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Stolzer Preis für Überlängen

Alberto Giacomettis "L homme qui marche" erzielt Rekordpreis in London. Reuters

Sotheby’s in London hat Alberto Giacomettis "L’homme qui marche I" für 104,3 Mio. US-Dollar versteigert. Der Verkaufspreis für die lebensgrosse Bronze-Plastik war fünfmal höher als erwartet. Sie avanciert damit zum teuersten je versteigerten Kunstwerk.

Die Bieter im Saal für die von der deutschen Commerzbank zum Verkauf angebotene filigrane Figur gingen leer aus. Der Kampf um Giacomettis grossen Wurf war kurz. Nach nur acht Minuten bekam ein unbekannter Käufer den Zuschlag, der sich an der Auktion am Telefon vertreten liess.

Berichterstatter verwendeten für die Auktion Kriegsrhetorik. Die Rede war von einer “Bieterschlacht” und einem “Gefecht” für die elegante Skulptur, welche auch die Rückseite der Schweizer Hundert-Franken-Note ziert.

Sachverständige rätseln über den Preis, den der “Schreitende Mann” von Alberto Giacometti bei Sotheby’s erzielt hat. “Kunstliebhaber, die an Auktionen mitbieten, sind Triebtäter”, erklärt Christian Klemm, der Leiter der Giacometti-Stiftung in Zürich”, gegenüber swissinfo.ch. Bisher galt Pablo Picassos “Junge mit Pfeife” mit 104,1 Mio. US-Dollar als das teuerste Versteigerungs-Objekt.

Wenn zwei sich hochschaukeln

Christian Klemm von der Zürcher Giacometti-Stiftung versucht sich den
Höchstpreis für eines der wichtigsten Werke des Schweizer Plastikers zu erklären: “Wenn sich am Telefon zwei superreiche Bieter hochschaukeln, entstehen derart abgehobene Preise. Der Mensch ist halt irrational.”

Der versteigerte “Schreitende Mann” von Alberto Giacometti war im Besitz der Commerzbank. Die Plastik stand bis zum Verkauf am Hauptsitz der Dresdner Bank im sechsten Stock einer Konferenzetage. Das Werk war für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die Dresdner Bank wurde 2009 als Folge der Finanzkrise von der Commerzbank übernommen.

Mehrere “Schreitende Männer”

Giacometti’s schreitender Mann gibt es in verschiedenen Ausführungen, wie der Experte Christian Klemm zu berichten weiss. Alberto Giacometti liess von zwei Rohfassungen des “Schreitenden Mannes” je sechs Bronze-Abgüsse herstellen. Diese sind als gleichwertig zu erachten”. Weitere Exemplare des “Schreitenden Mannes” befinden sich in Museen in den USA und in Schweden. In der Schweiz ist der “Schreitende Mann” bei der Fondation Beyeler” zu sehen.

Kann sich der Verkauf einer weiteren Ausgabe der Plastik des “Schreitenden Mannes” wiederholen? “Das erachte ich als unwahr-scheinlich”, meint Ulf Küster, der Kurator der Fondation Beyeler gegenüber swissinfo.ch. “Alle Giacometti-Plastiken im Museumsbesitz gelten als unverkäuflich. Das wird ein Grund dafür sein, dass das von Sotheby’s versteigerte Exemplar im Privatbesitz den exorbitanten Preis erzielen konnte.”

“Schreitender Mann” an New York inspiriert

Die Entstehungsgeschichte des “Schreitenden Mannes” ist abenteuerlich. 1960 war Alberto Giacometti zusammen mit Alexander Calder eingeladen, für das New Yorker Chase Manhattan Plaza verschiedene Bronze-Skulpturen zu entwerfen. Das Projekt kam nicht zum Tragen.

Alberto Giacometti hatte bereits verschiedene Figuren und Köpfe für das Chase Manhattan Plaza Projekt modelliert – unter ihnen auch den “Schreitenden Mann”. “Das Ensemble von Figuren, das später in Bronze gegossen wurde, kann heute in den Ausstellungsräumen der Fondation Beyeler bewundert werden”, sagt Ulf Küster.

Offenbar liess Giacometti das Plaza-Projekt in Manhattan nicht los. Als der Künstler 1965 zum ersten für die Ausstellung seiner Werke im Museum of Modern Art nach New York reiste, war Giacometti von der Monumentalität der Wolkenkratzer beeindruckt. Sein „Schreitender Mann“ schien ihm aus dieser Perspektive zu klein. Alberto Giacometti plante eine acht Meter grosse weibliche Plastik. Sie konnte nicht ausgeführt werden; Alberto Giacometti starb 1966.

Erwin Dettling, swissinfo.ch

Als Bestandteil der Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank werden die gemeinnützigen Stiftungen der beiden Banken zusammen geführt.

Das Bankinstitut stellt rund 100 bedeutende Werke der Klassischen Moderne sowie Kunst der Gegenwart den Museen in Frankfurt, Dresden und Berlin als unbefristete Dauerleihgaben zur Verfügung.

Mit dem erzielten Verkaufserlös von 104 Mio. US-Dollar für die Skulptur ‘L’homme qui marche I’ beabsichtigt die Commerzbank , das neu gegründete Stiftungszentrum zu stärken.

Alberto Giacometti wird am 10. Oktober 1901 im Dorf Borgonovo im Kanton Graubünden geboren.

Unter Anleitung seines Vaters Giovanni malt und modelliert Alberto erste Werke.

Ab 1919 widmet er sich ganz der Kunst. Bis 1920 studiert an der Genfer Kunstgewerbeschule.

Ab 1922 erhält er von Antoine Bourdelle an der Pariser Académie de la Grande Chaumière entscheidende künstlerische Prägungen.

Sein Frühwerk trägt archaisierende Züge elementarer Kraft.

Ab 1930 nähert er sich der surrealistischen Bewegung an. In dieser Zeit entstehen “Objets”.

Räumlich deuten sich in Giacomettis Werk die extremen Überlängen seiner Figuren an, die zunehmend Kennzeichen seines Werks werden.

Ab 1945 schafft er fragile, fast körperlose und zerbrechliche Bronzefiguren.

Während der Kriegsjahre lebt Giacometti in Genf,

1945 kehrt er wieder nach Paris zurück, wo er bis zu seinem Tod 1966 lebt und arbeitet.

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