
Luana Bühler vor der Frauenfussball-EM: «Wir Profis haben in der Schweiz bisher zu wenig Perspektiven»

In einem Monat startet die Frauenfussball-EM in der Schweiz. Nationalspielerin Luana Bühler lebt als Profi in England – weil für ihren Beruf in der Schweiz die Grundlagen fehlen. Sie spricht über Chancen, Hürden und ihre Hoffnung auf Veränderung.
Die 29-jährige Nationalspielerin Luana Bühler ist eine Ausnahme im Schweizer Frauenfussball. Sie kann vom Fussballspielen leben. Bühler wohnt seit zwei Jahren in England, wo sie für den FC Tottenham Hotspur kickt. Zuvor war sie bereits fünf Jahre in Deutschland als Profi-Fussballerin aktiv.
Luana Bühlers Vater war Fussballtrainer. Ihre fünf Geschwister, zwei Schwestern und drei Brüder, spielten zu Hause im luzernischen Altishofen ständig Fussball. Als ihre Geschwister, vor allem ihre ältere Schwester in einem Verein zu spielen anfing, eiferte Luana ihr nach. Sie wollte ebenfalls in den Fussballverein.
«Damals gab es noch keine ‹Meitli-Mannschaften›, das hat mich aber nie gestört», erzählt Bühler. «Mir ging’s einfach ums Fussballspielen.»
In der Schweiz spielen gemäss Schweizer Fussball Verband 338’991 Personen in einem Verein Fussball. Davon sind gemäss Statistik 12% Frauen. «Fussball ist die beliebteste Teamsportart für Frauen», sagt Fussballexpertin und ehemalige Profispielerin Martina Moser. Klar, gäbe es immer noch viel mehr männliche Spieler, aber in den letzten 15 Jahren habe sich die Anzahl der Spielerinnen verdoppelt.
Im Hinblick auf die Frauenfussball Europameisterschaft in der Schweiz hofft Nati-Spielerin Luana Bühler, dass «die EM eine weitere Plattform für Veränderungen im Schweizer Frauenfussball wird». In der Schweiz tue sich zwar etwas, aber das Land sei noch weit davon entfernt, eine fussballerische Chancengleichheit zwischen Buben und Mädchen zu bieten. «Ich würde mir wünschen, dass wir das alle baldmöglichst anpacken», sagt Bühler.
Expertin Martina Moser ist überzeugt, dass die Europameisterschaft dem Frauenfussball nochmals einen Schub verleihen wird. «Nach diesem Turnier wollen wahrscheinlich extrem viele Mädchen mit Fussballspielen anfangen und einem Verein beitreten», so Moser. Um mehr Kindern den Vereins-Fussball zu ermöglichen, müsste aber zwingend Geld in Infrastrukturen investiert werden. «Es gibt leider bei vielen Vereinen Wartelisten», erzählt Moser. Die Verfügbarkeit von Fussballplätzen und Kabinen ist bei vielen Vereinen das Hauptproblem.
Fussballspielen war immer möglich
Der Weg an die Spitze ist im Schweizer Frauenfussball öfter von Zufällen geprägt als von Strukturen. Bühlers Weg illustriert dies beispielhaft. Als Kind mochte sie auch Tanzen, Turnen, Tennis, Reiten oder Skifahren. «Fussball war aber für mich der Sport, der bei uns als Grossfamilie organisatorisch immer möglich war», sagt Bühler heute.
Vom FC Schötz gings via FC Kriens, FC Luzern zum FC Zürich Frauen, bevor sie den Sprung nach Deutschland zum TSG 1899 Hoffenheim schaffte. «Ich dachte nie daran, dass ich einmal mit Fussball Geld verdienen und davon leben könnte», sagt Bühler. Eigentlich habe sie immer eine akademische Karriere vor Augen gehabt.

Und diesem Weg ist sie auch gefolgt. Heute absolviert Bühler neben dem Fussball einen Betriebswissenschafts-Master im Fernstudium. Einen BWL-Bachelor mit Vertiefung Banking und Finance hat sie bereits in der Tasche.
Sie plant für danach, doch das Ende ihrer Profi-Karriere steht noch nicht an. Dank verbesserten finanziellen Aussichten sei Fussball auf Profi-Niveau inzwischen länger möglich, sagt sie. Auch Kinderkriegen bedeute nicht mehr zwangsläufig ein Karriereende.
Diese Entwicklung habe erst in den letzten Jahren eingesetzt, bestätigt Martina Moser: «Wieso soll eine Frau mit 25 Jahren aufhören Fussball zu spielen, nur weil sie ein Baby möchte?» Jetzt seien in Verträgen endlich auch Punkte aufgenommen worden, die einer Frau als Profisportlerin gerecht werden.
Vom Fussball kann man als Frau in der Schweiz nicht leben
Muss man zwangsläufig ins Ausland, um als Frau vom Fussball leben zu können? «Ja, wenn man dem maximal nachgehen und davon leben will», ist Bühler überzeugt. «Die Schweiz ist noch weit davon entfernt, dass man als weiblicher Profi vom Fussball leben kann.» Die meisten Super-League-Spielerinnen in der Schweiz arbeiten in einem Zusatzjob, um überhaupt über die Runden zu kommen.
Eine Lohnstatistik zum Frauenfussball gibt es nicht, doch eine Aussage von Nati-Captain Lia Wälti gegenüber CH MediaExterner Link zeigt exemplarisch wo die Löhne im Frauenfussball liegen. Wälti verriet, dass sie bei einem gut bezahlten KV-Job in der Schweiz mehr erhalten würde. Die Profi-Fussballerin ist beim Top-Club Arsenal angestellt und gehört damit zu den meistverdienenden Schweizer Spielerinnen.

Luana Bühler liegt viel am Thema Finanzen – nicht zuletzt wegen ihres Studiums. Sie investiert einen Teil ihres Lohnes in die private Vorsorge. Es werde auch innerhalb des Nationalteams immer mehr über die Finanzen gesprochen, sagt Bühler. «Ich freue mich vor allem für die jüngeren Spielerinnen. Sie wissen schon früh in ihrer Karriere, was passiert, wenn sie sich bis 30 nicht um ihr Geld kümmern», so die Profi-Spielerin.
Strengere Visa-Bedingungen seit dem Brexit
Die Auswanderung nach England war für die Nati-Verteidigerin nicht nur wegen der Distanz ein grosser Schritt, sondern auch kulturell sowie beruflich.
In Süddeutschland sei alles noch ähnlich gewesen wie in der Schweiz. Das Leben in London dagegen sehe anders aus. «Ich habe viele Sachen an der Schweiz mehr schätzen gelernt», so Bühler.
Die Nähe zum familiären Umfeld, die Transportmöglichkeiten, die Verwaltungsangelegenheiten, die Natur. Eine zusätzliche Herausforderung in England sei etwa, frische Lebensmittel zu finden. «Mittlerweile habe ich meine Orte gefunden, wo es frisches Gemüse gibt», sagt die Fussballerin.

Bühler hat in England eine Aufenthaltsbewilligung als «Sportsperson». Für dieses Visum gibt es Anforderungen, die man als Sportlerin oder Sportler erfüllen muss. Gezählt werden etwa Punkte für den vorhergehenden Arbeitgeber oder die effektive Spielzeit in der laufenden Saison. «Seit dem Brexit sind die Anforderungen strenger geworden», sagt Bühler.
Skifahren ist Tabu
Beruflich ist das Leben für Bühler in England zudem sehr viel strenger geworden. «In Deutschland hat man auf Profistrukturen hingearbeitet, in England sind sie umgesetzt.»
Luana Bühler, die vor der Karriere auch einmal als Skilehrerin gearbeitet hat, darf in ihrer Freizeit nicht auf die Skipiste, ihr Vertrag verbietet das. «In Deutschland hiess es noch, man müsse das den Schweizerinnen fast erlauben», sagt sie und lacht.
Die Klausel ist üblich im Profisport, Bühler stört sie nicht: «Ich investiere viel Energie und Zeit in Fussball.» Das möchte sie nicht gefährden, und beim Skifahren liege das Risiko ja nicht nur bei einem selbst.
Die Vorfreude auf die Euro zu Hause steigt
Jetzt freut sie sich auf die Heim-EM. Das Nationalkader wird am 23. Juni bekanntgegeben. Die Chancen, dass die Stammspielerin aufgeboten wird, stehen gut.
«An einer Heim-EM zu spielen, ist für eine Spielerin wohl das grösste Highlight in ihrer Karriere», sagt Fussballexpertin Martina Moser. Der Frauenfussball und deren Spielerinnen können auf und neben dem Platz ein Zeichen setzen.
Editiert von Balz Rigendinger.

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