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Stones-Sound über Zürich

Die Stones in voller Fahrt! Keystone

Vor 42'000 erst am Schluss restlos begeisterten Fans boten die Stones einen würdigen Abschluss ihrer "Forty Licks Tour".

Wer allerdings die Rollling Stones der 60er hören wollte – und es waren nicht wenige – war von der Wahl der Stücke etwas enttäuscht.

1967

Ein ungewöhnlicher Apriltag für mehr als 10’000 junge Leute: Die Rolling Stones spielen im Zürcher Hallenstadion. Die karge Bühne liegt hoch oben. Ein vieltausendfacher Schrei geht durch das alterwürdige Gebäude. Da stehen sie: Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Bill Wymann und Charlie Watts.

Jagger wirft einige Blumen ins durchdrehende Volk, tritt ans Mikrofon und wird sogleich von einem Kerl, der auf die Bühne drang, umgerissen. Die Rolling Stones fliehen von der Bühne kehren wieder zurück. Spielen ihre halbe Stunde zu Ende. Niemand hört was. Die Fans überbrüllen die miese Verstärkeranlage.

Keine Bühnenshow. Die Stars sind die Show. Das Licht wechselt nie. Es ist wie beim Boxen. Die Stones verlassen die Bühne. Ein letzter Aufschrei aus dem Publikum. Keine Zugabe. Wir haben eine der ganz grossen Bands unserer Zeit erlebt.

2003

Die Welt hat sich seither 36 Jahre weiterbewegt. Ein föhnbedingt milder Oktobertag legt seine Nacht über das Fussballstadion Letzigrund. 42’000 Fans haben 134.50 Franken für den Steh- und 243.40 Franken für den Sitzplatz auf der Tribüne bezahlt.

Alle warten sie auf die Stones. Die meisten sind zwischen 30 und 50 Jahre alt. Viele schon darüber. Jüngere hat es nicht so viele. Ganz junge praktisch keine.

Es sind etwa die Väter oder Mütter mit ihren Kindern da. Meist zu zweit. “Wir wären gerne zu viert gekommen, aber das hätte rund tausend Franken gekostet”, sagt ein Mann aus St. Gallen. “Die Stones sind mir viel wert, aber so viel dann doch nicht.”

Die monströse, fast etwas martialische Bühne wird dunkel. Die grossen Scheinwerfer, die sonst den FC Zürich beleuchten, werden abgeschaltet. Basstöne werden laut, der Lärmpegel steigt. Die Leute pfeifen. Doch der Sound aus der riesigen Anlage übertönt sie alle.

Ein Knall: Da sind sie: Mick Jagger, Keith Richards, Ron Wood und Charlie Watts samt 8 Mitmusikern und einer Sängerin. Drei Töne und der typische Stones-Sound liegt über Zürich und wird sich gute zwei Stunden an Ort halten: Dieser von Richards Gitarre geprägte rollende und treibende am R&B orientierte Rock and Roll.

Fit for fun

“Brown Sugar” das erste Stück. Mick Jagger beginnt seine Achtung heischende Joggingtour mit Gesangseinlage. Der Mann wirkt fit. Gekleidet anfänglich in einen dracularoten Mantel.

Keith Richards, erst ab dem dritten Stück mit Zigarette, aber von Beginn weg mit Stirnband. Die Haare sind dünner geworden. Ein Gesicht wie eine Lötschentaler-Maske.

Ron Wood sieht von weitem immer noch aus wie bei den Faces. Und Charlie Watts mit weissem Haar erinnert an einen Grand-Seigneur am Jazz-Schlagzeug.

Die Stücke folgen Schlag auf Schlag – nicht aber ohne den doch etwas in die Jahre gekommenen Herren dazwischen eine Verschnaufpause zu gönnen: Start me up – You got me rocking – Don’t Stop – Angie – You can’t always get what you want – Midnight Rambler – Tumbling Dice – Slipping away – Happy (gesungen von Richards) – Sympathy for the devil – Its’s only Rock n’ roll – Hootchie Cootchie Man – Street fighting Man – Gimme Shelter – Paint it black – Honky Tonk Woman – Satisfaction – Jumpin’ Jack Flash.

Satisfaction, das Highlight

Das Publikum geht mit. Allerdings, alle Dämme brechen erst ganz am Schluss. Als Keith Richards sein legendäres Riff hin zu Satisfaction intoniert. Da hält es niemanden mehr am Platz. Das Stadion tobt. Die Stones sind da angekommen, wo sie trotz allem hingehören: in die 60er.

Die Stones haben einen Spagat versucht, um allen etwas zu bieten aus ihrem 40jährigen Schaffen. Und das hat vor allem bei all denjenigen, welche die Rolling Stones seit ihren Anfängen kennen, leichte Enttäuschung ausgelöst.

Für sie gibt es eben zwei Bands: Die Rolling Stones mit Brian Jones, der die Musik stark beeinflusste und diejenigen Stones nach dem Tod von Jones. Satisfaction und Paint it black sei etwas wenig gewesen aus dieser Zeit, hörte man auf dem Nachhauseweg immer wieder.

Zahlreiche Höhepunkte

Doch gesamthaft waren – abgesehen von einigen Längen – wahre Perlen auszumachen. “Sympathy for the devil” war ein solcher.

Die Bühne verwandelt sich in eine Ölraffinerie des Teufels, aus der meterhohe Flammen in den Nachthimmel fahren. Die Band im Nebel. Pech und Schwefel ist förmlich zu riechen. Ein Highlight.

Oder die gelunge Bühnen-Verlagerung. Auf einem Laufsteg, Händchen schüttelnd, laufen die Stones auf eine kleine, intime Bühne mitten im Menschenmeer. So als wollten sie zeigen, “seht, so haben wir begonnen”. Ein perfektes “Street fighting Man” erschallt. Dargebracht von Millionären, denen man die Lust am Spielen während dem ganzen Konzert ansieht.

Diese Lust war, trotz Routine, nicht nur gespielt. Das Lachen und gegenseitige Unterstützen wirkten echt. Und als Mick Jagger tatsächlich nach “Brown Sugar” das volle Stadion in perfektem Schweizerdeutsch begrüsste, hatte er uns alle im Sack: “Grüezi, schön wieder einisch da dsi.”

Überhaupt, es war bemerkenswert, über welche Stimme Jagger während des ganzen Abends verfügte. Nie hatte man das Gefühl, sie breche. Höchstens bei den ganz hohen Lagen wurde er von Backgroundsängerin Lisa Fischer unterstützt.

Band vorgestellt

Sympathisch auch – und keiner hat es wohl in dieser Form erwartet -, dass Jagger betonte, Zürich sei das letzte offizielle Konzert auf der “Forty Licks Tour”. Und dann begann er die Sängerin und die Musiker einzeln vorzustellen. Mick Jagger stellt Keith Richards vor. Irgendwie ein bewegender Moment.

Dass es diesem Keith auch wohl war, unterstrich er mit zwei Songs, die er zum Besten gab. Er hat mal gesagt, er singe auf der Bühne nur, wenn er happy sei.

So ging denn ein Rolling Stones Konzert mit den Gewaltsversionen von “Satisfaction” und “Jumping Jack Flash” und einem obligaten Feuerwerk zu Ende.

Ein Konzert, das eigentlich nur einen Tiefpunkt kannte: die bildliche Untermalung von “Honky Tonk Woman” auf der Riesenleinwand. Unnötig, geschmacklos und machohaft. Eine Ader, welche den Stones offenbar noch nicht ganz abhanden gekommen ist. Da wirken sie alt.

Sind sie das? Sind die Stones nun alt, eine Karikatur ihrer selbst, wie das etwa zu hören oder zu lesen war?

Keineswegs! Im Gegenteil!

Möglicherweise wollten sie uns mitteilen, zu was man es in 40 Jahren bringen kann, wenn hart gearbeitet wird und das Marketing stimmt.

swissinfo, Urs Maurer, Zürich

Die “Forty Licks Tour” begann am 2. September 2002 in Boston, USA. Sie endete offiziell in Zürich am 2. Oktober 2003. Einige Zusatzkonzerte in Asien sind noch möglich.

Während der Tour durch die USA, Australien, Asien und Europa traten die Rolling Stones insgesamt 140 mal auf.

450 Personen waren damit beschäftigt, das Konzert und die Bühne im Letzigrund vorzubereiten. Die Bühne war 60m breit, 30m tief und 27m hoch.

Als Dokument zur “Forty Licks Tour” erscheint am 10. November eine 4 DVD-Box mit Konzert-Ausschnitten (New York, London und Paris). Mit dabei die Gäste, die zusammen mit den Stones auf der Bühne auftraten (Sheryl Crow, Angus und Malcolm Young von ACDC, Soulsänger Salomon Burke, etc.).

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