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Sprachenstreit neu entfacht

Im Kanton Freiburg befürchtet man eine Kolonialisierung des französischsprachigen Territoriums durch Deutschschweizer. www.fribourgtourism.ch

Ein Entscheid des Bundesgerichts hat den Sprachenstreit im Kanton Freiburg neu entfacht. Französischsprachige haben Angst vor einer "Invasion aus der Deutschschweiz"

Das Bundesgericht hatte entschieden, dass ein Kind mit Deutschschweizer Eltern aus der Freiburger Gemeinde Granges-Paccot eine deutschsprachige Schule in der Stadt Freiburg besuchen kann. Voraussetzung war, dass die Eltern sämtliche Schulkosten übernehmen.

Die Freiburger Behörden bis hin zum Verwaltungsgericht hatten dies zuvor mit der Begründung abgelehnt, das Territorialitäts-Prinzip gehe der Sprachenfreiheit vor. In Granges-Paccot sind rund 30 Prozent der Bevölkerung deutscher Muttersprache.

Kolonialisierung?

Das höchstrichterliche Urteil von Ende Dezember erhitzt im zweisprachigen Kanton nun seit Wochen die Gemüter. In Leserbriefen ist etwa von einem “Diktat” oder sogar einem “juristischen Putsch” die Rede. Das Bundesgericht gebe damit den Deutschschweizern das Recht, das französischsprachige Territorium zu kolonialisieren, ereifert sich Denis Clerc, ehemaliger Staatsrat und Mitglied der Communauté romande du Pays de Fribourg.

Ungewöhnlich war auch die Intervention eines Kantonsrichters, der sich selber in den Zeitungsspalten äusserte. Die Bundesrichter hätten die Sprachensituation im Kanton völlig falsch eingeschätzt, schrieb er. Das Urteil erschüttere die Fundamente der Sprachenpolitik im Kanton und es drohe eine Ghettoisierung.

Unterschiedliche Interpretation

Weniger dramatisch stuft die Deutschfreiburgische Arbeitsgemeinschaft die Situation ein. Wie Vorstandsmitglied Jean-Pierre Anderegg sagte, wird das Territorialitäts-Prinzip von Romands und Deutschschweizern unterschiedlich interpretiert. Die Französischsprachigen hielten sich strikte an die Sprachgrenze, während es für die Deutschschweizer auch eine “gemischte Zone” gebe. Er sprach konkret die Zone zwischen Freiburg und Murten an, die immer zweisprachig gewesen sei.

Sprachenfreiheit nur für Reiche

Auch für Joseph Voyame, den ehemaligen Direktor des Bundesamtes für Justiz und Experte des Bundes in Sprachenfragen, ist das Urteil aus Lausanne teilweise problematisch. Er verwies aber darauf, dass das Bundesgericht bereits im Fall der Deutschschweizer Gemeinde Mörigen am Bielersee so entschieden habe.

Damals wollten französischsprachige Eltern ihr Kind nach Biel in eine französischsprachige Schule schicken. Auch in diesem Fall mussten die Eltern die Kosten übernehmen. Voyame sieht darin die Gefahr einer Zweiklassen-Gesellschaft: Lediglich Eltern, die es sich leisten könnten, Könnten damit von der Sprachenfreiheit profitieren.

Sprachenfreiheit vs. Territorialitäts-Prinzip

Im konkreten Freiburger Fall hätten es die Bundesrichter unterlassen, die örtliche Situation genauer unter die Lupe zu nehmen, sagte Voyame. So stelle sich die Frage, inwiefern das Französische als Mehrheitssprache in der Gemeinde Granges-Paccot durch diesen Entscheid gefährdet werden könnte. Voyame rief aber auch ein Urteil in Erinnerung, welches das Territorialitäts-Prinzip in den Vordergrund stellte. So wurde in Zürich die Einrichtung einer französischsprachigen Schule verboten.

Voyame wies darauf hin, dass sich in der Sprachenfrage zwei Prinzipien gegenüberstehen, die sich direkt konkurrenzieren können: Einerseits die in der Bundesverfassung festgeschriebene Sprachenfreiheit, andererseits das Territorialitäts-Prinzip, das die Sprachen der Minderheiten in ihren traditionellen Grenzen schützen wolle.

swissinfo und Agenturen

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