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Kein Zurück zum Schweizer Bürgerrecht – für viele eine überraschende Realität

Schweizerin
Schweizerin im Herz: Für viele Nachkommen von Ausgewanderten ist die Verbundenheit zur Schweiz das Einzige, was bleibt. Keystone

Das Schweizer Bürgerrecht ist nicht allen auf Lebenszeit garantiert. Viele Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer haben es verloren – oft unbewusst oder aufgrund historischer Regeln. Ihre Geschichten zeigen, wie tief der Verlust des Bürgerrechts geht.

Einmal Schweizer:in, immer Schweizer:in. Von wegen! Für viele kaum vorstellbar, aber das Schweizer Bürgerrecht ist nicht allen auf Lebzeit garantiert. Schweizerinnen und Schweizer können das Schweizer Bürgerrecht – freiwillig oder nicht – aus verschiedenen Gründen verlieren.

Für zahlreiche Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer ist dieser Umstand Realität.

Wir haben unsere Community gefragt, wie sie das Schweizer Bürgerrecht erhalten oder eben verloren haben. In unserer Debatte teilten Leserinnen und Leser ihre Geschichte, so sind in den letzten Monaten Dutzende persönliche Anekdoten aus aller Welt zusammengekommen.

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Verlust durch Heirat mit einem Ausländer

Viele Frauen meldeten sich, die den Schweizer Pass durch die Heirat mit einem ausländischen Staatsbürger verloren haben. Während bis 1952 die sogenannte Heiratsregel galt – damals verloren Tausende von Schweizerinnen unwiderruflich den Pass, wenn sie einen Ausländer heirateten – mussten Schweizerinnen zwischen 1952 und 1992 proaktiv deklarieren, wenn sie die Schweizer Nationalität behalten wollten. Diese Deklarationspflicht war jedoch vielen Schweizer Frauen im Ausland nicht bekannt.

«Ich hatte die Schweizer Staatsbürgerschaft, ebenso wie meine drei Schwestern. Ich habe einen Chilenen geheiratet und sie verloren. Ich bin die Einzige in meiner Familie, die sie verloren hat», schreibt «Carla R.». So erging es auch der Mutter von Userin «Mollysuisse», die schreibt «Meine Mutter wurde in den USA als Tochter zweier Schweizer Staatsbürger geboren und verlor 1991 unwissentlich ihre Staatsbürgerschaft, als sie einen US-Bürger heiratete.» Ihre Mutter habe nicht gewusst, dass sie ihre Staatsbürgerschaft verloren hatte, bis irgendwann im Jahr 2010, nach Ablauf der 10-jährigen Wiedereinstellungsfrist.

Andere hatten mehr Glück und wurden auf das geltende Bürgerrecht aufmerksam gemacht oder konnten die Schweizer Nationalität später wieder zurückerlangen: So etwa die Mutter von Lucia Chaves Minnig in Kolumbien: «Meine Mutter verlor ihre Staatsbürgerschaft, als sie einen Kolumbianer heiratete. Viele, viele Jahre später gab es eine Amnestie und sie bekam sie zurück. Meine Geschwister, die das wollten, bekamen die Staatsbürgerschaft.»

Nutzerin «Bellarivaca» schreibt: «Mir wurde glücklicherweise auf der Schweizer Botschaft von einer Frau gesagt, ich müsse vor meiner Hochzeit verlangen, dass ich meine Schweizer Bürgerschaft behalten will, wenn ich einen Ausländer heirate».

>>> Lesen Sie hier über die Diskriminierung, die im Schweizer Bürgerrecht noch bis heute nachhallt.

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Gar nie im Besitz des Schweizer Bürgerrechts

Viele Nachkommen – vorderhand aus Südamerika – melden, dass sie gar nie im Besitz des Schweizer Bürgerrechts waren. Grund war das Versäumnis ihrer Vorfahren, sie, die Nachkommen, beim Konsulat zu registrieren. «Leider haben meine Vorfahren ihre Kinder aufgrund der damaligen Schwierigkeiten nicht bei den Konsulaten registrieren lassen», schreibt Eduardo Amstalden aus Brasilien.

Ana Ubelarte aus Argentinien mutmasst in ihrem Beitrag über die Gründe dieses Versäumnisses: «Vielleicht aus Mangel an Informationen, wegen der schwierigen Lebensbedingungen als Einwanderer oder weil es unmöglich war, die weiten Strecken zu den Bevölkerungszentren in Argentinien zurückzulegen.»

Einige Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer erster Generation konnten zwar später ihr Bürgerrecht zurückerlangen, oft war dies für deren Kinder oder Grosskinder zu spät: «Bei der Bestätigung der Staatsbürgerschaft meines Vaters hat die Schweizer Behörde diese auf meine Mutter ausgedehnt, mir und meinen Geschwistern wurde die Staatsbürgerschaft jedoch verweigert, da wir bereits volljährig waren», schreibt Freddy aus der peruanischen Hauptstadt Lima.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Melanie Eichenberger

Wie haben Sie das Schweizer Bürgerrecht erhalten oder verloren?

Und welche Auswirkungen hat dies auf Ihr Leben gehabt? Erzählen Sie uns Ihre Geschichte.

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Historisch bedingter Verlust

Wer um 1900 in ein Land auswanderte, das keine Doppelbürgerschaft erlaubte, musste bei der Emigration auf die Schweizer Staatsbürgerschaft verzichten. So etwa die Vorfahren von João Gabriel Schelck aus Brasilien: «Meine Linie hat die Schweizer Staatsbürgerschaft verloren, als mein Urgrossvater aus der Schweiz nach Brasilien einwanderte.

Das Geschäft wurde vom damaligen König Dom João VI. abgeschlossen, der Arbeitskräfte im Land brauchte und deshalb mit Dutzenden von Schweizer:innen einen Vertrag abschloss. Eine der Bedingungen war, die Schweizer Staatsbürgerschaft aufzugeben und brasilianische:r Staatsbürger:in zu werden.» Brasilien sei das ein Königreich von Portugal gewesen.

Ohne Pass, ohne Wurzeln

All diesen Fällen gemeinsam ist die emotionale Tragweite, die der Verlust, beziehungsweise das Fehlen der Staatsbürgerschaft mit sich bringt. Es geht dabei nicht nur um den formalen Status – für viele bedeutet er auch eine Entwurzelung und eine tiefe Ungerechtigkeit.

«Ich, der zur Hälfte Schweizer Blut habe, bin das Gleiche wie ein völlig Fremder. Das ist ziemlich traurig, denn ich bin sehr stolz auf meine Herkunft und meine Wurzeln, und ich versuche immer, meine väterliche Kultur bestmöglich zu repräsentieren», schreibt «swissjav» aus Argentinien.

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Auch Karen Kuffer schreibt: «Die Staatsbürgerschaft ist nicht nur ein Dokument, sie ist viel mehr als das.» Sie stelle eine umfassende Anerkennung der Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft dar, mit Rechten und Pflichten. Die emotionale und kulturelle Verbundenheit, die viele Schweizer Nachkommen empfinden würden, könne nicht durch einen Erbschein ersetzt werden.

Profit aus dem Schweizer Bürgerrecht schlagen

Der Vorwurf, nur vom sozialen System der Schweiz profitieren zu wollen, wird in der Debatte entschieden zurückgewiesen. «Die Behauptung, unser Interesse an der Beibehaltung unserer Staatsangehörigkeit sei materialistisch motiviert, ist ein voreingenommenes und unverschämtes Urteil», schreibt User «descendientesuizos».

Auch Ana Uebelhart – Urgrosskind von Schweizer Einwanderern in Argentinien – schreibt aus Kanada: «Mich treiben keine wirtschaftlichen Interessen oder Vorteile an; ich möchte einfach die Anerkennung der Nationalität, die mir rechtmässig zusteht.» Silvana Thalmann aus Argentinien kontert den Vorwurf mit: «Als Enkelin eines Schweizer Staatsbürgers suche ich keine Vorteile. Ich bin eine gut ausgebildete, gebildete und erzogene Fachfrau.»

In einer zunehmend vernetzten Welt sei das «ius sanguinis» – das Weitervererben der Staatszugehörigkeit – kein Instrument der Ausbeutung, sondern eine Brücke, die Generationen und Kulturen verbinden würde, so Karen Kueffer. «Wir, die Nachkommen der Schweizer Auswanderer in Südamerika, fordern keine Privilegien. Wir bitten um die Anerkennung eines Rechts, das uns durch das Erbe, aber auch durch die Liebe und die Hingabe zu unserer Schweizer Identität zusteht», schreibt sie.

Die Anliegen der Schweizer Nachkommen von Ausgewanderten ausserhalb Europas bleiben auch in der Schweizer Politik nicht unbeachtet. Im letzten Sommer haben Nachkommen von Schweizer Ausgewanderten eine Petition bei der Bundeskanzlei eingereicht.

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Und in der kommenden Session wird über eine Motion debattiert, die erreichen möchte, dass für die Nachkommen von Schweizerinnen und Schweizern, die keinen Schweizer Pass (mehr) haben, ein Sonder-AufenthaltskontingentExterner Link geschaffen wird, damit sie hier arbeiten und so vermehrt einen Beitrag für die Schweizer Wirtschaft leisten können.

Das letzte Wort über die Vererbung des Schweizer Bürgerrechts ist also noch nicht gesprochen:

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Melanie Eichenberger

Welche Faktoren sollten bei der Vererbung des Schweizer Bürgerrechts im Ausland berücksichtigt werden?

Sollte es eine Grenze für die Weitergabe des Schweizer Bürgerrechts geben? Oder ist die heutige Praxis zu streng und die Meldung sollte auch nach dem 25 noch möglich sein?

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