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Schweizer Banken der Lüge bezichtigt

Eine russische Holocaust-Überlebende erhält in Moskau Geld aus einem Fonds von Schweizer Banken. Keystone

Die Schweizer Banken sollen endlich eingestehen, dass sie während der Nazi-Zeit nicht rechtmässig gehandelt haben, fordert US-Richter Ed Korman.

Die Vorwürfe kommen vor der nächsten Runde im Verteilkampf um die 1,25 Mrd. Dollar aus dem Vergleich mit Schweizer Banken.

Im Vorfeld einer Anhörung Anfang April, bei der es um Vorschläge zur Beschleunigung der Verteilung von Geldern aus dem Bankenvergleich an Holocaust-Überlebende geht, hat der beauftragte US-Richter Edward Korman die Schweizer Banken scharf kritisiert.

Das Verhalten der Schweizer Banken erinnere an die Theorie “der Lüge, die wahr wird, wenn man sie lange genug wiederholt”, schrieb Korman in einem Entscheid. Darin hatte er alle Einsprachen der Banken abgeschmettert, welche diese gegen die Veröffentlichung einer neuen Liste mit 15’000 möglichen nachrichtenlosen Konti gemacht hatten. Die “Grosse Lüge” der Banken sei die Behauptung, dass sie während der Nazi-Ära kein Unrecht begangen hätten, so Korman.

Sukkurs für den Überwacher

Er unterstützt in seinem Entscheid die Empfehlung des Überwachers des Verteilprozesses, Judah Gribetz, eine Liste von 15’000 Konten zu veröffentlichen, die “möglicherweise” einen Bezug zu Nazi-Opfern haben. Diese Konten hätten die Banken zuvor in Verhandlungen mit der Volcker-Kommission “ausgeschrubbt”.

Die Eingaben der Banken, diese Konten nicht zu veröffentlichen, seien “ohne Basis und täuschend”. “Die leichtfertigen Einsprüche” der Verteidigung seien nur “Haarspalterei, um das Image der Banken zu verbessern”. Einwände “unter dem Vorwand des Bankgeheimnisses” würden diese nicht legitim machen, so Korman.

Interessen der Opfer verraten

Die Banken hätten die Interessen der Holocaust-Opfer nach dem Zweiten Weltkrieg “Steuerflüchtlingen, Geldwäschern und korrupten Diktatoren geopfert, die ein Versteck für ihr Geld brauchten”, wetterte der Richter weiter.

Korman wirft den Banken vor, dass eigene Wirtschaftsinteressen ihre Handlungen nicht nur während des Zweiten Weltkrieges, sondern auch “Jahrzehnte danach” dominiert hätten.

“Dass die Zerstörung von Konto-Informationen das Schweizer Gesetz vielleicht nicht verletzt hat” ist nicht mehr als ein trauriger Kommentar zur Art und Weise, wie man die Banken hat gewähren lassen”, schrieb Korman an die Adresse der Schweizer Behörden.

Banken bestreiten Fehlverhalten

Bankenanwalt Roger Witten widersprach Korman in New York: “Während wir vielen Aussagen von Richter Korman nicht zustimmen, hoffen wir, dass sich der Fokus jetzt auf die schnelle Verteilung der Gelder und eine vollständige Wiedergutmachung für alle Betroffenen richtet.”

Dieser Hoffnung gab auch Karin Rhomberg, Sprecherin der Credit Suisse Group, am Samstag Ausdruck: “Wir hoffen, dass die Gelder aus dem Vergleich nun zügig verteilt werden”, erklärte sie.

Die Fragen, die Richter Korman aufgeworfen habe, seien längst in einem Vergleich geregelt, der von diesem Gericht sowie von den jüdischen Organisationen gutgeheissen worden sei, hiess es von Seiten der Banken weiter. Die Banken hätten zudem die Vergleichssumme von 1,25 Milliarden Dollar prompt bezahlt und jede Verpflichtung im Rahmen des Vergleichs erfüllt.

Furcht vor weiteren Ermittlungen

Nach Ansicht von Gribetz sollten die Banken uneingeschränkte Hilfe zur Identifizierung von Konten mit möglichem Holocaust-Bezug gewähren. So könnte der Verteilprozess angekurbelt werden.

Die Scheu der Banken, die Liste mit den 15’000 Konten zu publizieren, lege die Vermutung nahe, dass die Banken bei genaueren Nachforschungen Angst vor weiteren peinlichen Enthüllungen hätten, schreibt Korman. Der Wert einer umfassender Offenlegung der Informationen jedoch übersteige das Mass der Peinlichkeit.

Bergier-Bericht als Basis

Korman bezieht sich in dem Entscheid oft auf den Bergier-Bericht und die Arbeit der Volcker-Kommission. Deren Schätzungen seien “konservativ” ausgefallen und hätten erst einen Anfang der historischen Aufarbeitung eingeleitet. Von den 1,25 Milliarden Dollar sind bis heute 604 Millionen, rund die Hälfte, verteilt worden.

swissinfo und Agenturen

Von den 1,25 Mrd. Dollar waren 800 Mio. für die Überlebenden vorgesehen.
450 Mio. waren für abgewiesene Flüchtlinge, Zwangsarbeiter und für humanitäre Hilfe an bedürftige Holocaust-Überlebende reserviert.

Die Schweiz geriet Mitte der 90-Jahre wegen nicht ausbezahlten nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfer unter starke internationale Kritik.

1998 verpflichteten sich die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse zu Zahlungen von 1,25 Mrd. Dollar.

2000 hiess US-Richter Edward Korman den Verteilplan gut.

Die ersten Gelder wurden im Sommer 2001 ausbezahlt.

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