Isabella Kocum: Bei dieser Frau ist alles Gold, was glänzt

Sie erlebte die kreativen, gefährlichen 1980er-Jahre in New York. Heute kommt sie in London Van Goghs und Leonardos Gemälden ganz nah. Die Auslandschweizerin Isabella Kocum ist Vergolderin in der National Gallery – und auch als Künstlerin anerkannt. Aber eigentlich hatte sie andere Pläne.
Einer internationalen Tanzkarriere stand nichts im Weg: Die junge Isabella Kocum hatte den Willen, das Talent, die Ausbildung. Doch als Schweizerin im Ausland brauchte sie jeweils eine Arbeitsbewilligung für eine Anstellung.
Zwar kriegte sie immer wieder Jobs, doch die kleinen Theater hätten nicht die Ressourcen gehabt, sich um eine Arbeitsbewilligung zu kümmern.
Immer öfter habe es darum schlicht geheissen: «Die Nächste. Da wird man einfach übersprungen.» Also musste sich Kocum mit etwa 30 Jahren einen anderen Weg zum Glück suchen – weit weg vom Scheinwerferlicht.

Eine inspirierende Kindheit
Die kreative Ader wurde der heute 63-Jährigen in die Wiege gelegt. Als Tochter einer Schweizerin und eines österreichischen Musikers war ihre Kindheit geprägt von Musik, Tanz und Kunst. Sie wurde in Davos geboren, spricht aber astreines Berndeutsch.
Aufgewachsen ist Kocum nämlich in Bern. Bereits als Kind habe sie viel gezeichnet und mit Lehm kleine Kunstwerke geschaffen, erzählt sie während eines Aufenthalts in Bern, der Stadt ihrer Kindheit und Jugend.
Ihr erster Berufswunsch war Tänzerin. Sie habe aber zuerst einen Beruf erlernen müssen und habe gedacht, sie könnte ihrer Schwester nacheifern, einer Damenschneiderin. Sie bestand auch die Aufnahmeprüfung in die Fachschule. «Aber ich dachte, ich kann nicht mit so vielen Frauen zusammen sein.»
Nachdem sie einen TV-Beitrag über eine Vergolderin gesehen hatte, machte sie eine Schnupperlehre – und entdeckte ihre Liebe zum Vergolden: «Man kann aus nichts etwas Goldiges machen.»
Doch das Tanzen blieb ihr Ziel. Nach dem Lehrabschluss arbeitete Kocum nur zwei Wochen auf dem Beruf, um sich das Flugticket nach New York zu finanzieren. Das war 1982.

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Raue Zeiten in New York
Die Weltstadt war zu jener Zeit aufregend, aber auch gefährlich. Kocum war gerade erst 20 geworden. «Ich habe mir nicht viel überlegt, ich konnte kein Englisch.»
Während rund fünf Jahren studierte sie an der Alvin-Ailey-School modernen Tanz mit der Horton-Technik – eine sehr technische, körperbetonte Technik mit therapeutischem Aspekt.
Sie studierte auch Ballett und traf viele Persönlichkeiten, darunter den weltbekannten Tänzer Mikhail Baryshnikov. «Die Tanzwelt damals war super», erzählt sie.

«Man konnte damals mit sehr wenig Geld dort leben.» Während einiger Zeit wohnte sie im berüchtigten Stadtviertel Alphabet City, an der Avenue B. «Eines Tages kam ich nach Hause, da war jemand vor der Haustür erschossen worden.»
Nach der Ausbildung in New York und weiteren Tanzstudien in Paris und London musste Kocum wegen der Probleme mit den Arbeitsbewilligungen das Tanzen als Beruf schliesslich schweren Herzens aufgeben.
Der Weg an die National Gallery
Ihren ursprünglichen Beruf – das Vergolden – hatte sie nie ganz aufgegeben. Zwischendurch konnte sie in den USA etwas Geld damit verdienen.

Als sie schliesslich in England ihre letzten Tanzkurse absolvierte, belegte sie dort auch einen Vergolder-Kurs, um Beziehungen zu anderen Berufsleuten aufzubauen.
Ihre Schweizer Präzision fiel auf in England, und Kocum begann, selbst zu unterrichten. So lernte sie Leute von der Londoner National GalleryExterner Link kennen, jenem renommierten Museum am Trafalgar Square, das dieses Jahr das 200-jährige Bestehen feiert.
Ende 1980er-, Anfang 1990er-Jahre sei eine sehr gute Zeit für ihr Handwerk gewesen. «Die Werkstätten waren sehr lebhaft, es gab viel Arbeit.»
Das sei heute leider nicht mehr so. Viele Bilderrahmen-Ateliers seien geschlossen. «Das Handwerk ist am Aussterben», bedauert sie. «Die Leute kaufen nur noch Fertigprodukte, Markenprodukte, die alle kennen und alle haben. Es ist traurig.»
Macht es ihr nichts aus, meistens an goldenen Rahmen zu arbeiten, während das Bild im Zentrum des Interesses steht? «Rahmen haben auch ihre eigenen Geschichten», antwortet sie. Oft werde dort zum Beispiel vermerkt, durch welche Hände ein Kunstwerk bereits gegangen ist.
Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sind so vielfältig wie die Länder, in denen sie leben. SWI swissinfo.ch will diese Vielfalt aufzeigen. Wir erzählen regelmässig die spannende Lebensgeschichte eines Vertreters oder einer Vertreterin der Schweizer Diaspora.
Doch auch den Bildern von Van Gogh oder Leonardo da Vinci kommt sie manchmal ganz nah. Wenn sie im Restaurierungsatelier auf einer Staffelei stehen, gehe ihr das Herz auf. «Das ist das Zückerchen am Beruf. Es ist visuell sehr toll.»
In diesem Video der National Gallery zeigt Isabella Kocum, wie genau sie Bilderrahmen vergoldet (Engl., Untertitel kann unter «Automatisch übersetztn» auf Deutsch angezeigt werden):
Bewegende Kunst
Neben ihrer Arbeit hat Isabella Kocum immer auch selber Kunst gemacht. Hauptsächlich schafft sie Skulpturen aus Holz.
Dabei arbeite sie «polychrom, wie damals im Mittelalter»: Sie bemalt ihre Werke und braucht dabei auch Gold. «Die Figuren sehen aber nicht mittelalterlich aus, die sind durchaus aus unserer Zeit», betont sie.

Viele Leute würden ihr sagen, ihre Figuren hätten «Movement», sie würden also Bewegung zeigen. «Das kommt ganz bestimmt vom Tanzen», schätzt sie. «Jetzt kommt in den Figuren alles wieder zusammen.»
Das Handwerk verliert an Bedeutung
Im Zusammenhang mit ihrer Arbeit ist Kocum auch oft im Ausland unterwegs. Beispielsweise wurde sie vor ein paar Jahren nach Russland eingeladen, um einen Vortrag über einen Bilderrahmen der Adelsfamilie Demidoff zu halten. «Ein bisschen russische Sprache hat auch geholfen», sagt sie.

Weil sie viele Sprachen spricht, werde sie auch für Führungen von Restauratorinnen und Restauratoren anderer Museen in ihrem Atelier angefragt.
Neben Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch spricht sie auch etwas Italienisch und lernt gegenwärtig Koreanisch und Japanisch.
«Das hapert etwas, aber ich kann wenigstens ein paar Sachen sagen», lacht sie.
Als wir auf Japan zu sprechen kommen, beginnen ihre Augen zu leuchten. «Ich liebe Japan, natürlich, ach», schmachtet sie. «Ich würde dort hinziehen, wenn ich könnte.»
In Japan, das sie schon mehrmals bereist hat, werde das Handwerk generell noch mehr geschätzt. Man nehme sich noch Zeit, während im Westen alles immer schneller gehen müsse.
Ihre Zukunft allerdings sieht sie nicht in Japan, sondern möglicherweise wieder in der Schweiz.
«Ich bin nicht sicher, dass ich immer in London bleibe. Ich bin wegen dem Beruf geblieben. Und ja, mir gefällt die Schweiz.»
In diesem Video der National Gallery spricht Isabella Kocum über Félicie de Fauveau, die um 1841 herum den Rahmen zum Bild «The Execution of Lady Jane Grey» geschaffen hat:
Editiert von Balz Rigendinger
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