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Schweizer Kulturförderung unter ukrainischer Lupe

Ukrainische Kulturpolitiker und -experten besuchen das im Bau befindliche Paul-Klee-Museum in Bern. swissinfo.ch

Wie funktioniert das Schweizer Modell der Kulturförderung? Diese Frage steht im Zentrum eines Besuchs von Kulturexperten aus der Ukraine in der Schweiz.

Die Gäste erhoffen sich Anstösse, die in ein ukrainisches Regierungs-Programm zur Kulturförderung auf lokaler Ebene einfliessen sollen.

Die Ukraine gehört zu jenen Ländern, die im Rahmen des Schweizer Kulturprogramms Südosteuropa (SPC) gefördert werden. Dass dieses Programm keine Einbahnstrasse ist, zeigt der Besuch einer ukrainischen Delegation in der Schweiz von dieser Woche.

Mitglieder des Kulturausschusses des ukrainischen Parlaments sowie unabhängige Experten, rund ein Dutzend Personen, besuchen verschiedene Kulturinstitutionen und treffen mit Vertretern von Behörden und Parlament zusammen. Die Initiative zur Visite ging dabei von den Ukrainern aus.

Konkret in Augenschein nehmen die Gäste unter anderem das im Bau befindliche Paul-Klee-Zentrum und das Kunstmuseum in Bern, das Museum für Gegenwartskunst Lausanne sowie die Hochschule für Kunst und Gestaltung in Zürich. Gespräche finden mit Vertretern des Bundesamtes für Kultur, der parlamentarischen Kulturkommission und des Migros-Kulturprozentes statt.

Zusammenspiel der drei Ebenen

“Wir wollen die Strukturen kultureller Institutionen auf den Stufen Staat, Kantone und Gemeinden kennen lernen. Uns interessiert vor allem, wie sie funktionieren und wie sie finanziert werden”, erklärt Olexandr Butsenko gegenüber swissinfo. Er ist Berater der Kulturkommission des ukrainischen Parlaments und Direktor des Informations- und Analysezentrums “Demokratie durch Kultur” in Kiew.

Im Vordergrund stünden dabei die erfolgreichen Modelle, sagt Butsenko, der auch Mitglied des europäischen Kulturparlaments ist und daneben als Übersetzer (u.a. von Werken von Anthony Burgess, Dashiell Hammett und Karl Popper) und als Herausgeber des Kulturmagazins “Dialog” fungiert.

Kenner der Materie

Der Intellektuelle erweist sich im Gespräch als guter Kenner des Schweizer Kulturbetriebs, dies unter anderem aufgrund persönlicher Kontakte, in früheren Jahren beispielsweise mit dem verstorbenen Autor Friedrich Dürrenmatt.

Der Vergleich mit der Schweiz, gerade was die lokale Kultur-Ebene betrifft, ist für Butsenko sehr aufschlussreich. “Die lokalen Behörden haben zwar viele Pflichten, aber auch einen grossen Gestaltungsfreiraum.” Ein solcher bestehe auch für die Behörden der 686 lokalen Verwaltungseinheiten in der Ukraine, denn diese könnten seit 2001 autonom über ihr Budget verfügen.

Genau hier, also in den Städten und Regionen, sollte das Regierungs-Programm greifen. Generell müssen gemäss Butsenko die Akteure aus Politik und Wirtschaft für die Wichtigkeit eines lebendigen und eigenständigen lokalen Kulturangebots sensibilisiert werden. Ohne dies könnten erfolgreiche lokale Unternehmer nicht vom Nutzen eines Kultursponsorings überzeugt werden.

Motor der Transformation

Bereits seit mehreren Jahren setzt die Schweiz bei der Unterstützung von ehemals kommunistischen Ländern explizit auf die Kultur. “Wir versuchen, mit der Kultur die Transformation von einem autoritären zu einem pluralistischen System zu stärken”, sagt Thomas Jenatsch, DEZA-Sprecher für die Ostzusammenarbeit.

Bei diesem Systemumbau gehe es nicht nur um Politik und Wirtschaft. Der Kultur komme eine Schlüsselrolle zu, weil der Mensch im Zentrum stehe, so Jenatsch. “Sie schafft Raum für neue Ideen und Ausdrucksmöglichkeiten.”

Lokale Kulturszenen sind laut Jenatsch zudem wichtig für die Bildung von Identität und Selbstwertgefühl der Menschen, “dies als eine Voraussetzung für den Aufbau eines offenen Gemeinwesens”.

Mandatsträgerin Pro Helvetia

In den sieben SPC-Ländern und der Ukraine fördert die Direktion für Entwicklungs-Zusammenarbeit lokale Kultur-Initiativen sowie die Reformierung vormals zentralistischer Staatsinstitutionen.

Verwalterin des SPC-Jahresbudgets von 3,6 Mio. Franken ist die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. “Wir unterstützen kulturelle Kleinaktionen mit 100’000 Franken pro Land und Jahr”, sagt die Programm-Verantwortliche Elisa Fuchs. Zur Hauptsache aber würden dreijährige Kooperations-Projekte gefördert, dies im Umfang von 200’000 bis 400’000 Franken.

In der Ukraine ist das SPC gegenwärtig daran, zusammen mit örtlichen Partner-Organisationen einen Lehrgang zur Ausbildung von Kulturmanagern auf die Beine zu stellen. Denn sowohl in den traditionellen als auch in den neuen Kultur-Organisationen seien fundierte Kenntnisse dringend vonnöten, so Fuchs.

Neuorientierung mit neuen Experten

Die Umsetzung des ukrainischen Kulturföderungs-Programms besteht laut Butsenko beispielsweise im Erfassen der kulturellen Ressourcen, der Etablierung einer Marke und der touristischen Promotion dieses “Brands”. Dafür, so Butsenko, müssten neue Kommunikations-Konzepte erarbeitet und neue Fachleute ausgebildet werden.

Neben Betrieb, Finanzierung und Vermarktung ist die Forschung eine weitere Stossrichtung, in der sich die Gäste Inputs erhoffen. “Wir wollen Indikatoren erstellen, mit denen wir die kulturelle Entwicklung messen können”, sagt der Ukrainer.

Kultur messen

Solche Indikatoren könne die Zahl der Beschäftigten im Kulturbereich sein, oder die Einnahmen, die mit Kulturangeboten generiert würden. “Gesucht sind auch Indikatoren, mit denen wir nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität von kulturellen Leistungen messen können.”

Der Experte hofft, dass das ukrainische Parlament das Programm zur Kulturförderung auf lokaler und regionaler Ebene wie vorgesehen in diesem Herbst gutheisst. Der Termin sei aber durch die ebenfalls im Herbst stattfindende Präsidentenwahl gefährdet.

Aber auch wenn die Vorlage im Parlament Schiffbruch erleiden sollte, sieht Butsenko dennoch einen Erfolg der Bemühungen. “Wir haben 15 Pilotstädte, die das Modell bereits in die Praxis umsetzen.”

swissinfo, Renat Künzi

Das ukrainische Parlament verabschiedet voraussichtlich im Herbst ein Regierungs-Programm zur öffentlichen Kulturförderung auf lokaler und regionaler Ebene.
Eine Gruppe von Kulturpolitikern und –experten studiert während einer Woche die Modelle der Kulturförderung in der Schweiz.
Im Zentrum ihres Interesses stehen Funktion und Finanzierung der Kultur auf den drei Stufen Bund, Kantone und Gemeinden.

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