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Schweiz aus Prinzip gegen Todesstrafe

Todeskammer im Gefängnis von Huntsville in Texas. AFP

In Texas, USA, ist am Mittwoch der 400. Gefangene seit Wiedereinführung der Todesstrafe hingerichtet worden. Die Europäische Union protestiert, die Schweiz verurteilt die Todesstrafe aus Prinzip.

Wie in der EU ist die Todesstrafe auch in der Schweiz abgeschafft. Im Herbst soll an der UNO-Generalversammlung ein Moratorium erörtert werden.

Die erste Injektion betäubt, die zweite lähmt die Muskeln, die dritte führt zum Herzstillstand. Nach acht Minuten wird der 32-jährige Johnny Conner für tot erklärt. Es ist 18 Uhr 20 an diesem Mittwoch im Gefängnis von Huntsville in Texas (1 Uhr 20 in der Schweiz).

Am 17. Mai 1998 hatte der junge Schwarze die Kassiererin einer Tankstelle überfallen und getötet. Am Prozess brauchte die Jury weniger als eine Stunde, um ihn für schuldig zu erklären und weniger als fünf, um ihn zum Tod zu verurteilen.

Mit Johnny Conner wurde in den USA der 400. Gefangene seit Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 hingerichtet. Seither fand ein Drittel aller Hinrichtungen in den USA in Texas statt.

Texaner lassen sich nicht dreinreden

Während die Öffentlichkeit in den USA die Hinrichtung nicht weiter beachtete, ergriffen die 27 EU-Staaten die Gelegenheit, ihre vorbehaltlose Opposition in Erinnerung zu rufen und den Gouverneur von Texas aufzufordern, ein Moratorium in Betracht zu ziehen.

Die Antwort kam umgehend über seine Internet-Site: “Die Texaner haben vor langem entschieden, dass die Todesstrafe eine gerechte und angemessene Bestrafung für die allerschrecklichsten Verbrechen ist.” Sie respektierten ihre Freunde in Europa, kämen aber beim Regieren von Texas gut allein zurecht.

Und die Schweiz?

“Die Schweiz kann nicht bei jeder Hinrichtung in den USA die Stimme erheben, denn es gibt viele”, sagt Manon Schick, Sprecherin der Sektion Schweiz von Amnesty International. Und erinnert daran, dass China mit 8000 Hinrichtungen im Jahr die USA bei weitem übertreffe.

“Doch wir erwarten von der Schweiz eine strenge Haltung, wenn die Generalversammlung der UNO im Oktober ein Moratorium zur Todesstrafe diskutieren wird”, ergänzt Manon Schick.

Amnesty meint, dass die Schweiz ihre besonderen Beziehungen zu gewissen afrikanischen und asiatischen Staaten nutzen sollte, um diese für ein Moratorium zu gewinnen.

Die Sprecherin des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Carine Carey, erinnert an eine Aussage der Aussenministerin Micheline Calmy-Rey anlässlich des Weltkongresses gegen die Todesstrafe im Februar in Paris: “Das Recht auf Leben ist das Grundrecht der Menschheit” und “die Todesstrafe ist unmenschlich und muss abgeschafft werden”.

Doch kann die EDA-Sprecherin im Moment nicht sagen, welche Position die Schweiz vor den Vereinten Nationen vertreten wird.

Auch Unschuldige sterben

Jacques Secretan braucht sich nicht hinter diplomatischer Diskretion zu verstecken. Der Westschweizer Journalist, überzeugter Gegner der Todesstrafe, Gründer der Vereinigung “Vie en jeu”, ist Autor eines Buches und eines Films über die zum Tod verurteilten Amerikaner.

Nach seinem Kampf für Jaime Elizalde, der im Januar 2006 hingerichtet wurde, arbeitet Secretan an einem neuen Dokumentarfilm über Debra Jane Milke, die für ein Verbrechen zum Tode verurteilt wurde, das sie offenkundig gar nicht begangen hatte.

Für den Journalisten ist die Frage der unschuldig Verurteilten noch zu wenig diskutiert, besonders in den USA, wo “sich die meisten Leute gar nicht vorstellen können, dass so etwas möglich ist”.

“Es ist erschreckend zu sehen, wie viele Fälle von der Polizei oder der Justiz absolut unprofessionell behandelt wurden und zu Todesstrafen führten”, sagt Secretan.

Denn die Hauptsache sei nicht, einen Schuldigen zu haben, sondern eine Person, die als schuldig akzeptiert würde, ergänzt der Journalist. Nur um zu demonstrieren, dass man das Verbrechen im Griff habe.

Bis heute wurden 130 zum Tod verurteilte Amerikaner in letzter Instanz für unschuldig erklärt. “Bei etwas weniger als 1100 Hinrichtungen heisst das mehr als ein Unschuldiger auf zehn. Das ist schwerwiegend”, betont Secretan.

swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Susanne Schanda)

130 Länder haben die Todesstrafe abgeschafft oder wenden sie nicht mehr an. 67 Länder wenden sie an.

2006 zählte Amnesty International 1591 Hinrichtungen in 25 Ländern und 3861 Todesurteile in 55 Ländern.

Der Grossteil aller Hinrichtungen (91%) findet in sechs Ländern statt: in China, Iran, Pakistan, Irak, Sudan und den USA.

Für China hat Amnesty im letzten Jahr 1010 Exekutionen belegen können, schätzt die Zahl jedoch auf bis zu 8000.

Nach heftigen Debatten beschliesst das Parlament 1937, die Todesstrafe abzuschaffen.

Die Revision des Strafgesetzes wird von einem Referendum bekämpft, 1938 aber von 53,5% der Stimmberechtigten angenommen. Die Abschaffung tritt 1942 in Kraft.

Die letzte Hinrichtung für ein ziviles Verbrechen – einen Dreifachmord – findet 1940 in Sarnen im Kanton Obwalden statt.

Die Todesstrafe wird allerdings im Militärstrafgesetz beibehalten. Im Zweiten Weltkrieg werden 30 Schweizer Soldaten verurteilt – 17 von ihnen auch hingerichtet.

Erst 1992 hat das Parlament diese militärische Ausnahme abgeschafft.

Artikel 10 der Bundesverfassung beginnt mit den Worten: “Jedes menschliche Wesen hat ein Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist untersagt.”

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