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Schweizer lässt internationale Kunstwelt erzittern

Beschlagnahmt, aber wieder freigegeben: Gemälde aus dem Moskauer Puschkin-Museum 2005 in der Fondation Gianadda. Keystone

Rückschlag für den internationalen Kulturaustausch: In einer Blitzaktion hat Tschechien 50 ausgeliehene Kunstwerke aus dem Ausland zurückgeholt. Wegen eines Rechtsstreits drohte dort deren Pfändung. Auslöser ist ein Schweizer Bürger tschechischer Herkunft.

Da dauert ein Justizfall zwei Jahrzehnte, und auf einmal hält er Museen, Ausstellungsmacher und -macherinnen, staatliche Kulturbehörden, private Sammler und Künstler in aller Welt in Atem.

Zum Marathon-Streit gehören: Ein erfolgreicher Schweizer tschechischer Herkunft; sein Pharma-Unternehmen mit Fokus auf Blutplasma-Handel; die Ausschreibung eines Grossauftrags, von der ihn die Tschechische Republik offenbar ausgeschlossen hat; eine Schadenersatz-Klage des Schweizers in der Höhe von über 450 Mio. Franken; ein Pariser Schiedsgericht, das dem Kläger Recht gibt.

Weil die Tschechische Republik die Bestätigung der Millionenzahlung durch das französische Gericht nicht anerkennt, leitete der Schweizer Pharma-Unternehmer die gerichtliche Pfändung von Kunstwerken ein, welche die Nationalgalerie in Prag und andere Institutionen an ausländische Museen ausgeliehen hatten.

Mit teilweisem Erfolg: Mitten aus der Ausstellung “Dynamik! Kubismus/Futurismus/Kinetismus” im Wiener Museum Belvedere liess ein österreichisches Gericht Ende Mai drei Kunstschätze aus Tschechiens Staatsbesitz konfiszieren.

Erdbeben in der Kunstwelt

“Der vorliegende Fall erschüttert die Kunstwelt und kann Verunsicherungen hervor rufen. Leihgeber fragen sich, ob sie Kulturgüter für Ausstellungen ins Ausland ausleihen können, ohne dass sie befürchten müssen, dass diese dort beschlagnahmt werden”, sagt Benno Widmer vom Bundesamt für Kultur (BAK) in Bern. Widmer leitet dort die Fachstelle für internationalen Kulturgütertransfer, der auch die Anlaufstelle Raubkunst angegliedert ist.

In der Blitzaktion holte Tschechien rund 50 Kunstwerke im Wert von knapp 15 Mio. Franken ins Land zurück. Darunter befanden sich Werke von Eduard Manet oder Max Liebermann. Betroffen waren Museen in Europa, aber auch Übersee. Um den Gerichtsvollziehern keine Hinweise zu liefern, machten die Tschechischen Behörden keine genauen Angaben über die betroffenen Institutionen und die Anzahl der zurückgeholten Werke.

Schweizer Museen waren von der Rückführung offenbar keine betroffen. Weder Benno Widmer von der Bundesbehörde noch David Vuillaume, Generalsekretär des Verbandes der Museen der Schweiz, ist ein Fall bekannt, in dem ein Werk aus einer Ausstellung abgehängt und nach Tschechien transportiert worden wäre.

Doch der Aufruhr in der internationalen Kunstwelt ist enorm. Ein Insider sprach gegenüber swissinfo.ch von einem “Erdbeben” und gar einem “Vulkanausbruch”. Die Beschlagnahmung staatlicher Kunstschätze könne wie ein Rückfall des globalisierten Kulturaustausches ins Mittelalter gesehen werden, sagte der Branchenkenner, der nicht namentlich genannt sein will.

Rückgabegarantien in der Schweiz gewährleistet

“Die Schweiz ist in der Regel nicht betroffen, denn das BAK gewährt seit 2005 auf Antrag von ausländischen Leihgebern eine Rückgabegarantie. Damit sind Kunstwerke, die für eine Ausstellung an ein Schweizer Museum ausgeliehen werden, vor einem Zugriff geschützt, wie er in Österreich erfolgte”, sagt Benno Widmer.

Mit dieser Garantie sei die Schweiz deshalb auf solche Fälle gut gewappnet. Für den internationalen Kulturaustausch sei der Fall aber nicht förderlich, sagt Widmer und weist darauf hin, dass die Liste der weltweit beschlagnahmten Kunstobjekte mittlerweile ansehnlich sei.

Keine Rückgabegarantie, keine Ausstellung 

Eine Rückgabegarantie können Schweizer Museen, die in ihren Ausstellungen ausländische Werke zeigen wollen, beim Bundesamt für Kultur unentgeltlich beantragen. Widmers Empfehlung an Museen, Kuratorinnen und Kuratoren: “Bevor ein Kunstwerk aus dem Ausland ausgeliehen wird, sollte das Schweizer Museum abklären, ob der Leihgeber eine Rückgabegarantie wünscht.”

Wer dies versäumt, muss mit Problemen rechnen, wie ein von Benno Widmer erwähntes Beispiel zeigt: “Ein Museum musste die Vernissage zu einer Ausstellung verschieben, weil zu spät bemerkt wurde, dass Russland als Leihgeber eine Rückgabegarantie verlangt hatte.”

Russland als gebranntes Kind

Dass gerade Russland strikte auf einer solchen beharrt, ist kein Zufall. Seit dem “Fall Fondation Gianadda” in Martigny vor sechs Jahren leihe Russland ohne Rückgabegarantie kein Kunstwerk mehr ins Ausland aus, sagt der Spezialist aus dem BAK.

2005 hatte die Walliser Justiz in der Fondation Gianadda eine russische Gemäldesammlung beschlagnahmen lassen. Die Anordnung dazu war von den Genfer Behörden gekommen. Dies, weil Russland einer Genfer Firma Geld geschuldet haben soll.

Erst nachdem die Schweizer Regierung die Freigabe angeordnet hatte, konnten die rund 50 Gemälde den Heimweg ins Moskauer Puschkin-Museum antreten.

Für eine solch schnelle Lösung der Causa des Schweizer Pharma-Unternehmers versus Tschechische Republik ist es schon lange zu spät. Falls der Kläger die ganze Schadensumme mittels gepfändeter und zu verwertetende Kunstschätze eintreiben will, steht er wohl erst am Anfang.

Die Schweiz gewährt internationalen Leihgebern von Kunstwerken seit 2005 eine Rückgabegarantie.

Die Rückgabegarantie stellt eine Art Immunität für ausgeliehene Kunstwerke dar, denn sie bewirkt nach Art. 13 des Kulturgütertransfergesetzes, dass Private und Behörden keine Rechtsansprüche auf das Kulturgut geltend machen können, solange dieses sich in der Schweiz befindet.

Damit sind die Kulturschätze insbesondere vor Klagen auf Herausgabe oder Rückführung, Arrestverfügungen, Pfändungen und Beschlagnahmungen im Gastland Schweiz geschützt.

Bis 2010 verfügte die Fachstelle des Bundesamtes für Kultur Rückgabegarantien für 1’972 Kulturgüter von 106 Leihgebern aus 20 Vertragsstaaten der UNESCO-Konvention gegen illegalen Handel mit Kulturgut von 1970.

Voraussetzung der Erteilung der Rückgabegarantie ist stets die Offenlegung der Herkunft des Werks und die Publikation des Antrags.

Damit ist gewährleistet, dass allfällige Berechtigte ihre Ansprüche geltend machen können.

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