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Später Akt der Gerechtigkeit

Paul Grüninger. Ein Bild aus dem Jahr 1970. Keystone Archive

Die schweizerischen Flüchtlingshelfer zur Zeit des Nazi-Regimes in Deutschland werden rehabilitiert. Die gegen sie verhängten Strafurteile werden aufgehoben.

Die Schweizer Regierung hat das entsprechende neue Bundesgesetz auf den 1. Januar 2004 in Kraft gesetzt.

1996 rehabilitierte das Bezirksgericht St. Gallen den 1940 entlassenen St. Galler Polizeikommandanten und Flüchtlingshelfer Paul Grüninger. Dies, nachdem jahrzehntelang der Mantel des Vergessens über den ehemaligen Polizeichef gelegt worden war.

Keine Genugtuung oder Schadenersatz

Grüninger ist der wohl bekannteste Fall eines geächteten Flüchtlingshelfers. Er war aber nicht der Einzige, der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Schweiz – der damaligen Rechtslage wegen illegal – half und deswegen verurteilt wurde.

Wie Grüninger, der verarmt starb, gerieten viele Helferinnen und Helfer durch die Verurteilung selbst in Not. Diese Urteile würden heute als eine schwere Verletzung der Gerechtigkeit empfunden, hält der Bundesrat fest.

Die Aufhebung von Strafurteilen begründet aber keinen Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung.

Fluchthelfer und Beherberger

Gemäss Bundesgesetz über die Aufhebung von Strafurteilen gegen Flüchtlingshelfer zur Zeit des Nationalsozialismus gelten als Flüchtlingshelfer Personen, die verurteilt wurden, weil sie verfolgten Menschen zur Nazi-Zeit zur Flucht verhalfen oder Flüchtlinge beherbergten, ohne sie den Behörden zu melden.

Das Gesetz sieht einen doppelten Mechanismus vor: Einerseits hebt es sämtliche rechtskräftigen Strafurteile der Militärjustiz sowie ziviler Strafgerichte des Bundes und der Kantone gegen Flüchtlingshelfer generell auf. Zudem rehabilitiert es alle Flüchtlingshelfer.

Gesuch stellen

Verurteilte Personen, Angehörige oder Organisationen können ab dem 1. Januar 2004 Gesuche an die Begnadigungs-Kommission der Bundesversammlung richten, die als Rehabilitierungs-Kommission wirkt. Die Kommission leitet die Gesuche ans Bundesamt für Justiz weiter, das Entscheidungs-Grundlagen für die Kommission erarbeitet.

swissinfo und Agenturen

Wer war Paul Grüninger?

Der St. Galler Polizeikommandant Hauptmann Paul Grüninger (1891–1972) rettete in den Jahren 1938 und 39 mehrere hundert jüdische und andere Flüchtlinge vor der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung.

Trotz schweizerischer Grenzsperre nahm er sie in St. Gallen auf, missachtete die Weisungen des Bundes und übertrat auch Gesetze, um die Flüchtlinge zu schützen.

1939 wurde Paul Grüninger von der St. Galler Regierung fristlos entlassen.

1940 wurde er vom Bezirksgericht St. Gallen wegen Amtspflicht-Verletzung und Urkundenfälschung verurteilt.

Er wurde verfemt und später vergessen. Bis zu seinem Tod lebte er in Armut.

Erst dreiundzwanzig Jahre nach seinem Tod erfolgte 1995 die Rehabilitierung.

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