Vorschlag einzelner Parlamentarier, dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden in der Schweiz Asyl zu gewähren, wies Burkhalter zurück.

Allenfalls müsse die Schweiz ihre nationale Cyberstrategie auf das internationale Genf erweitern, sagte Burkhalter. Ende Oktober hatte das deutsche Wochenmagazin Der Spiegel behauptet, die NSA betreibe in der US-Botschaft in Genf eine Abhöranlage. Dazu Aussenminister Burkhalter: “Kann man wirklich überrascht sein, dass einige Länder Abhörstationen oder ähnliche Einrichtungen betreiben?”

swissinfo.ch: Laut der Zeitung El Mundo hat die NSA mit Hilfe des spanischen Geheimdienstes in einem Monat 60 Millionen Telefonate von spanischen Bürgerinnen und Bürgern aufgezeichnet. Es gibt Berichte über ähnliche Aktivitäten in Frankreich, Deutschland und Italien. Könnte es bald auch ähnliche Schlagzeilen in der Schweiz geben?

H.T.: Das kann ich nicht ausschliessen, aber ich weiss es schlicht nicht. Was man weiss, ist, dass die Geheimdienste zusammenarbeiten. Ich wäre erstaunt, wenn nicht auch Schweizer Geheimdienste eine solche Zusammenarbeit mit der NSA praktizierten.

Die Frage ist, was sie in diesem Austausch genau machen und ob die Schweizer Geheimdienste dabei auch illegal vorgingen oder ob sie in dem Rahmen handeln, den unser Gesetz erlaubt. Das kann ich nicht beurteilen. Das müsste die parlamentarische Geschäftsprüfungs-Delegation untersuchen, welche die Befugnis hat, die Geheimdienste näher zu kontrollieren.

Geheimdienste machen seit jeher, was möglich ist und kümmern sich kaum darum, was erlaubt ist – solange sie dabei nicht erwischt werden.

Keystone

swissinfo.ch: In der Oktoberausgabe der Zeitschrift Schweizer Monat zeigten Sie sich erstaunt darüber, dass Politiker und Bürger gegenüber dem Abhörskandal weitgehend gleichgültig bleiben. Wie ist das zu erklären?

H.T.: Ich bin nicht sicher, was da vor sich geht. Ist es eine Art Lähmung angesichts der Ohnmacht, etwas dagegen zu tun, oder ist es Gleichgültigkeit? Ich stelle einfach fest, dass es auf Bürgerebene relativ wenig Initiativen gibt.

Aber auch wenn der Normalbürger XY für die Geheimdienste vielleicht nicht so interessant ist, leben wir doch in einer Demokratie und müssten uns dafür interessieren, ob Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft auf diese Weise abgehört werden. Es ist möglich, dass damit ein demokratisches System, wie wir es in der Schweiz haben, unterminiert wird.

Wir sehen auf der anderen Seite auch eine Verunsicherung, vor allem in der Wirtschaft, aber auch in der Politik und in der Verwaltung. Die Frage ist, was ist unter diesen Umständen noch möglich? Was soll und kann man noch tun?

Vielleicht ist die ganze Sache einfach zu abstrakt und zu weit weg vom Alltag. Denn was kümmert es mich, wenn Bundeskanzlerin Merkel abgehört wird? Vielleicht hat man sich auch noch nicht alle Konsequenzen überlegt und was das alles bedeutet. Ich schliesse aber nicht aus, dass es später noch zu einer Reaktion von Seiten der Bevölkerung kommen könnte.

Der Geheimdienst-Skandal ist durch die Enthüllungen von Edward Snowden, Ex-Mitarbeiter von CIA und NSA, geplatzt. Er hatte im Juni zahlreiche Einzelheiten über die geheimen Programme zur amerikanischen und britischen Massenüberwachung aufgedeckt.

Von März 2007 bis Februar 2009 hatte Snowden auch in der US-Vertretung in Genf gearbeitet. Während seines Aufenthalts in der Schweiz soll er bei der Anwerbung eines Bankiers zum Informanten beteiligt gewesen sein.

Nach diesen Enthüllungen verlangte die Schweizer Regierung von Washington Aufklärungen zu diesen angeblichen Spionagevorfällen.

Im September verurteilte der Bundesrat die Spionagetätigkeiten ausländischer Geheimdienste auf Schweizer Boden und eröffnete eine Untersuchung.

Ende Oktober bestätigte der Schweizer Verteidigungsminister und Bundespräsident Ueli Maurer, dass die Schweiz nie Kontakt zur NSA hatte und ihr keine Daten geliefert habe. Die Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten habe sich auf den Kampf gegen den Terrorismus beschränkt.


Gleichentags veröffentlichte die spanische Tageszeitung El Mundo ein Dokument mit einer Liste von Ländern, die mit den USA und der NSA zusammengearbeitet haben.

Grossbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland zählten zu jenen Ländern, die sehr aktiv waren. Die Schweiz figuriert in einer zweiten Gruppe zusammen mit 18 weiteren Staaten.

swissinfo.ch: Die EU will bei den Verhandlungen mit den USA über ein Freihandelsabkommen auf einen besseren Datenschutz drängen. Sie hat für die Verhandlungen ein paar Trümpfe in der Hand. So könnte sie das Safe-Harbour-Abkommen suspendieren oder von den USA verlangen, dass Verstösse gegen Datenschutzregeln härter bestraft werden. Wie soll man vorgehen, um Daten künftig besser zu schützen?

H.T.: Die Aufkündigung des Safe-Harbour-Abkommens haben wir uns auch überlegt. Das würde für die Firmen bedeuten, dass sie noch weniger Richtlinien haben, die ihnen einen Datenaustausch mit den USA ermöglichen. Wir sind skeptisch, ob das wirklich eine gute Idee ist.

Wir müssen – und das betrifft sowohl die Schweiz wie auch Europa – unsere Gesetze verschärfen. Für multinationale Unternehmen, die in unserem Rechtsraum tätig werden wollen, müssen wir klarere Richtlinien aufstellen.

Die Schweiz ist als kleines Land, das nicht zur EU gehört, darauf angewiesen, dass das im europäischen Kontext geschieht. Wir müssen versuchen, im Gleichschritt zu tun, was europäisch möglich ist. Wir hoffen, dass diese Schritte gegenüber den USA so durchgesetzt werden können.

Wenn die EU im Bereich des Datenschutzes weitere Verschärfungen vornimmt, auch wenn noch nicht klar ist, wie bedeutend und wie rasch diese umgesetzt werden, wird das Konsequenzen für die Schweiz haben. Wir werden dann neu prüfen müssen, ob wir die Anforderungen erfüllen und unsere Gesetzgebung vergleichbar ist. Wenn nicht, dann müssen wir unser Gesetz anpassen.

swissinfo.ch: Ist die Privatsphäre bald nur noch Vergangenheit?

H.T.: Man muss wissen, dass die technische Entwicklung – und dies hat das Beispiel des NSA eindrücklich gezeigt – eine grosse Gefährdung für die Privatsphäre bedeutet. Die Frage ist, ob wir in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft es schaffen, den Einsatz dieser Technologien so in den Griff zu kriegen, dass damit kein Unfug getrieben wird.

Es geht darum, die Anwendung dieser Technologien zu kontrollieren, und dazu muss auf verschiedenen Ebenen interveniert werden.

Ein wichtiger Teil ist die Selbstverantwortung – aber das genügt eben nicht. Es braucht auch einen gesetzlichen Rahmen und vor allem Sanktionen, damit klar feststeht, was geschieht, wenn Verstösse gegen den Datenschutz passieren. Heute ist es ein Kavaliersdelikt, und man drückt die Augen zu.

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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