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Schweizer Emanzipationsprozess vor dem Final

(Keystone-SDA) Die Schweiz erfüllt gegen Nordirland und Litauen die Pflicht. Im Final um den Gruppensieg in Italien muss sie beweisen, dass sie sich von Granit Xhaka und Haris Seferovic emanzipieren kann.

Zur uneingeschränkten Zufriedenheit fehlten den Schweizern in Vilnius zwei Tore. Es wurde nur ein 4:0 statt eines möglichen 6:0. Zwei Tore, welche sie den Rückstand auf die punktgleichen Italiener gänzlich hätten aufholen lassen.

Aber solche Überlegungen anzustellen wäre für Nationaltrainer Murat Yakin gewesen, als müsste er das Haar in der Suppe suchen. Lieber trug er vor, was sein Team erreicht hat. «Wir haben schon zwei Spiele vor Schluss Platz 2 auf sicher. Das hatten vorher die wenigsten erwartet.»

Minimalziel früh erreicht

Nun, dieser 2. Platz und die Teilnahme an den Playoffs waren das Minimalziel des SFV für die WM-Qualifikation. So ist auch der Vertrag von Yakin ausgehandelt. Er läuft bis Ende 2022, also inklusive allfälliger Playoffs im März und der folgenden Nations League im Sommer/Herbst. So hatte dies der SFV im August bei Yakins Präsentation kommuniziert. «Über Platz 3 in der Qualifikation reden wir nicht», sagte Nationalmannschaftsdirektor Pierluigi Tami damals.

Die Auftritte gegen Nordirland und Litauen, diese zwei Siege mit sechs Toren und ohne Gegentreffer, sind Dokument, dass der Verband auf den richtigen Trainer gesetzt hat.

Yakin hat es geschafft, die Mannschaft trotz heikler Personalsituation – auch gegen Litauen fehlten wieder fünf wichtige Spieler – auf Kurs zu halten und die Auswahl dahin zu bringen, wo man sie sich nach der Auslosung gewünscht hatte: in einen Final um den Gruppensieg gegen Italien und (punktemässig) auf Augenhöhe mit dem Europameister.

Schweiz unbekümmert, Italien unter Druck

Dieses Spiel in Rom könne die Schweiz «unbekümmert angehen», so Yakin. «Der Druck ist auf Seiten der Italiener.» Wie sehr das Trauma der verpassten letzten WM-Endrunde 2018 die «Squadra Azzurra» am 12. November in Rom nervös machen wird, bleibt abzuwarten.

Yakin jedenfalls ist überzeugt, dass «wir ein gutes Resultat erzielen können, wenn wir lange das 0:0 halten, wenig Fehler machen und schnell umschalten.» Seine Mannschaft bringe die Qualitäten mit, um die Italiener «wie beim 0:0 in Basel zu kontrollieren und auch unter Druck zu setzen.» Sie lebe «von der Intensität und Aggressivität», so Yakin.

Als Yakin vor zwei Monaten am Verbandssitz in Muri vorgestellt wurde, sprach er davon, dass das Team noch «Luft nach oben» habe. Die Spiele unter ihm haben gezeigt, was er damit auch gemeint haben könnte. Die Absenzen von Captain Granit Xhaka und Mittelstürmer Haris Seferovic haben aus der Not in gewisser Weise eine Tugend machen lassen.

Yakin hat das personelle und konzeptionelle Spektrum erweitert. Er hat im September gegen Italien mit Erfolg Fabian Frei im Zentrum installiert, und gegen Nordirland und Litauen ohne den zunächst gesperrten Basler das System mit Erfolg modifiziert. An der Seite von Remo Freuler liess er einmal Denis Zakaria und einmal Djibril Sow vor der Abwehr agieren.

Freuler in ungewohnter Chefrolle

Das Spiel der Schweizer offenbarte Lösungen, auch wenn der «Spiritus Rector» Xhaka fehlte – zumindest gegen tief stehende Aussenseiter wie die Nordiren und die Litauer. Gerade Freuler wuchs im Zentrum in eine Chefrolle hinein, welche er im Schatten von Xhaka bis anhin nie finden konnte und musste.

Es gelang dem 29-Jährigen von Atalanta Bergamo vielleicht zum ersten Mal überhaupt in der SFV-Auswahl Verantwortung zu übernehmen, wenn dies gefragt war. «Es darf nicht alles auf den Schultern von Xhaka lasten. Remo ist ein Spieler, der im Klub ein Anführer ist. Er soll auch im Nationalteam die andern mitreissen.»

Fürs Erste hat die Mannschaft bewiesen, dass sie sich im Bedarfsfall von Captain Xhaka emanzipieren kann. Ähnliches kann auch über die Absenz von Seferovic gesagt werden. Die Produktion im Angriff litt ohne den seit Jahren gesetzten Mittelstürmer von Benfica Lissabon nicht.

Breel Embolo rückte von der zweiten Reihe ins Angriffszentrum vor – und brillierte mit insgesamt zwei Assists und zwei Toren. Yakin: «Bei einem Stürmer ist der Rhythmus wichtiger als bei einem Verteidiger. Es geht nicht nur um die Anzahl Minuten in den Beinen. Es geht auch um die guten Aktionen, die man vorweisen kann und um das Vertrauen in die eigene Form.»

Der härteste, mögliche Test

Auf den am Knie verletzten Xhaka muss Yakin mit Sicherheit auch in einem Monat in Italien verzichten. Dass Seferovic, der sich mit einem Muskelfaserriss in der Wade herumplagt, in Rom stürmen wird, scheint nach den Worten Yakins zumindest sehr fraglich.

Wie sehr sich die Mannschaft tatsächlich emanzipieren kann von diesen beiden Stützen, die zusammen 180 Länderspiele und 36 Tore vorweisen, muss sie am 12. November beweisen. Es ist der härteste, mögliche Test: ein Auswärtsspiel um alles oder nichts gegen den Europameister.

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