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Das Recht als Stolperstein für die Pressefreiheit

Credit Suisse
Die Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz. Internationale Medien machten publik, dass die Grossbank Kriminellen half, Gelder zu verstecken. Schweizer Journalist:innen machten bei der Recherche nicht mit, aus Angst, im Gefängnis zu landen. © Keystone / Walter Bieri

Die Schweiz habe für die Banken- und Finanzindustrie einen juristischen Schutzwall gegen unliebsame Recherchen gebaut, sagt ein bekannter Schweizer Investigativjournalist.

Die Uno-Sonderberichterstatterin Irene Khan kritisiert die Schweiz für die Verletzung der Pressefreiheit, im Ranking von “Reporter ohne Grenzen” ist das Land abgerutscht und auch sonst gibt es negative Presse bezüglich Medienfreiheit.

Was ist da los? Wir haben mit dem Juristen, Investigativ-Journalisten und Chefredaktor eines bekannten schweizerischen Nachrichten- und Konsumentenmagazins, Dominique Strebel, gesprochen.

Dominique Strebel ist Jurist und Journalist. Er arbeitete als SRF-Bundesgerichtskorrespondent, Redaktor der Zeitschriften Beobachter und plädoyer, als Journalist bei “NZZ am Sonntag”, “Tages-Anzeiger” und der Republik. Heute ist er Chefredaktor des Nachrichten- und Konsumentenmagazins Beobachter, Blogger, Medienrechtler, Recherchetrainer und Dozent an der Schweizer Journalistenschule MAZ.

swissinfo.ch: Die Schweiz sorgt in letzter Zeit bezüglich Medienfreiheit für negative Presse.

Dominique Strebel: Ich habe das Gefühl, dass die Schweiz rund um die Banken- und Finanzindustrie einen Schutzwall gebaut hat vor unliebsamer Recherche.

Im Jahr 2015 wurden zwei Gesetze mit einem gleichlautenden PassusExterner Link ergänzt, der bereits die Mitarbeit bei einer Recherche betreffend Informationen, die dem Bankgeheimnis unterstehen, für strafbar erklärt.

Auch hat der Quellenschutz in der Schweiz schwere Schlagseite zugunsten der Finanz- und Bankenindustrie: Nicht nur bei Mord und Totschlag müssen Medienschaffende ihre Quelle preisgeben, sondern auch bei Geldwäscherei. Jede Quelle, die Informationen zu Geldwäscherei weitergibt, muss also damit rechnen, dass ein Journalist oder eine Journalistin ihren Namen gegenüber der Staatsanwaltschaft offenbaren muss, wenn die Informationen dem Bankgeheimnis unterstehen.

Das zeigt, dass die Banken- und Finanzindustrie – beziehungsweise das Parlament – den Medien in der Schweiz einen Maulkorb verpassen.

Ist dieser restriktive Umgang mit Medien etwas typisch Schweizerisches?

Ich habe nicht den Überblick über alle Länder. Aber der Umgang mit Whistleblowern etwa ist im angelsächsischen Raum ein anderer als in der Schweiz, die werden teilweise sogar entlöhnt, wenn sie Informationen öffentlich machen.

Und in Deutschland gibt es keine solche Regel wie im schweizerischen Bankenrecht, dass die Weitergabe von Informationen, die dem Bankgeheimnis unterstehen, strafbar ist. Das zeigte sich bei den Recherchen rund um Suisse Secrets, wo deutsche Journalisten und Journalistinnen diese Arbeit machen konnten und die schweizerischen eben nicht, weil sie sich strafbar gemacht hätten.

Im Februar 2022 machten Medien in einer internationalen Zusammenarbeit gestützt auf geleakte Bankdaten publik, dass die Schweizer Grossbank Credit Suisse jahrzehntelang Kriminellen und Diktatoren half, ihre Gelder zu verstecken. Mehr dazu im Themenschwerpunkt der schweizerischen NGO Public EyeExterner Link, die u. a. gegen Korruption kämpft.

Im Schweizer Strafgesetzbuch fehlt ein Artikel, wonach die Wahrung berechtigter öffentlicher Interessen ähnlich wie Notwehr oder Notstand ein Rechtfertigungsgrund sein kann. Das führt zu Fällen wie jener einer Lokaljournalistin, die wegen Hausfriedensbruch erst- und zweitinstanzlich verurteilt wurde, weil sie für eine Reportage ein besetztes Haus betreten hatte. Erst vom Bundesgericht wurde sie freigesprochen – aber wegen mangelnden Vorsatzes. Ein klassischer Ausweg bei stossendem Resultat. Aber unbefriedigend für den Journalismus, weil das Signal bleibt: Recherchiert nicht auf besetzten Grundstücken.

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Im Moment ist ein solcher Rechtfertigungsgrund nur bei einzelnen Tatbeständen vorgesehen. Die Gerichte füllen die Lücke zuweilen, sind aber sehr zurückhaltend. Dabei müssten sie die Abwägung zwischen Medienfreiheit und Strafverfolgungsinteresse bereits heute immer vornehmen. Doch verschiedene neue Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zeigen, dass Schweizer Gerichte dies ungenügend tun.

Wenn es im allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches einen solchen Artikel gäbe, könnten Journalist:innen vor Gericht argumentieren, der Tatbestand der Bankgeheimnisverletzung sei zwar erfüllt, aber ihr Handeln sei gerechtfertigt, weil sie im öffentlichen Interesse gehandelt hätten. Dann müssten die Gerichte im Einzelfall den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter öffentlicher Interessen zwingend prüfen, und würden dies nicht nur unvollständig und zurückhaltend tun, wenn sie zwischen der Medienfreiheit und dem Strafverfolgungsinteresse abwägen. Das entspräche dem, was die Uno-Sonderberichterstatterin Irene Khan von der Schweiz verlangt.

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Haben Sie bei Ihrer Arbeit auch das Gefühl, immer mit einem Bein bereits im Gefängnis zu stehen?

(lacht) Das finde ich übertrieben. Was mir aber zu denken gibt: Das Bundesgericht ist vor allem auf der Ebene der Recherchetechniken sehr restriktiv. Wir müssen unsere Medienfreiheit immer wieder in Strassburg vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof erkämpfen.

Ein Beispiel zum Quellenschutz: Eine Journalistin der Basler Zeitung berichtete über einen Cannabis-Händler. Die Staatsanwaltschaft verlangte daraufhin von ihr die Bekanntgabe des Namens dieses Händlers, weil im Schweizer Gesetz eine Ausnahme zum Quellenschutz bei Drogenhandel vorgesehen ist, wenn ein Gewinn von über 10’000 Franken erzielt wird. Erst das Gericht in Strassburg gab der Journalistin recht und sagte, es sei nicht menschenrechtskonform, Medienschaffenden den Quellenschutz zu verwehren. Das Strafverfolgungsinteresse rechtfertige bei einem solchen Bagatellfall den Eingriff in die Medienfreiheit nicht.

Auch bei der versteckten Kamera hat Strassburg das schweizerische Bundesgericht zurückgepfiffen. Bei der Vorratsdatenspeicherung warten wir aktuell auf ein Urteil. Konkret geht es darum, dass die Strafverfolgungsbehörden während sechs Monaten Einblick in Mobilfunkdaten auch von Medienschaffenden haben. Sie sehen also, wer mit wem Kontakt hatte, was den Quellenschutz digital unterläuft.

Im Bereich von Recherchen misstrauen die Schweizer Gerichte wichtigen Recherchemethoden, die nun mal gewisse Grundsätze wie Treu und Glauben ritzen, aber notwendig sind. Sprich Whistleblower, versteckte Kamera und verdeckte Recherche, da haben Gerichte in der Schweiz Hemmungen, was dazu führt, dass Strassburg immer wieder korrigierend eingreifen muss.

Ist das eine Frage der Mentalität?

Ich weiss nicht, ob es eine Mentalitätsfrage ist, wohl eher eine Rechtstradition. Früher waren die Gerichte auch sehr restriktiv, was die Herausgabe von geheimen Dokumenten aus der Verwaltung betrifft. Da ist der Staat in sich befangen, weil er Informationen über die eigene Tätigkeit geheim halten will.

Es hat etwas Paternalistisches. Man hat das Gefühl, es dürfe den Journalist:innen schon gar nicht erst in die Hände geraten. Man traut den Journalist:innen nicht, dass sie selber beurteilen können, ob sie etwas veröffentlichen dürfen oder nicht. Und man traut der eigenen Gesetzgebung nicht – dass also der straf- und zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz und der Schutz gegen unlauteren Wettbewerb genügt.

Was sind in Ihrer alltäglichen Arbeit als investigativer Journalist die grössten rechtlichen Stolpersteine?

Zum einen bin ich häufig mit Löschungsbegehren konfrontiert. Es berufen sich also Leute auf ihre Persönlichkeitsrechte, im Besonderen auf das Recht auf Vergessen. Diesen muss man zuweilen klarmachen, dass ein Artikel zu Recht eine gewisse Zeit inklusive Namensnennung online bleibt. Zum Beispiel, wenn jemand eine Fehlleistung begangen hat, vor der man die Leute warnen muss, dann besteht ein öffentliches Interesse.

Mir ist bewusst, dass die ewige Verfügbarkeit von Texten ein Quantensprung ist gegenüber früher, als man ins Archiv steigen musste, um einen Artikel zu lesen. Wie man die Persönlichkeitsrechte wahren kann, ohne die journalistische Arbeit zu behindern, das ist noch eine offene Frage und da erlebe ich Herausforderungen.

Löschungsbegehren erlebe ich also am häufigsten, gefolgt von Gegendarstellungsbegehren. Und man muss sich gut überlegen, wann man einen Namen nennt. Man muss sich bei jeder Entscheidung überlegen, ob das vor Gericht standhält.

Sind Persönlichkeitsrechte in der Schweiz besonders gut geschützt?

Das empfinde ich nicht so, jedenfalls nicht im Vergleich zu Deutschland und Österreich. Im angelsächsischen Raum hingegen sind Persönlichkeitsrechte und Datenschutz weniger ausgeprägt. Das hat eine langjährige Tradition. Dort komme ich auch einfach an Akten von Strafverfahren heran, in denen die Namen der Beteiligten genannt werden. In dieser Hinsicht sind Schweizer Gerichte sehr restriktiv – meiner Meinung nach zu restriktiv.

Bei swissinfo.ch arbeiten Journalist:innen aus aller Welt. Uns fällt auf, dass wir in der Schweiz viel Aufwand mit Zitatgenehmigungen betreiben, was etwa im angelsächsischen Raum völlig unüblich ist. Hat das mit einem besonders ausgeprägten Recht am eigenen Wort zu tun oder ist es einfach eine Praxis?

Ich glaube, es ist die Praxis. Aber natürlich sind Medienschaffende im Hinblick auf eine mögliche verfahrensrechtliche Konsequenz vorauseilend zu nachgiebig. Es hat auch mit der Angst zu tun, dass man Sachen nicht belegen kann oder Unwahrheiten schreibt. Da will man sich absichern, indem man ein Zitat oder einen inhaltlichen Teil zum Gegenlesen gibt.

Konkrete Strafverfahren zum Recht am eigenen Wort gibt es aber kaum. Es ist nicht so, dass massenhaft Leute klagen, weil etwas, was von ihnen zitiert wurde, nicht so gesagt worden sei. Deswegen sage ich, es ist eher Arbeitspraxis und vorauseilender Gehorsam als wirklich eine Rechtspraxis, die restriktiv wäre. Um den Journalist:innen Mut zu machen, habe ich einen sinnvollen Umgang mit Zitaten und Interviews in meinem BlogExterner Link skizziert.

Wehren sich vor allem reiche Unternehmer und Prominente gegen Medienberichte?

Ich kann nur aus der Sicht eines Konsumenten-Magazins sprechen. Jene Betriebe, denen wir weh tun, sind häufig KMUs. Wir decken Missstände auf und berichten auch über kleinere Betriebe, die mit einer betrügerischen Masche den Konsument:innen schaden. Unsere Erfahrung zeigt, dass auch kleinere Betriebe sich wehren, häufig vor Abdruck eines Artikels.

Aber klar: Der kleine Mann und die kleine Frau, die bereits mit dem Aufruhr zu kämpfen haben, der ein negativer Medienbericht im Freundes- und Familienkreis auslöst, werden kaum den Schnauf und die Mittel haben, auch noch ein medienrechtliches Verfahren loszutreten.

Profitieren Unternehmen, Promis und insofern auch der Schweizer Wirtschaftsstandort und Fiskus von der eher medienfeindlichen Schweizer Gesetzgebung und Justiz?

Kurz- und mittelfristig profitieren sie davon, ja, weil gewisse Recherchen nicht gemacht werden und weil Whistleblower sich nicht trauen, öffentlich zu reden.

Langfristig aber ist es schädlich. Eine Gesetzgebung, welche die Aufarbeitung von Mängeln und Missständen verhindert, ist langfristig eher schädlich. Denn am Ende kommt es via Druck aus dem Ausland wieder auf uns zu. Das kostet den Banken- und Finanzplatz möglicherweise mehr, als wenn man es selber aufarbeiten würde.

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