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Doppelbesteuerung von Erbschaften: Zehn bittere Jahre für Schweizer:innen in Frankreich

Eveline Widmer-Schlumpf unterzeichnet das Steuerabkommen
Im Juli 2013 unterzeichneten die Finanzminister der Schweiz und Frankreichs das neue bilaterale Erbschaftssteuerabkommen. Es sollte ein Jahr später von den Schweizer Parlamentarier:innen abgelehnt werden. KEYSTONE/MAXPPP/Christophe Petit Tesson


Vor zehn Jahren wurde das französisch-schweizerische Abkommen zur Doppelbesteuerung in Erbfällen ausgesetzt. Eine bittere Pille für Schweizer:innen, die in Frankreich wohnen, aber auch für alle Eidgenoss:innen, die Vermögenswerte in Frankreich besitzen. Eine Analyse.

Im Juli 2012 unterzeichnete die damalige Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf mit ihrem französischen Amtskollegen Pierre Moscovici eine neue Vereinbarung zur Besteuerung von Erbschaften. Den anwesenden Journalist:innen flüsterte sie nebenbei zu: «Ich hätte die alte Vereinbarung lieber beibehalten.»

Das neue Abkommen, das nur ein Jahr später wieder aufgehoben wurde, sollte die Steuersituation zahlreicher Schweizer:innen in Frankreich auf den Kopf stellen. Seither werden Erbschaften nicht mehr im Land der verstorbenen Person besteuert, wie dies vorher gemäss Vereinbarung von 1953 der Fall war, sondern im Aufenthaltsland der Erbenden.

Während Schweizer Kantone einen Nachlass kaum oder gar nicht besteuern, erhebt Frankreich eine Abgabe von bis zu 45%. Auch wer in der Schweiz lebt, in Frankreich aber Vermögenswerte in einer Privatimmobiliengesellschaft («Société civile immobilière», SCI) hält, kommt nicht besser weg und wird ebenfalls von Paris aus besteuert.

Seit das Schweizer Parlament 2014 diese neue Vereinbarung verworfen hat, gibt es für Erbschaften kein bilaterales Abkommen zwischen den beiden Ländern mehr – ein juristisches Vakuum, das seit nunmehr fast zehn Jahren besteht.

Jean-François Rime, damals Nationalrat der rechtskonservativen SVP, kritisiert die frühere Finanzministerin heute scharf: «Frau Widmer-Schlumpf hat in Paris einfach klein beigegeben.» Aber hatte sie denn eine Wahl? Damals übte die Europäische Union, insbesondere Frankreich, enormen Druck auf die Schweiz aus, ihre Steuerprivilegien und das Bankgeheimnis aufzugeben.

Grenzgänger:innen: Rückkehr lohnt sich kaum

Inwiefern diese steuerpolitische Kehrtwende Schweizer:innen in Frankreich zu einer Rückkehr in die Heimat bewegt hat, lässt sich nur schwer abschätzen. «Herr und Frau Schweizer reden nicht gern über Geld, oder höchstens innerhalb der Familie», erklärt Françoise Millet-Leroux, Präsidentin der Union der Schweizer Vereine in Frankreich (USAF).

«Es gab eine Abwanderungswelle von Erbenden, deren Eltern in der Schweiz wohnhaft waren – aber nicht unbedingt in die Schweiz», erläutert Aubin Robert, Steuerexperte bei Avacore Wealth Planning in Genf.

«Immer wieder kommen Grenzgänger:innen mit Eltern in der Schweiz zu uns und äussern den Wunsch, sich in Genf niederzulassen. Teilweise muss ich ihnen abraten, weil die Lebenshaltungskosten in der Schweiz den steuerlichen Vorteil einer eher geringfügigen Erbschaft grösstenteils zunichte machen.»

Tausende von Schweizer:innen, die hierzulande leben, halten in Frankreich Immobilien in Form einer Privatimmobiliengesellschaft, und die wird gemäss alter Vereinbarung im Land der verstorbenen Person besteuert. Das ursprünglich vorteilhafte Abkommen ist in den letzten zehn Jahren zu einer veritablen Steuerfalle geworden.

«Teilweise werden die Eigentümer:innen in Frankreich besteuert, bezahlen aber in der Schweiz ebenfalls Vermögenssteuern», führt der Genfer Steueranwalt Nicolas Zambelli aus.

Ohne Vereinbarung kommt es zunehmend zur Doppelbesteuerung, wie im Fall der Gebrüder Roux aus Lyon, über den die Medien ausführlich berichtet haben. Joël und Patrick Roux hatten von einem entfernten Cousin mit Wohnsitz Genf EUR 125’000 auf einem französischen Bankkonto geerbt.

Der Kanton Genf besteuerte das Vermächtnis indirekt mit 55%, gleichzeitig aber verlangte Frankreich aufgrund des entfernten Verwandtschaftsgrads nochmals eine Abgabe in Höhe von 60%. Vom Erbe sahen beiden Brüder keinen roten Rappen, stattdessen mussten sie dem Steueramt sogar noch EUR 19’000 zusätzlich abliefern.

>> Lesen Sie unseren Artikel über den Fall der Brüder Roux:

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«Das ist kein Einzelfall», meint Aubin Robert. «Ein in Genf verstorbener Mann hatte seine Ersparnisse auf einem französischen Konto. Seine Partnerin hätte in Frankreich 60% Steuern bezahlt – und in Genf nochmal 55%. Sie musste das Erbe deshalb ausschlagen.» Paris zieht den in der Schweiz besteuerten Anteil zwar ab, allerdings nur, wenn sich die Vermögenswerte nicht in Frankreich befinden.

Steuerflucht nach Italien statt in die Schweiz

Philippe Kenel ist Steueranwalt in Lausanne und arbeitet auch von Belgien aus. Bei ihm geben sich vermögende Französinnen und Franzosen, die dem Fiskus in Frankreich entfliehen wollen, die Klinke in die Hand.

«Die politische und steuerrechtliche Instabilität bringt die Leute dazu, auszuwandern», hält Kenel fest und verweist darauf, dass die französische Regierung sogar daran denkt, die Einkommenssteuer von 45% auf 49% weiter zu erhöhen. Auswandern – aber wohin? In die Schweiz, wie in den 1980er-Jahren, während der Amtszeit des sozialistischen Präsidenten François Mitterrand?

Eher nicht. Bleiben die zukünftig Erbenden in Frankreich, gibt es für vermögende Französinnen und Franzosen keinen Grund, sich in der Schweiz niederzulassen. «Oft zieht es sie nach Italien, dessen Vereinbarung mit Frankreich zur Erbschaftssteuer mehr oder weniger dem entspricht, was wir früher hatten.

Italien verlangt auf ein Vermächtnis an direkte Nachkommen nur 4% Steuern, da lohnt sich der Umzug», hält Kennel fest und zieht ein nüchternes Fazit: «Die Schweiz hat sich von Frankreich über den Tisch ziehen lassen.»

Aubin Robert bestätigt den Italientrend: «Die Steuerbelastung in Italien ist gering. San Remo liegt unweit von Monaco, man kann von dort also schnell in die Heimat zum Arzt. Auch der Flughafen Nizza liegt nur eine Autostunde entfernt. Mit Französisch kommt man in San Remo problemlos durch, und Immobilien sind deutlich günstiger als an der Côte d’Azur. San Remo hat alle Vorteile auf seiner Seite.»

Um wohlhabende Bürger:innen zusätzlich von einem Umzug in die Schweiz abzuhalten, will die französische Mitte-Rechts-Regierung wieder eine Auswanderungssteuer («Exit Tax») einführen. Sie besteuert die latenten Veräusserungsgewinne, die eine steuerpflichtige Person beim Verkauf von Vermögenswerten erzielen würde, sofern sie diese nicht mindestens 15 Jahre hält.

Emmanuel Macron hatte diese Frist auf zwei Jahre verkürzt. Doch die kleinen Geschenke des Präsidenten für Gutbetuchte bzw. «Investoren» ziehen nicht mehr. «Die Rechtslage ändert sich ständig, und das nützt weder den Steuerzahler:innen noch den Investor:innen», meint Nicolas Zambelli.

Die Unsicherheit von Marc Ferracci

Wie aber kann man diese juristische Lücke schliessen und wenigstens die Doppelbesteuerung vermeiden? Letztes Jahr hat das Schweizer Parlament den Bundesrat aufgefordert, wieder das Gespräch mit Paris zu suchen. Nur scheint Frankreich mit der aktuellen Situation ganz zufrieden.

>> Warum Frankreich kein Interesse daran hat, ein Doppelbesteuerungsabkommen abzuschliessen:

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Im vergangenen Dezember hat Marc Ferracci, Abgeordneter der Französinnen und Franzosen in der Schweiz, eine Anfrage an die Regierung in Paris zur schwierigen Lage der doppelt Besteuerten gerichtet, «die sich auf zahlreiche Familien im grenznahen Bereich auswirken könnte.» Und Marc Ferracci ist nicht irgendjemand: Er ist Trauzeuge und ein enger Freund von Emmanuel Macron.

Seine Anfrage lief jedoch ins Leere. Heute ist Marc Ferracci Industrieminister in der Regierung von Michel Barnier – ob er sich daran erinnert, wie ihn das juristische Vakuum rund um die Doppelbesteuerung damals umtrieb?

Editiert von Samuel Jaberg. Übertragung aus dem Französischen: Lorenz Mohler/jg

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