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Schweizer gehen an EM mit fliegenden Fahnen unter

26. Minute: Johan Vonlanthen (links) bezwingt Barthez mit einem platzierten Schuss in die linke Torecke. Keystone

Die schlechte Nachricht vorweg: Die Schweiz ist an der Euro 2004 nach der 1:3-Niederlage gegen Frankreich ausgeschieden.

Die Gute: Nun hat auch die Schweiz ihren Wayne Rooney. Jungstar Johan Vonlanthen erzielte einen wunderschönen Treffer zum 1:1.

Johan Vonlanthen hat in Portugal EM-Geschichte geschrieben: Der 18 Jahre und vier Monate alte Newcomer im Team von Köbi Kuhn ist mit seinem eiskalten Treffer zum 1:1 der jüngste Torschütze in der Geschichte der Fussball-Europameisterschaften. Vonlanthen entthronte damit den englischen Goalgetter Wayne Rooney, der noch 100 Tage älter ist.

Nach den zwei dummen Platzverweisen gegen Vogel und Haas und der Sperre nach der noch dümmeren Spuckattacke Alex Freis in den ersten beiden Partien war das beherzt-freche Auftreten Vonlanthens und seiner Mitspieler die beste Antwort auf all die Nörgeler und Besserwisser, welche bereits über Kuhn und sein Team hergezogen sind.

Von einem Drei-Klassen-Unterschied, wie allgemein befürchtet, war am Montagabend auf dem Rasen in Coimbra jedenfalls bis in die 76. Minute nichts zu sehen.

Beherzter Beginn

Die Schweizer versteckten sich in keiner Weise vor den hochdotierten Stars. Das demonstrierte der platzierte Freistoss Hakan Yakins in der 15. Minute, den Barthez im Tor der Franzosen nur mit einer Glanzparade über die Latte lenken konnte.

Ein Fehler Jörg Stiels in der 20. Minute ermöglichte den “Bleus” die “befürchtete” Führung: Der Schweizer Torhüter griff bei einem Corner in die Luft, Zidane konnte den Ball ungehindert einköpfeln.

Kuhns Flucht nach vorne

Dass Coach Köbi Kuhn eine “neue” Schweizer Mannschaft in den Match der letzten Hoffnung schicken würde, war nach den teils schwachen Leistungen einiger Spieler und nach dem EM-Ausschluss Alex Freis erwartet worden.

Dass er aber gleich ein dermassen umgekrempeltes Team auflaufen liess, überraschte selbst die hartgesottensten Skeptiker. Neben Frei und Haas fehlten in der Startformation auch Huggel, Celestini und Chapuisat.

Stattdessen kamen Stéphane Henchoz als rechter Aussenverteidiger, Ricardo Cabanas und der gegen England gesperrte Johann Vogel im Mittelfeld sowie die Offensivspieler Daniel Gygax und Johan Vonlanthen.

Was wäre gewesen, wenn…?

Mangelnder Mut muss sich Kuhn sicher nicht nachsagen lassen. Offen bleibt höchstens die Frage, ob die Schweiz in den ersten beiden Partien besser abgeschnitten hätte, wenn Kuhn von EM-Beginn weg auf die Karte “Jung und unbekümmert” gesetzt hätte.

Eine Offenbarung für die Zukunft neben Vonlanthen könnte besonders Cabanas werden, der im Mittelfeld eine bemerkenswerte Übersicht behielt und für starken Zug nach vorne sorgte. Cabanas war es auch, der Vonlanthen in der 26. Minute wunderschön lancierte, worauf der Youngster den gegnerischen Schlussmann mit einem präzisen Schuss in die linke Torecke düpierte.

Lob des Trainers

Köbi Kuhn war trotz des Ausscheidens mit dem Gezeigten seiner Spieler zufrieden: “Kompliment an mein Team. Meine junge Mannschaft hat eine starke Leistung gezeigt. Wir haben uns gut verkauft.” Johan Vonlanthen werde in Zukunft noch für viel Freude sorgen, geizte Kuhn Richtung Torschützen nicht mit Lob.

Auf die Affäre um Alex Frei angesprochen, weigerte sich Kuhn, sich dazu zu äussern.

Rätselhafte Franzosen

Besonders erwähnenswert: Wer nach der frühen Führung der Favoriten (20. Minute) erwartet hatte, dass die Schweizer bereits geschlagen seien, wurde eines Besseren belehrt. Sie erzielten nicht nur postwendend den Ausgleich, sondern konnten die Partie bis eine Viertelstunde vor Schluss offen halten.

Danach allerdings begannen die Kräfte in den Reihen der Schweizer zu schwinden, was Henry in der 76. und 84. Minute mit zwei zwar sehenswerten, aber keineswegs zwingenden Treffern ausnützen konnte.

Auch nach dem schlussendlich klaren 3:1 bleibt dennoch die Fragen nach dem Potential der Franzosen: Kann die Equipe Tricolore die Steigerung noch bringen, die zur Titelverteidigung unbedingt nötig ist? Die vielgerühmte Verteidigung zeigte wiederum zahlreiche Unsicherheiten, Zidane spielte erneut eine nur mässige Partie, und das Stürmerduo Henry und Trezeguet blieb über drei Viertel der Partie blass wie ihre weissen Trikots.

Hoffen erlaubt

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, besagt eine fussballerische Binsenwahrheit. Trotz der zu hohen Niederlage sind die Aussichten der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft für die WM-Qualifikation 2006 jedenfalls einigermassen rosig, wenn die Spieler den gezeigten Schwung mitnehmen können. Und für die nächste EM 2008 ist die Schweiz als Gastgeberin ja fix gesetzt.

swissinfo, Renat Künzi

Für die Schweiz ist die EM in Portugal nach der 1:3-Niederlage gegen Frankreich zu Ende.
Zuvor hatte Köbi Kuhns Mannschaft gegen Kroatien ein 0:0 erzielt und gegen England 0:3 verloren.
Damit rangiert die Schweiz in der Gruppe B mit einem Punkt auf Platz 4.

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