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Sicherheitsexperte warnt vor Chaos in Afghanistan

In Afghanistan herrscht weder in der Haupstadt noch im Landesinnern Sicherheit. Keystone

Laut einem Schweizer Sicherheitsexperten stehen die UNO-Friedenstruppen in Afghanistan auf verlorenem Posten.

Nach seiner Rückkehr von einer Informations-Mission in Kabul fordert der Schweizer Albert Stahel die UNO auf, die Kontrolle an das afghanische Volk zu übergeben.

In Afghanistan geht der Krieg fast zwei Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die Truppen der Koalition unter Führung der USA unvermindert weiter, wie Stahel in Erinnerung ruft.

Es seien mehrere falsche Beschlüsse gefasst worden, und es brauche dringend eine andere Politik, um Afghanistan Stabilität zu geben, so Stahel weiter.

“Die Afghanen werden immer wütender auf die Ausländer, weil die Amerikaner noch immer Krieg führen”, warnt Stahel, Politikwissenschafter und Militärstratege an der Universität in Zürich.

“Wenn Washington seine Politik nicht ändert, versinkt das Land immer mehr im Chaos. Wir können die Situation unmöglich retten.”

“Aber wenn die Afghanen die Möglichkeit bekommen, selber über ihr Land zu bestimmen, ist eine Zukunft möglich, denn es sind intelligente Leute, und sie wollen ihr Land auf jeden Fall wieder aufbauen.”

Kontrolle abgeben

Laut Stahel ist vor allem die fehlende Sicherheit in wie ausserhalb der Hauptstadt Kabul Besorgnis erregend.

Seiner Ansicht nach liegt das Problem liege darin, dass nur ein kleiner Teil des Landes unter Kontrolle der Regierung ist, die im Juni 2002 in einer Loya Dschirga, der traditionellen Versammlung der Stammesvertreter, bestimmt worden war.

Nichtregierungs-Organisationen und Friedenstruppen wurden in jüngster Zeit vermehrt angegriffen. Diese Angriffe werden lokalen Kriegsfürsten und Taliban-Kämpfern zur Last gelegt.

Im März wurde ein Angehöriger des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) erschossen, und letzte Woche wurden bei einem Selbstmord-Anschlag in Kabul vier deutsche Soldaten getötet.

Unkontrolliebrbare Kriegsfürsten?

Stahel glaubt nicht, dass diese Anschläge auf das Konto lokaler Kriegsfürsten gehen und bestreitet Gerüchte, wonach diese noch immer in einigen Teilen Afghanistans wüten.

“Es wird viel über die Kriegsfürsten erzählt, das meiner Meinung nach nicht stimmt. Es gibt vielleicht einige Kommandanten, die mit der Regierung und vor allem mit den ausländischen Soldaten nicht zufrieden sind, aber das ist alles”, erklärt Stahel.

“Ich kenne viele lokale Kommandanten, und man kann mit ihnen zusammenarbeiten. Das ist kein Problem. Ich finde, die Amerikaner sollten mit ihrem Privatkrieg im ganzen Land aufhören und die Afghanen ihre Probleme selber lösen lassen.”

Ohne Kontakt zur Bevölkerung

Ein weiteres Problem ist offenbar, dass die Soldaten der Internationalen Schutztruppen der UNO (ISAF) in schwer bewachten Unterkünften leben und von der lokalen Bevölkerung abgeschnitten sind.

“Man hat das Gefühl, dass diese Leute in feindlichem Territorium agieren. Ich finde, das Systems dieser Unterkünfte ist falsch.”

Dies bestätigte gegenüber swissinfo auch Major Ralph Ganter, einer der beiden Schweizer bei der ISAF, die in einem Lager ausserhalb von Kabul stationiert sind.

“Wir haben keinen wirklichen Kontakt mit der Bevölkerung. Wir sind vorwiegend im Lager und gehen nur für Patrouillen in die Stadt”, sagt der Major.

Stahel weist auch darauf hin, dass die afghanische Regierung praktisch bankrott sei, was die Sicherheitssituation im Land weiter erschwere.

“Die Soldaten haben seit sechs Monaten keinen Sold mehr erhalten. Das heisst, sie suchen verzweifelt nach Geld und verüben Raubüberfälle”, erklärt er.

swissinfo, Billi Bierling und Ramsey Zarifeh
(Übertragen aus dem Englischen von Charlotte Egger)

2001 stürzen die Truppen der Koalition das Taliban-Regime.
Afghanistan wird jetzt von einer Übergangsregierung geleitet, die im Juni 2002 in einer Loya Dschirga, der traditionellen Versammlung von Stammesvertretern, bestimmt wurde.
Hamid Karzai ist der Interimspräsident Afghanistans.
Afghanistan hat eine Bevölkerung von 24 Millionen Menschen.

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