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Stabilität und Wachstum auf dem Wunschzettel

Der deutsche Arbeitsmarkt ist dicht reguliert. Die Wirtschaft fordert eine Liberalisierung. Keystone

Die Schweizer Wirtschaft wünscht sich eine künftige deutsche Bundesregierung mit einem starken Fokus auf Wirtschaftswachstum, einem liberalen Arbeitsmarkt und Steuersenkungen. Wichtig seien auch stabile Verhältnisse und freie Exportwege.

“Wir mischen uns nicht in die deutsche Parteienpolitik ein”, sagt Fridolin Marty vom Wirtschaftsdachverband economiesuisse. “Stabile politische Verhältnisse beim grössten Handelspartner der Schweiz und gute Handelsbeziehungen haben für uns eine zentrale Bedeutung.”

“Die Bundestagswahlen vom 27. September haben für uns einen sehr hohen Stellenwert, denn sie sind eine zentrale Weichenstellung für die Ausrichtung der deutschen Wirtschaftspolitik in den kommenden Jahren”, sagt der Direktor der Handelskammer Deutschland Schweiz, Ralph J. Bopp.

Die Probleme Deutschlands hätten sich durch die Wirtschaftskrise verschärft, so Bopp: “Die Staatsverschuldung ist exorbitant gewachsen, auch während der Hochkonjunktur ist es nie gelungen, die Vollbeschäftigung herbeizuführen. Der Aufschwung in den neuen Bundesländern ist noch nicht selbsttragend. Die demographische Entwicklung – Stichwort Überalterung – wird in den kommenden 15 Jahren massive Auswirkungen haben.”

Liberale Rezepte

Deshalb müsse die Politik sich klar auf eine Wachstumsstrategie ausrichten und entsprechende wirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen: “Es gibt keine Alternative. Das ganze Steuersystem muss dringendst transparenter gemacht werden. Die Steuern müssen gesenkt, der Arbeitsmarkt flexibilisiert und die Lohnnebenkosten gesenkt werden”, so Bopp.

Eine bürgerliche Mehrheit und damit eine Koalition der CDU/CSU mit der liberalen FDP liegt laut den Umfragen im Bereich des Möglichen. Sie entspräche auch den Wünschen von grossen Teilen der deutschen Wirtschaft.

So prophezeit Joachim Paech, Vorstand bei der Investmentbank Silvia Quandt: “Ein christliberaler Sieg dürfte vom Aktienmarkt besonders positiv aufgenommen werden. Je stärker die FDP mit ihrem unternehmensfreundlichen Steuerkonzept abschneidet, desto besser für den Mittelstand.”

Christen gegen “neoliberales Streichkonzert”

“Im Moment kann keiner sagen, wie der Wähler am 27. September entscheidet”, gibt Bopp zu Bedenken. “Entscheidend ist, dass man an der Reformwilligkeit ansetzt.”

Dass es allerdings die FDP – auch wenn sie es zum Koalitionspartner der wählerstarken CDU/CSU schaffen sollte – nicht leicht haben wird, ihr neoliberales Programm durchzubringen, zeigen Aussagen von Exponenten der CDU/CSU.

Wenn der Parteichef der FDP, Guido Westerwelle, glaube, es werde “nach der Wahl ein neoliberales Streichkonzert geben, lernt er den Widerstandsgeist der CSU kennen”, sagte kürzlich CSU-Chef Horst Seehofer.

Und der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) erklärte, er sei dagegen, “die Menschen mit einer Debatte über den Kündigungsschutz zu verunsichern” und fügte an: “In einer schwarz-gelben Koalition wird die CDU dafür sorgen, dass nicht alles der Logik des Marktes unterworfen wird.”

Prägende katholische Soziallehre

Laut dem in Stuttgart geborenen Politologen Klaus Armingeon von der Universität Bern haben die unterschiedlichen Positionen der bürgerlichen Parteien CDU/CSU und FDP historische Gründe: “Die CDU und die CSU sind immer noch stark von der katholischen Soziallehre geprägt. Das konservative Modell misstraut dem Markt und stützt die Familie stark. Es gibt auch in der CDU/CSU Kräfte, die auf Neoliberalismus setzen, die sind aber in der Partei nicht mehrheitsfähig.”

Schweizerische Zurückhaltung

Laut Ralph J. Bopp gibt es auch in der bürgerlichen CDU “etatistische Ansätze”: “Die Anpassungsprobleme in den neuen Bundesländern sind grösser, als man vor Jahren erwartet hat. Transferzahlungen müssen geleistet werden und sind in der richtigen Dosierung auch kein falscher Weg.”

Bopp wünscht sich von der deutschen Politik “einen verlässlichen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte. Die Exportwege müssen frei bleiben. Dem Protektionismus muss man eine klare Absage erteilen. Da arbeitet man insgesamt ja auch dran”.

economiesuisse wünsche sich eine wirtschaftsfreundliche deutsche Politik, “egal von welchen Parteien die gemacht wird”, wie Fridolin Marty betont. Es liege jedoch auf der Hand, “dass ein liberaler Wirtschaftsdachverband den liberalen Parteien näher steht”.

Andreas Keiser, swissinfo.ch

Die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland haben im Jahr 2008 noch einmal Rekordwerte erreicht.

Die Schweiz lieferte Waren im Wert von 41,8 Mrd. Franken nach Deutschland, das sind 1,6% mehr als 2007.

Die Importe vom nördlichen Nachbarn stiegen um 4,3% auf 64,9 Mrd. Franken. Das gesamte Handelsvolumen belief sich für 2008 auf 106,7 Mrd. Franken.

Deutschland blieb 2008 mit Abstand wichtigster Handelspartner der Schweiz, mit einem Exportmarktanteil von 20,3%, vor den USA mit 9,4%.

Auch beim Import zeigt sich, dass die Schweiz am meisten Güter aus Deutschland bezog, mit einem Anteil von 34,9%, gefolgt von Italien mit 11,6%.

2009 haben die Importe und die Exporte zwischen der Schweiz und Deutschland wegen der Wirtschaftskrise markant abgenommen. Allein im Januar und Februar kumuliert um 19,6%.

Generell ist der Schweizer Aussenhandel 2009 stark eingebrochen. So sanken im Juli die Exporte um 16% und die Importe um 18%.

Auf dem Weg der Besserung sieht Axel Nitschke, Aussenwirtschafts–Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages die deutsche Exportwirtschaft.

“Wir sind jetzt runter von der Intensivstation, liegen aber noch auf dem Krankenbett”: So kommentierte Nitschke den Umstand, dass die Ausfuhren im Juni 2009 mit 7% im Vergleich zum Vormonat so stark gestiegen sind wie seit knapp drei Jahren nicht mehr.

Die weltweiten Konjunkturprogramme und die Zinssenkungen der Notenbanken trügen erheblich zur Genesung bei, so Nitschke. Allerdings sei das Niveau noch immer niedrig: “Die Krise hat uns um drei Jahre zurückgeworfen.”

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