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Steuerflucht: Bern setzt auf bilaterale Lösungen

Der Bundesrat will unversteuerte Gelder auf Schweizer Banken regularisieren. Keystone

Trotz des Drucks auf den Schweizer Finanzplatz will der Bundesrat mit jedem Land einzeln über den Umgang mit unversteuertem Geld verhandeln. Den automatischen Informationsaustausch schliesst er weiterhin aus.

Es gebe keine Massnahmen, die mit einem Schlag alle Probleme lösten, sagte Finanzminister Hans-Rudolf Merz vor den Medien.

Jedes Land habe eine andere Ausgangslage und innerhalb der EU sei noch keine Einigung erzielt worden. “Die EU ist noch nicht so weit”, sagte der Finanzminister. Bilaterale Lösungen seien deshalb Erfolg versprechender.

Verhandeln will der Bundesrat sowohl über die Regularisierung der unversteuerten Gelder als auch über den Umgang mit neuen Geldern. “Wir müssen hinausgehen und verhandeln”, sagte Merz. Wie weit die Schweiz dabei gehen will, verriet er nicht. “Wer gibt schon seine Verhandlungsposition von Anfang an preis?”, lautete seine Antwort auf eine entsprechende Frage.

Als Beispiele für mögliche Lösungen nannte der Finanzminister die Abgeltungssteuer, die Erweiterung der Zinsbesteuerung sowie Amnestielösungen.

Welche Varianten er bevorzugen würde, wollte Merz nicht sagen. Es gebe keinen Königsweg, stellte er fest. Zum Zeitplan hielt er sich ebenfalls bedeckt. Die Abgeltungssteuer werde wohl “demnächst” mit Deutschland thematisiert.

Kein automatischer Informationsaustausch

Deutlich wurde an der Medienkonferenz jedoch, was der Bundesrat ausschliesst: Der automatische Informationsaustausch, der seitens der EU gefordert wird, kommt für ihn nicht in Frage. Er will laut Merz an der Wahrung der Privatsphäre von Bankkunden – also am Bankgeheimnis – festhalten.

Ebenfalls vom Tisch ist der Plan, im Gegenzug für Konzessionen beim Bankgeheimnis ein Dienstleistungsabkommen mit der EU auszuhandeln.

Der Bundesrat strebt zwar einen verbesserten Marktzutritt für Finanzdienstleister an, will aber kein umfassendes Dienstleistungsabkommen. “Wir haben das verworfen, das Thema ist erledigt”, sagte Merz. Die Verhandlungen wären “zu komplex”.

Schliesslich steht laut Merz nicht zur Diskussion, in der Schweiz die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug aufzuheben. Neben kantonalen Finanzdirektoren hatte sich jüngst Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf für diesen Schritt ausgesprochen.

Merz sagte dazu, die Forderung komme zum falschen Zeitpunkt und im falschen Kontext. Die Frage werde sich allenfalls im Zusammenhang mit dem geplanten Amtshilfegesetz wieder stellen. Mit diesem Gesetz soll die Umsetzung der neuen Doppelbesteuerungsabkommen geregelt werden.

Keine unversteuerten Vermögen

Der Bundesrat habe an der Klausursitzung vom Mittwoch den eingeschlagenen Weg bekräftigt, sagte Merz. Den Kern bilden die neuen Doppelbesteuerungsabkommen nach OECD-Standard, die Amtshilfe nicht nur bei Steuerbetrug, sondern auch bei schwerer Steuerhinterziehung zulassen.

Dies sei der “Weltstandard”, sagte Merz. Der Schweizer Finanzplatz stehe auch in Konkurrenz mit den Finanzplätzen der USA und des Fernen Ostens, gab er zu bedenken. “Wir müssen das global im Auge behalten, es gibt nicht nur die EU.”

In der Mitteilung zur Klausursitzung hält der Bundesrat fest, er lehne unversteuerte Gelder auf Schweizer Banken ab und befürworte eine “weitgehende Kooperation” bei Steuerdelikten. Der Bundesrat richte seine Finanzmarktstrategie auf die Verwaltung von versteuerten Vermögen aus.

Die unversteuerten Vermögen, die auf Schweizer Bankkonten liegen, seien “unter Wahrung der Privatsphäre” zu regularisieren. Um zu verhindern, dass neue unversteuerte Gelder in die Schweiz gelangten, werde das Finanzdepartement “Lösungsvarianten” ausarbeiten.

Brüssel fordert gleich lange Spiesse

Für seine am Donnerstag formulierte Finanzmarktstrategie dürfte der Bundesrat in der Schweiz zwar Beifall ernten – insbesondere bei den bürgerlichen Parteien, die auf die Abgeltungssteuer setzen. In der EU wird er es damit jedoch nicht leicht haben.

Die EU-Kommission hielt am Donnerstag umgehend fest, dass sie die Einführung des automatischen Informationsaustauschs weiter vorantreiben werde.

Das sei der beste Weg, die Besteuerung nach den Ansätzen des Wohnsitzlandes des Steuerpflichtigen zu gewährleisten. “Die Kommission wird sich darum weiter darum bemühen, den automatischen Informationsaustausch so breit wie möglich durchzusetzen”, heisst es in der Mitteilung aus dem Büro von EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta.

Es sei im Interesse aller EU-Staaten, gleich lange Spiesse wie die Schweiz zu haben. Darum werde die Kommission auch auf ein einziges Abkommen hinarbeiten. Abkommen einzelner Länder mit der Schweiz würden diese Bemühungen untergraben, warnt die Kommission.

EU-Botschafter Michael Reiterer hält im Umgang mit unversteuerten Vermögen bilaterale Verträge zwischen der Schweiz und EU-Ländern für ausgeschlossen. Die Handelspolitik sei gemäss dem Lissabon-Vertrag eine ausschliessliche Zuständigkeit der Union, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur SDA.

Auch die Abgeltungssteuer ist für Reiterer nicht der richtige Weg. Statt Transparenz strebe man mit der Abgeltungssteuer an, die Identität der Steuerpflichtigen zu verbergen, so Reiterer.

swissinfo.ch und Agenturen

Der automatische Informationsaustausch, den der Bundesrat ablehnt, existiert in der Europäischen Union bereits seit Sommer 2005. Er stellt sicher, dass sich Steuerpflichtige in der EU nicht mehr von der Versteuerung ihrer Zinseinnahmen drücken können.

Die Datensätze, die seither zwischen den Ämtern der einzelnen EU-Länder ausgetauscht werden, bestehen jeweils aus vier Angaben. Neben dem Namen und des Wohnsitzes des Steuerpflichtigen, dem Namen der Bank und der Kontonummer wird auch die Höhe der geleisteten Zinszahlungen mitgeteilt.

Angaben zu einzelnen Gut- oder Lastschriften auf den Konten werden nicht gemacht. Auch die Höhe des auf den Konten liegende Vermögen wird vom automatischen Informationsaustausch nicht erfasst.

Allerdings können die Behörden aufgrund der Höhe der Zinszahlungen Rückschlüsse darüber ziehen, ob die Steuerpflichtigen ihr Vermögen korrekt deklariert haben.

Der automatische Informationsaustausch ist in einer 2003 vom Europäischen Rat verabschiedeten Richtlinie geregelt und für die EU- Mitglieder verbindlich. Die Richtlinie trat allerdings erst in Kraft, als auch die Schweiz in eine Besteuerung der Zinsen eingewilligt hatte. Mit diesem Passus hat die EU eine Kapitalflucht in Länder wie die Schweiz, Liechtenstein, Andorra oder Monaco verhindern wollen.

Im Zinsabkommen, das Teil der “Bilateralen II” ist, hat sich die Schweiz zur schrittweisen Einführung einer Quellensteuer von 35% auf Zinseinnahmen verpflichtet.

Weil so zwar die Steuereinnahmen fliessen, aber keinerlei Informationen zu den einzelnen Kontoinhabern weitergereicht werden, ist die Quellensteuer für die Behörden in den EU-Ländern nicht gleich wertvoll wie der automatische Informationsaustausch.

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