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Schweiz-Italien: Kontroverse um Gugliemo Marconi

Hat sich der geniale Wissenschafter Guglielmo Marconi im Wallis aufgehalten und dort auch Experimente durchgeführt? Keystone

Die Auszeichnung "Telecom World Heritage" wird an die Walliser Gemeinde Salvan vergeben. Dass das Wallis für Marconis Experimente geehrt wird, irritiert Italien. Ein Bericht aus Sasso Marconi, der Heimat des berühmten Wissenschafters.

An der Tafel beim Gemeindehaus hängen neben den kommunalen Anzeigen Zeitungsartikel, die sich mit dieser Angelegenheit befassen. Auf einigen ist auch von “versuchtem Raub” die Rede.

Wer würde Guglielmo Marconi berauben, Nobelpreisträger und Entdecker der drahtlosen Telekommunikation? Die Gemeinde Salvan im Wallis.

Am Freitag erhält Salvan in Anwesenheit von Bundespräsident Pascal Couchepin die erste internationale Anerkennung als “World Heritage Telekommunikation”.

Der Titel wird von der internationalen Fernmelde Union (UIT), der UNO-Agentur für Telekommunikation, vergeben. Salvan wird für Marconis Experimente geehrt, die er dort während eines Ferienaufenthaltes ausgeführt hatte.

Aufstand in Sasso Marconi

Diese Vergabe wird in Sasso Marconi, dem Heimatort des italienischen Wissenschafters, kontrovers aufgenommen.

“Wir haben Salvan und die UIT aufgefordert, den historischen Nachweis zu erbringen, dass sich Marconi an diesem Ort aufgehalten und Experimente durchgeführt hat”, sagt Sasso Marconis Bürgermeisterin Marilena Fabbri.

“Bis jetzt wurden uns jedoch keine entsprechenden Beweise vorgelegt. Es macht also nicht den Anschein, dass der Wissenschafter schon einmal in Salvan war”, so Fabbri.

“Wir fühlen uns in unserem Stolz getroffen. Sasso Marconi besitzt die Rechte an Marconis Experimenten, das ist keine Frage. Wir mussten deshalb eine starke Botschaft schicken.” – Italiens Botschafter wird an der Zeremonie in Salvan nicht teilnehmen.

“Wir hoffen immer noch auf eine Kooperation von Salvan, damit den historischen Tatsachen Gerechtigkeit widerfährt”, sagt auch Gabriele Falciasecca, Präsident der Marconi-Stiftung, die in der Villa der Familie des Wissenschafters untergebracht ist.

Jährlich besuchen rund 5000 Menschen die Räume, in denen Dokumente und historische Werkzeuge die Schritte nachvollziehen, mit denen Guglielmo Marconi eine der wichtigsten Entdeckungen in der Geschichte der Menschheit machte.

Die Vereinten Nationen im Visier Sasso Marconis

“Es besteht kein Zweifel. In diesen Räumen begannen seine wichtigsten Experimente. Aus diesem Haus kam auch der erste Funkspruch der Geschichte. Und wenn ein Ort eine solche Anerkennung verdient hat, ist es Sasso Marconi”, so Falciasecca.

“Es ist richtig, dass der Wissenschafter sehr viel reiste, er hat Spuren auf der ganzen Welt hinterlassen, wo ihm gewidmete Gesellschaften und Stiftungen entstanden. Das sind nachweisbare Spuren”, sagt er.

“Nichts deutet bis jetzt aber auf Spuren in Salvan hin. Für die Wissenschaftsgeschichte kann es nicht genügen, ein vor 40 Jahren vom französischsprachigen Radio der Schweiz geführtes Interview mit einem angeblichen Zeugen als Beweis anzuerkennen. Der ITU-Enscheid hat uns deshalb sehr überrascht.”

Mehr als über das “prämierte” Walliser-Dorf ist man in Italien aber von den Vereinten Nationen enttäuscht. “Die UNO kann sich doch nicht als Gottvater aufspielen”, sagt ein genervter Bewohner auf dem Marktplatz von Sasso Marconi. “Guglielmo Marconi gehört uns. Und die Schweizer spielen nun die Oberschlauen. In solchen Fällen geht es immer nur ums Geld.”

2009 wird in Sasso Marconi die Hundertjahrfeier des Nobelpreises von Marconi gefeiert. In Italien keimt nun der Verdacht, Salvan könnte mehr Touristen anlocken, die sich auf den Spuren Marconis befinden. Es geht also offenbar nicht nur um den verletzten Nationalstolz.

Entrüstete Prinzessin Marconi

Die grösste Missbilligung geht indes von Elettra Marconi aus, der Tochter des Wissenschafters. “Es handelt sich um Geschichtsfälschung. Ich habe die Memoiren meiner Mutter ins Englische übersetzt. Dort war nie von Salvan die Rede.”

Die “Prinzessin” Marconi (ein Adelstitel, den sie dank ihrer Heirat erhielt) erhebt einen weiteren schweren Vorwurf. Bei ihrem ersten Besuch im Walliser Dorf vor ungefähr zwei Jahren, habe sie einen Brief in französischer Sprache geschrieben, der auf diesen Sachverhalt hinweise.

“Ich habe sehr kategorisch darauf hingewiesen, dass ich meine Eltern nie von diesem Walliser Dorf sprechen gehört habe.” Sie fühle sich instrumentalisiert. Aber sie möchte “niemandes Feindin sein. Ich erachte es als meine Pflicht, die Aussergewöhnlichkeit meines Vaters und seiner Entdeckungen zu bezeugen: Guglielmo Marconi gehört der ganzen Welt, denn mit seinen Erfindungen hat er zum Wohl der gesamten Menschheit beigetragen.”

Die Schweiz verteidigt sich

Diese Auseinandersetzung wird auch auf diplomatischer Ebene fortgeführt. Auch in den letzten Stunden vor der Ehrung Salvans bemüht sich die Gemeinde Sasso Marconi um eine diplomatische Note der italienischen Regierung, in der auch die Versicherungen des Schweizer Bundespräsidenten Pascal Couchepin zurückgewiesen werden.

Die offizielle Schweiz sagt zwar, der Bundesrat habe die Bedeutung erkannt, die Richtigkeit der historischen Fakten zu klären. Sie betont, dass Bern nicht daran zweifelt, dass Marconis erste Experimente in Italien stattgefunden hätten.

In Sasso Marconi bedankt man sich dafür. Aber das letzte Wort in dieser Angelegenheit ist mit Sicherheit noch nicht gesprochen.

swissinfo, Aldo Sofia, Sasso Marconi
(Übersetzung aus dem Italienischen: Etienne Strebel)

Gugliemo Marconi wird am 25. April 1874 in Bologna, Italien, geboren.

Im Alter von 20 Jahren macht das Genie autodidaktische Experimente. Wenig später erfindet er die drahtlose Telegrafie. So führt er im Frühjahr 1895 das terrestrische Verbreitungssystem ein.

Marconi lässt seine Erfindungen patentieren, erlaubt aber seinem Land Italien, von den neuen Errungenschaften gratis zu profitieren.

1909 erhält Marconi im Alter von 35 den Nobelpreis für Physik. Insgesamt erhält er 15 Diplome an verschiedenen Universitäten.

Am 20. Juli 1937 stirbt Gugliemo Marconi in Rom. Seine sterblichen Überreste sind in Sasso Marconi, bei der Villa Griffone, seinem Elternhaus, aufbewahrt. Dort befindet sich auch ein Museum und eine ihm gewidmete Stiftung.

Die Internationale Fernmeldeunion (ITU) ist eine Spezialorganisation der UNO und ein wichtiger weltweiter Player im Gebiet der Telekommunikations-Entwicklung und der Informations-Technologie.

Neben ihrer traditionellen Tätigkeit – Frequenz-Management und technische Normierung – engagiert sich die UIT im Rahmen des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft bis ins Jahr 2015 den digitalen Graben zwischen dem Norden und dem Süden aufzuheben.

Die Schweiz, insbesondere das Bundesamt für Kommunikation (Bakom), ist in der ITU, die ihren Sitz in Genf hat, stark engagiert.

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