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“Vor allem Kader profitieren vom Lohn-Geheimnis”

"Lohnunterschiede können zu Demotivation führen: Samuel Bendahan. rts.ch

Der Lohn ist immer noch eines der bestgehüteten Geheimnisse der Schweizer. Für den linken Ökonomen Samuel Bendahan ist klar: Wenn das Geheimnis gelüftet würde, wäre das für die Unternehmen und für die Gesellschaft als Ganzes positiv.

Mit 32 Jahren ist Samuel Bendahan in der Westschweiz auch einem breiten Publikum bekannt. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH Lausanne und sitzt für die sozialdemokratische Partei im Waadtländer Kantons-Parlament.

swissinfo.ch: Wieso ist es immer noch praktisch unmöglich, offen über Saläre zu reden?

Samuel Bendahan: Man darf natürlich die historischen und kulturellen Gründe nicht ausser Acht lassen. Aber ich glaube, es besteht ein Interesse von Seiten der Leute, die von diesem System profitieren, dass nicht daran gerüttelt wird.

Diese kleine, aber einflussreiche Gruppe behauptet seit Jahrzehnten, die Höhe des Lohnes müsse genau so geheim bleiben, wie der Gesundheitszustand oder persönliche Probleme. Doch die Dinge kommen langsam in Bewegung, wie als Beispiel das Volks-Ja zur Abzocker-Initiative zeigt.

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Die Löhne werden in der Schweiz nicht offengelegt

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Überrissene Boni gewisser Manager, Hungerlöhne unqualifizierter Arbeiter, Dumping, Diskriminierung von Frauen gegenüber Männern, Minimallöhne: Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass über Löhne diskutiert wird. Allerdings über jene der anderen, denn in der Schweiz wird im Allgemeinen nicht über das eigene Gehalt gesprochen, und es gilt als unangebracht, andere direkt zu fragen, wie viel sie…

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swissinfo.ch: Gehört denn die Höhe des Lohns nicht zur Privatsphäre?

S.B.: Nein, ich denke, es ist wichtig zu wissen, dass ein Universitätsprofessor 150’000 Franken im Jahr verdient und ein Angestellter eines Werkhofs lediglich 50’000 Franken. Das erlaubt es jedem abzumessen, ob er es richtig oder falsch findet, wie die Ressourcen in unserer Gesellschaft verteilt werden.

Sicher ist es nicht unabdingbar, dass man das Salär seines Nachbarn kennt, aber es ist wichtig, dass man weiss, wie viel Geld jeder Posten in einem Unternehmen kostet. Was Sie jedoch mit ihrem Lohn anstellen, das gehört in den Bereich der Privatsphäre.

swissinfo.ch: Braucht es mehr Transparenz innerhalb der Unternehmen in der Schweiz?

S.B.: Ja, weil der Mangel an Transparenz in der aktuellen Situation einer der Hauptgründe ist für die ungleiche Verteilung der Saläre. Innerhalb eines Unternehmens ist es sehr schwierig zu wissen, wie viel die Kolleginnen und Kollegen verdienen. Das hat zu Folge, dass gewisse Angestellte unterbezahlt sind, sich dessen aber nicht bewusst sind.

Zahlreiche Lohnkriterien sind total willkürlich. Weil ds aber keiner weiss, ändert sich nichts. Mehr Transparenz würde die Unternehmen dazu zwingen, gerechtere Regeln einzuführen, weil sie sonst intern harter Kritik ausgesetzt wären.

Die Zürcher IT-Firma Ergon AG hat bereits 1992 die Lohntransparenz eingeführt. Die Löhne der rund 170 Angestellten werden jährlich im Januar im Intranet veröffentlicht.
 
Das Lohnsystem orientiere sich an den Jahren an Erfahrung der Angestellten (mehrheitlich Informatik-Ingenieure), wie Personalchefin Gabriela Keller gegenüber swissinfo.ch sagte.
 
Die Angestellten entscheiden gemeinsam über die Bonus-Zahlungen und haben ein Mitbestimmungsrecht bei allen Entscheiden, die das Unternehmen betreffen.
 
“Die spezielle Unternehmenskultur funktioniert, weil die Angestellten ernst genommen werden und sich einbezogen fühlen. Das führt zu einem hohen Grad an Motivation”, sagt Keller.
 
2012 ist die Firma im Rahmen des Swiss Arbeitgeber Award als bester Arbeitgeber der Schweiz ausgezeichnet worden.

swissinfo.ch: Haben die Unternehmen denn ein Interesse an mehr Transparenz?

S.B.: Absolut. Zahlreiche Studien haben aufgezeigt, dass die Lohnunterschiede zu Demotivation führen können. Wenn ein Angestellter erfährt, dass in seinem Betrieb sehr hohe Saläre und Boni bezahlt werden, dann hat er die Tendenz, nur noch das Minimum zu leisten, da er das Gefühl hat, seine Arbeit werde nicht genügend geschätzt. Für das Unternehmen ist das ein wichtiger Kostenfaktor. Auf der andern Seite kann es sehr motivierend wirken, wenn ein Unternehmen transparent ist und eine gerechtere Lohnpolitik verfolgt.

swissinfo.ch: Wenn es so einfach ist, wieso machen es denn die Unternehmen nicht?

S.B.: Weil einige wenige Personen vom Mangel an Transparenz profitieren. Vor allem die höheren Kader, die sich einen grosse Teil des Kuchens unter sich aufteilen, und dann auch jene Angestellte, die dank geschicktem Taktieren einen höheren Lohn erhalten, als sie aufgrund ihrer Leistung verdient hätten.

Generell profitieren auch die Männer, denn ihre Löhne sind 20% höher als jene der Frauen.

swissinfo.ch: Aus Ihnen spricht der militante Sozialdemokrat. Wenn man sich jedoch an die wissenschaftlichen Argumente hält, ist dann eine Nivellierung der Saläre wirklich wünschenswert?

S.B.: Auch aus einer streng empirischen und wirtschaftlichen Sicht gilt es als erwiesen, dass stärker ausgeglichene Löhne Sinn machen. Leute, mit sehr hohen Salären haben die Tendenz, proportional zum Einkommen weniger zu konsumieren. Wenn wir die Lohnsumme besser verteilen, dann steigen die Konsumausgaben, was der Wirtschaft zugutekommt.

Zudem zeigen verschieden Studien zum Zusammenhang zwischen Geld und Glück, dass bei einem Einkommen von mehr als 100’000 Franken jährlich der Glücksquotient nicht mehr weiter steigt, währendem bei tiefen Einkommen das zusätzliche Geld stark zum glücklich sein beiträgt.

swissinfo.ch: Führt mehr Transparenz quasi automatisch zu mehr Lohn-Gerechtigkeit?

S.B. Nicht zwingend. In Nordamerika ist die Transparenz sehr hoch, aber die Lohnunterschiede sind dennoch sehr hoch. Ohne Transparenz ist Lohngleichheit unmöglich, aber Transparenz führt nicht von alleine zur Gleichheit. Es braucht zusätzlich den Willen des Unternehmens zu mehr Gerechtigkeit. Die Gesellschaft muss zudem gemeinsame Normen definieren, die festlegen, was sie unter einem gerechten Lohnsystem versteht.

(Übersetzung aus dem Französischen: Andreas Keiser)

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