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Tauwetter in den Beziehungen Schweiz-Deutschland

swissinfo.ch

Die Eiszeit zwischen der Schweiz und Deutschland scheint nach dem Treffen zwischen den Finanzministern Merz und Steinbrück in Berlin vorbei zu sein. Druck auf die Schweiz sei nicht mehr ersichtlich, sagte Axel Berg, deutscher Botschafter in Bern, bereits davor.

Von einer “neuen Harmonie” bei Hans-Rudolf Merz und bei Peer Steinbrück, von “Bewegung im Steuerstreit” und einer “näher rückenden Einigung” mit Deutschland sprach die Schweizer Presse nach dem Treffen der beiden Finanzminister Anfang Woche.

Ganz anders tönte es bei Bundesrat Ueli Maurer, der zur gleichen Zeit vor der Handelskammer Deutschland-Schweiz in Zürich sprach: Die politischen Beziehungen mit Deutschland seien in einem “bedenklichen Zustand”.

Zum Klima zwischen Schweizern und Deutschen, vor allem jenen, die in der Schweiz leben, äusserte sich der deutsche Botschafter in Bern, Axel Berg, anlässlich einer Veranstaltung des Swiss German Club vom 12. Juni in Zürich im Gespräch mit swissinfo.ch.

swissinfo.ch: Wird durch den Rechtsrutsch bei den Europa-Wahlen vom 7. Juni der Steuer-Druck auf die Schweiz generell abnehmen, wie das in den hiesigen Medien und der Politik teilweise geäussert wurde?

Axel Berg: Ich sehe das nicht so. Zuerst muss ich sagen, der Bundespräsident hat ja selber erklärt, man sei bereit, den OECD-Standards zu folgen, und die Schweiz sei daran interessiert, mit den entsprechenden Staaten Abkommen zu schliessen, in welcher Form auch immer, Doppelbesteuerungs-Abkommen, Informationsaustausch usw.

Das heisst, die Schweiz hat sich selber verpflichtet, diese Abkommen jetzt einzugehen. Insofern sehe ich die Frage gar nicht mehr, wie weit Druck von dritter Seite, von anderen Staaten ausgeübt werden soll.

Umgekehrt ist es so, dass die Politik, mehr Kooperation mit Staaten wie der Schweiz oder Liechtenstein zu erwarten, von der Bundesregierung insgesamt geteilt wird.

Wir haben ein Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung, das dabei ist, verabschiedet zu werden, und das wird von beiden Parteien der Regierungskoalition getragen.

swissinfo.ch: Die “Vorfreude” in der Schweiz, dass Finanzminister Peer Steinbrück nach den Wahlen im Herbst vielleicht “weg” ist, können Sie also nicht nachvollziehen?

A.B.: Ich weiss, dass die Politik in dieser Frage in der Schweiz mit der Person von Finanzminister Steinbrück durch seine Äusserungen sehr stark identifiziert wird.

Aber es ist insgesamt eine Politik, die eben von weiten Teilen in Deutschland getragen wird.

swissinfo.ch: Die Deutschen in der Schweiz sind mittlerweile die zweitgrösste Ausländergemeinschaft. Können Sie im Zusammenhang mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit hierzulande verstärkte Ressentiments gegenüber den Deutschen – Stichwort Angst vor Arbeitsplatz-Wegnahme – feststellen?

A.B.: Seitdem ich hier bin, habe ich das natürlich genau verfolgt. Mein Eindruck ist, dass das Thema in den Medien gelegentlich aufgegriffen wird. Aber dann zeigt sich wieder, dass diese Klischees eigentlich gar nicht vorhanden sind.

Mir ist bewusst, dass der starke Zuzug von Deutschen in die Schweiz anders aufgefasst wird, eine andere Bedeutung hat, was die nationale Identität etwa bei der Sprache betrifft.

Im übrigen sehe ich aber, dass man eigentlich damit so umgeht, wie es sein soll. Es handelt sich grundsätzlich um Arbeitskräfte, die hierher gekommen sind auf freie Stellen und die sicherlich nicht bevorzugt eingestellt worden sind, sondern weil ein Bedarf vorhanden ist.

Es gibt in bestimmten Bereichen nicht die Möglichkeit, alle Stellen mit Schweizern zu besetzen, etwa im medizinischen Bereich, Ärztinnen und Ärzte.

Ich sehe das Problem mit der zunehmenden Arbeitslosigkeit. Aber gerade jüngst las ich einen Artikel der Neuen Zürcher Zeitung, in dem darauf hingewiesen wurde, dass in der Schweiz nach wie vor ein Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften besteht und dieser auch von Ausländern gedeckt werden muss.

swissinfo.ch: Vor rechtspopulistischer Seite hierzulande wurde auch schon gesagt, arbeitslose Deutsche in der Schweiz würden unsere Arbeitslosenkasse belasten, statt nach Hause zurückzukehren.

A.B.: Wenn Deutsche in der Schweiz jetzt arbeitslos werden, dann müssen sie selber entscheiden, ob sie unter Inanspruchnahme der ihnen zustehenden Arbeitslosen-Unterstützung hier bleiben und nach einem neuen Job suchen und so lange bleiben, bis sie einen gefunden haben, oder ob sie nach Deutschland zurückkehren, wenn sie keinen finden.

Ich erinnere daran, dass die deutsche Regierung immer wieder gesagt hat, es sei gut, wenn Deutsche ins Ausland gegangen seien, dort Erfahrungen gesammelt hätten und mit diesen Erfahrungen wieder zurückkehrten.

Und ich sage als Botschafter in der Schweiz, ich finde es gut, wenn sie gerade hier in der Schweiz gute Erfahrungen machen. Und das bestätigen mir die Deutschen, mit denen ich spreche, immer wieder.

Dabei geht es nicht nur um inhaltliche Fragen, welche die konkrete Arbeit betreffen, sondern auch um ganz praktische Fragen. Die Deutschen sehen hier zum Beispiel auch, wie in der Schweiz manches weniger bürokratisch und hierarchisch abläuft.

Jean-Michel Berthoud, Zürich, swissinfo.ch

Axel Berg wurde 1951 in Frankfurt am Main geboren.

Er studierte und doktorierte an der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg.

1983 trat er in den Höheren Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland ein.

Seither war er im Auswärtigen Amt sowie in Peking, New York und bei der OSZE in Wien tätig.

Seit August 2008 ist er Botschafter in der Schweiz und in Liechtenstein.

Ende August 2008 lebten über 1,6 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz. Das sind über 21% der Bevölkerung.

225’000 oder 14% davon sind deutsche Staatsangehörige. Damit sind die Deutschen nach den Italienern die zweit-grösste Ausländergruppe.

Seit August 2007 können die Deutschen Doppelbürger bleiben.

Seither haben die Gesuche um die Schweizer Staatsbürgerschaft markant zugenommen.

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