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Schweizer Bürgerrecht – ein politisches Instrument

Seit den 80er-Jahren ist die Einbürgerungspraxis etwas liberaler geworden. Keystone

Die Einbürgerung hat in der Schweiz immer als Mittel zur Austragung gewisser sozialer und politischer Konflikte gedient. Dies sagt eine Studie des Schweizerischen Nationalfonds.

Die Einbürgerungspolitik der Schweiz gilt laut Forschern der Universität Bern als eine der restriktivsten in Europa.

Eine Forschungsgruppe der Universität Bern hat die Aufnahme- und Ausschlusskriterien des Schweizer Bürgerrechts aus historischer Perspektive untersucht.

Die vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützte Studie legt aber auch dar, welche Schlüsse sich daraus für die Gegenwart ziehen lassen.

EU liberaler als die Schweiz

Zwölf Jahre muss eine Ausländerin oder ein Ausländer in der Schweiz wohnen, bevor ein Antrag auf Einbürgerung möglich ist. In der Europäischen Union (EU) dauern diese Fristen zwischen vier und zehn Jahren.

Ausserdem ist im Unterschied zur Schweiz in den meisten EU-Staaten eine erleichterte Einbürgerung für die zweite Ausländergeneration möglich.

Als weiterer Schweizer Sonderfall gilt, dass Einbürgerungsentscheide hierzulande in erster Linie auf Gemeinde-Ebene gefällt werden.

Keine politischen Rechte

Mehr als ein Fünftel der schweizerischen Bevölkerung hat kein Schweizer Bürgerrecht und damit auf nationaler Ebene keine politischen Rechte. Wie ist es zu dieser Situation gekommen ist, wird in der SNF-Studie aufgezeigt.

Zusammenfassend lässt sich für die Einbürgerungspraxis und – diskussion in der Schweiz eine Entwicklung von liberalen Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg über sechs zunehmend restriktive Jahrzehnte bis Ende der 70er-Jahre zu einer wieder liberaleren Gegenwart feststellen.

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SNF

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) ist eine privatrechtliche Stiftung, die im Auftrag des Bundes hauptsächlich die Grundlagenforschung in der Schweiz unterstützt. Der SNF fördert alle Disziplinen, von Philosophie über Biologie bis zu Nanowissenschaften und Medizin. Die Hauptaufgabe des SNF besteht darin, die von Forschenden eingereichten Projekte wissenschaftlich zu begutachten und diese im Rahmen der verfügbaren Mittel…

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Schweizer Selbstbilder prägend

Hinter den Einbürgerungskriterien und ihrem Wandel stehen die gesellschaftlichen Selbstbilder und Normen der Schweiz, wie Projektleiterin Brigitte Studer feststellt. Dazu zählen Anstand, Fleiss, politische Zurückhaltung und ein guter Leumund.

Aufzeigen lassen sich zudem gesellschaftlich-politische Interessenkonflikte, wie die Wahrung der “Volksgesundheit” in der Zwischenkriegszeit oder die Angst vor einer Unterwanderung der Gesellschaft durch Kommunisten im Kalten Krieg.

Damit wird die Einbürgerung auch zu einem Instrument, um mit solchen Problemen umzugehen. Als Beispiele erwähnt Studer die Ablehnung ökonomisch schlecht gestellter Personen aus Angst vor Fürsorgekosten oder die Regulierung des Arbeitsmarkts mit Gastarbeitern.

Erkenntnisse

Für Brigitte Studer und Ko-Autor Gérald Arlettaz ergibt sich aus dem Studium der Einbürgerungsdossiers und der weiteren historischen Quellen vor allem die Erkenntnis, dass die von den Einbürgerungskandidaten geforderte Anpassung beziehungsweise Assimilation im letzten Jahrhundert sehr uneinheitlich, zuweilen auch willkürlich, gehandhabt wurde.

Die Autoren empfehlen daher, die Einbürgerung als rechtsstaatliches Verfahren zu objektivieren: “Für ein Gesuch sollten in der ganzen Schweiz die gleichen, klaren Voraussetzungen gelten.”

Heute, im Zeitalter der Mobilität, seien auf der historischen Rolle der Gemeinden und Kantone beruhende partikuläre Interessen, die zu subjektiven oder gar arbiträren Entscheidungen führen können, nicht mehr adäquat, sagt Brigitte Studer. “Die lokalen Selektionsmöglichkeiten entsprechen den Integrationsbedürfnissen der Schweiz nicht mehr.”

Ausserdem regen die Autoren an, die Entscheidungskompetenz von der Gemeinde- auf die Kantonsebene zu verlagern, so wie es heute in Genf bereits praktiziert wird, und die Wohnsitzfrist auf ein im Vergleich mit der EU “angemessenes Mass” zu reduzieren.

swissinfo und Agenturen

Die Einbürgerung ist in der Schweizer Politik immer wieder ein Thema. In den letzten Jahren ging es oft um die Legitimität der an den Urnen beschlossenen Einbürgerungen. Eine entsprechende Initiative muss noch vors Parlament und vors Volk gebracht werden.

Weniger als ein Jahr vor den Parlamentswahlen wird das Thema der Integration von den Regierungsparteien aufgenommen. Zuletzt haben die Sozialdemokraten vorgeschlagen, den einbürgerungswilligen Ausländern einen Integrationsvertrag vorzuschreiben.

Wer sich in der Schweiz einbürgern will, muss seit 12 Jahren hier wohnhaft sein.

Eine Einbürgerungsbewilligung des Bundes erhält, wer gut integriert ist und die schweizerische Rechtsordnung kennt.

Die Einbürgerung erfolgt durch den jeweiligen Kanton und die Wohngemeinde.

2005 wurden 39’753 Einbürgerungen vorgenommen, so viele wie nie zuvor.

In der Schweiz leben mehr als 20% Ausländer.

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