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Sri Lanka: Weg zum Frieden ist lang und steinig

Kriegsszene unweit des Ortes, wo Rebellenführer Prabhakaran getötet wurde. Reuters

Mit der militärischen Niederlage der separatistischen Tamilenrebellen endet ein 30-jähriger Bürgerkrieg mit über 70'000 Opfern. Der Graben zwischen den Singhalesen und den Tamilen bleibt tief, sagt ein Schweizer Friedensexperte.

Mit der Rückeroberung des gesamten Territoriums der Insel und dem gemeldeten Tod von Velupillaï Prabhakaran, dem Führer der tamilischen Befreiungstiger (LTTE), scheint der Sieg der Armee ein totaler zu sein.

Die Tür zur Versöhnung zwischen den Volksgruppen bleibt aber weiterhin verbarrikadiert, befürchtet Martin Stürzinger, bis letztes Jahr Berater für zivile Friedensförderung bei der Schweizer Botschaft in der Hauptstadt Colombo.

swissinfo: Könnten die Tiger nach dieser Niederlage auferstehen?

Martin Stürzinger: Militärisch hat die LTTE ihre Kampfkraft verloren. Aber die Organisation wird immer noch von einem Teil der Diaspora unterstützt.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die LTTE als politische Organisation ausserhalb Sri Lankas reorganisiert. Möglich sind auch weitere terroristische Anschläge auf der Insel.

Die Rebellen haben zudem tamilische Politiker, die nicht auf ihrer Linie waren, systematisch eliminiert. Damit haben sie die politische Handlungsfähigkeit der Tamilen geschwächt.

swissinfo: Die Tamilen im Ausland stehen immer noch hinter den Rebellen. Wie lange noch?

M.S.: Für eine Einschätzung ist es noch zu früh. Ich war aber überrascht, wie viele Transparente und Fahnen zugunsten der Tiger ich an den Kundgebungen in Genf und Bern entdeckte.

Selbst die zweite Generation in der Diaspora scheint die Guerilla zu unterstützen.

swissinfo: Ist der tamilische Separatismus mit der Tiger-Führung gestorben?

M.S.: In den letzten Tagen war zu lesen, dass die Gewalt und Kriegsverbrechen der Armee Sri Lankas eine friedliche Koexistenz zwischen singhalesischer Mehrheit und tamilischer Minderheit für immer verunmögliche.

Es gibt tatsächlich viele Hinweise auf schlimme Verletzungen des humanitären Völkerrechts in der Schlussoffensive der Regierungsarmee. Erhärten sich diese, könnte ein grosser Teil der Tamilen beschliessen, nie mehr unter einer sri-lankischen Regierung zu leben.

swissinfo: Was weiss man über die Pläne der Regierung betreffend der Tamilen?

M.S.: Diese hat stets versprochen, nach dem militärischen Sieg den Tamilen eine politische Lösung zu gewähren, etwa in Form einer Dezentralisierung.

swissinfo: In den letzten Wochen zeigte sich Colombo aber völlig verschlossen, was Vorschläge des Westens angeht. Wird dieser Kurs fortgesetzt?

M.S.: Die Regierung ist auf Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Insbesondere bei der Entminung, dem Wiederaufbau und der Hilfe für die Tausenden von Vertriebenen.

Colombo hat deshalb jüngst beim Internationalen Währungsfonds einen Kredit von 1,9 Mrd. Dollar beantragt. US-Aussenministerin Hillary Clinton hat aber klar gemacht, dass dieses Begehren zu einem ungünstigen Zeitpunkt komme. Die Regierung in Colombo ist also unter Druck.

swissinfo: Welche Rolle spielen Indien und China?

M.S.: Mit dem Sieg der Kongresspartei bei den Wahlen sollte das Gewicht Indiens zunehmen. Indien hat sich immer für Dezentralisierung der Macht auf Sri Lanka ausgesprochen.

China ist aktuell wichtigster Investor auf der Insel und könnte politisch ebenfalls eine Rolle spielen. Das Reich ist im Süden der Insel im Bereich Kohleabbau aktiv, deshalb liegen die chinesischen Interessen eher im ökonomischen und strategischen Bereich.

swissinfo: Und die Rolle der Schweiz, die als Gastgeberin von Gesprächen zwischen den Kriegsparteien fungiert hatte?

M.S.: Falls dies die Regierung Sri Lankas wünscht, stellen wir Expertenwissen im Bereich Friedensförderung und humanitäre Hilfe zur Verfügung. Die Schweiz verlangte ja bereits ungehinderten Zugang humanitärer Hilfeleistungen an Opfer und Vertriebene des Konflikts.

Frédéric Burnand, Genf, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Schweiz. Die tamilische Gemeinde in der Schweiz zählt über 40’000 Menschen.

Naturalisierte. Fast 15’000 von ihnen haben die Schweizer Staatsbürgerschaft erlangt.

Bern. Die Mehrheit der Tamilen lebt in der Deutschschweiz, hauptsächlich im Kanton Bern.

Waadt. In der Westschweiz leben rund 8000 Tamilen, 3000 davon im Kanton Waadt.

Flüchtlingswellen. Die grössten tamilischen Flüchtlingswellen gab es in den 1980er-Jahren.

Asylgesuche. Seit 2008 ist die Zahl der Asylgesuche sri-lankischer Staatsbürger angestiegen. In den ersten vier Monaten 2009 waren es deren 587.

Flüchtlingshilfe. Laut der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) hatte sich die Zahl der Asylgesuche schon 2008 verdoppelt, nämlich auf 1262. 2007 waren es 636.

Wegweisungen. 2008 wurden nur 170 Asylgesuche angenommen. 192 srilankische Bürger erhielten vorübergehend Asyl.

Wegweisungsstopp. Die SFH appellierte an die Schweizer Behörden, von negativen Entscheiden für tamilische Asylsuchende abzusehen und einen Wegweisungsstopp anzuordnen. Die abgelehnten Asylsuchenden werden immer noch zurückgeschafft.

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