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Schweizer Rahm auf der Reise durch Europa

In einer internationalen Aktion prangern Umwelt-Organisationen absurde Transporte quer durch den Kontinent an.

Es mag komisch anmuten, was alles die Alpen quert. Doch unter gewissen Bedingungen scheinen die Transporte zwingend.

Die Aktion unter dem Patronat der “Europäischen Verkehrsinitiative” (ITE) findet Freitag und Samstag in Italien, Frankreich, Österreich und der Schweiz statt. Die Alpen-Initiative lädt für Samstag zu einem “Fest des Widerstandes” ins transportgeplagte Urnerland, nach Göschenen.

Beispiele gibt es viele

Beinahe schon zum Mythos geworden sind die Kartoffeln, welche in Polen geerntet werden, in Griechenland gewaschen, in Deutschland geschnitten und schliesslich in Nordeuropa als tiefgefrorene Pommes Frites in die Läden gelangen.

Weiter gibt es die Krustentiere, in Skandinavien aus dem Meer gefischt: Sie werden nach Marokko transportiert, wo sie geschält werden, um schliesslich wieder in Nordeuropa ihre Konsumenten zu finden. Ein Joghurt durchquert während den verschiedenen Verarbeitungsschritten Europa bis zu 15 Mal.

Die Tausenden von Lastwagen, die täglich die Alpen queren, sind ein deutliches Bild für die unzähligen Transporte durch Europa. Zum Leidwesen der Anwohner der Transitrouten.

“Schweizer” Rahm

Wir wollen Produzenten und Konsumenten zeigen, dass viele Transporte unnötig sind”, sagt Fabio Pedrina, Präsident der Alpen-Initiative, gegenüber swissinfo.

Um das zu erreichen, nimmt die Organisation ein Beispiel unter die Lupe: Schweizer Rahm wird per Lastwagen nach Belgien und Italien geschickt, um in Einweg-Spraydosen wieder hierzulande in der Verkaufsregalen der Grossverteiler zu enden.

“Das Produkt legt also etwa 2000 Kilometer zu viel zurück. Denn eine ähnliche Arbeit könnte auch hier bei uns gemacht werden”, sagt Pedrina.

Gesunder Menschenverstand und Gesetze des Marktes

Solches tönt in der Tat paradox. Doch in der Realität müsse, was absurd töne, es nicht unbedingt sein, wie Ernst Mohr, Professor für politische Ökonomie an der Universität St. Gallen, erklärt.

“Unnütze Transporte? – Das gibt es nicht. In der Wirtschaft kann man nur von vorteilhaften oder nachteiligen Transporten sprechen”, präzisiert Mohr.

“Jeder Produktionsschritt wird von einem Unternehmen, das nach ökonomischen Kriterien entscheidet, rational durchgedacht. Es ist eine Frage der Kosten. Aber verstehen wir uns recht: Wir leben in einem Konkurrenzsystem. Und deshalb ist es richtig, dass es so ist.”

Verdeckte Kosten

Das Problem ist, dass der Strassenverkehr, vor allem der Schwerverkehr, auch Lärm, Unfälle und Luftverschmutzung produziert. All diese Effekte sind in keiner Unternehmens-Kalkulation berücksichtigt.

Schätzungen gehen davon aus, dass allein für die Schweiz diese externen Kosten zwischen einer und drei Milliarden Franken betragen. Für ganz Europa ist die Rede von etwa 400 Mrd. Franken.

“Da liegt der Knackpunkt, deshalb sind viele dieser Transporte rentabel”, so Mohr. Damit liegt der Ball bei der Politik.

Ehrlichere Preise?

Welches ist die Rolle der Konsumenten? – Sie sind es ja (respektive wir sind es), die über das Schicksal eines Produktes entscheiden.

Es mangle da primär an Information, betont Monique Pichonnaz, Direktorin des Büros für Konsumentenfragen im Volkswirtschafts-Ministerium. “Auch der aufmerksamste Konsument hat Mühe, die Geschichte eines Produktes zu erfahren.”

Wir möchten eine Art Erziehung zum Konsum: Denn heute ist das bestimmende Element bei der Wahl der Preis.”

Auch Ernst Mohr kommt zum Schluss: “Wenn Preise zwar nicht die ganze Wahrheit zeigen, so sind die Konsumenten ebensowenig bereit, sich wirklich vernünftig zu verhalten.

Werden Transporte dereinst wirklich absurd? Das ist schwierig vorauszusagen. Die Rationalität der Mikroökonomie ist garantiert. Diejenige der Makroökonomie liesse sich wenigstens diskutieren.

Marzio Pescia
(Übertragung aus dem Italienischen: Eva Herrmann)

3,2 Prozent mehr Güter wurden 2001 durch die Alpen transportiert als 2000
Zwei Drittel davon sind Strassenverkehr
In der Schweiz ist der Güterverkehr auf der Schiene auf relativ hohem Niveau stabil geblieben

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