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Tiefe Mobilitätskosten – ein Auslaufmodell

Konkurrenzfähiges Angebot zu relativ tiefen Preisen: Die Züge der SBB sind oft überfüllt. Keystone

Immer mehr Verkehr auf engem Raum. Anstehende Infrastruktur-Ausbauten für Bahn und Strasse. Generell zu billige, da subventionierte Mobilität: Der Strategiebericht des Verkehrs-Departements sorgt für Diskussionen.

Zugfahren generell und besonders in Stosszeiten ist wesentlich teurer als heute. Autofahrten auf Nebenstrassen kosten weniger als auf Hauptachsen. Benzin kostet bis drei Franken oder mehr der Liter. Wandergruppen nehmen den Zug erst dann, wenn die Pendler bereits an der Arbeit sind. Jede Fahrt mit dem Auto wird protokolliert und überwacht.

Das sind Zukunftsszenarien, die durchaus in einigen Jahren der Realität entsprechen werden, deren Umsetzung jedoch noch etliche Parlaments-Debatten provozieren und die Lobbyisten des Privat- und des öffentlichen Verkehrs auf den Plan rufen werden.

“Das wäre ein Systembruch. Investitionen wurden bisher immer von der öffentlichen Hand bezahlt”, sagt die Präsidentin des Verkehrs Clubs der Schweiz, Franziska Teuscher. Die grüne Nationalrätin reagiert damit auf die vom Verkehrsdepartement angedachten Idee einer Teilfinanzierung der bislang vollständig von Bund und Kantonen bezahlten Bahninfrastruktur (Geleise, Tunnel, Brücken) über einen so genannten Bahnrappen.

Sinkende Einnahmen aus Benzinsteuer

Als “Paradigmenwechsel” bezeichnet Gérard Métrailler, Leiter der politischen Abteilung beim Touring Club der Schweiz (TCS) das Mobility Pricing, also das Besteuern der gefahrenen Autokilometer: “Wenn eine neue Finanzierungsart eingeführt wird, dann sollen diese Gelder vollumfänglich dem Unterhalt, dem Betrieb und dem Ausbau der Strassen-Infrastruktur zukommen.”

Die Niederlande wollen Mobility Pricing ab 2012 einführen und die gefahrenen Kilometer mittels GPS-Überwachung zählen. “Wenn die Autos dereinst viel weniger Treibstoff verbrauchen, weil sie effizienter und leichter sind, oder mit Strom fahren, also die Einnahmen aus der Treibstoffabgabe wegfallen, dann könnte Mobility Pricing als Option geprüft werden”, sagt Métrailler.

Vorläufig halte der TCS jedoch an der Treibstoffabgabe zur Finanzierung der Strassen-Infrastruktur fest.”Grundsätzlich sind wir gegenüber dem Mobility Pricing jedoch klar positiv eingestellt, sofern es alle Verkehrsträger betrifft”, so Métrailler.

Stark zunehmender Verkehr

Anlass für den von Bundesrat Leuenberger kürzlich vorgestellten Strategiebericht des Verkehrsdepartements sind die Prognosen der Experten, wonach der Personenverkehr bis 2030 auf der Strasse um 20% und auf der Schiene um 45% zunehmen werde. Das Verkehrsdepartement geht davon aus, dass Unterhalt und Ausbau von Strasse und Schiene (Bundesbahnen und Privatbahnen) zwischen 2010 und 2030 zwischen 126 und 135 Mrd. Franken kosten dürften. Davon entfallen dannzumal 64 Milliarden auf die Strasse.

Dafür brauche es neue Instrumente der Finanzierung, um die Subventionen der öffentlichen Hand zu ergänzen, so Leuenberger. Zudem werde die Treibstoffabgabe wegen der zunehmenden Elektrifizierung des Strassenverkehrs künftig immer weniger Geld einbringen.

SBB: Investitionsbedarf von 60 Milliarden

Allein die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) rechnen laut ihrem CEO Andreas Meyer bis 2050 mit einem Investitionsbedarf von rund 60 Mrd. Franken. 20 Milliarden gehen zulasten des Rollmaterials, das die SBB selber erwirtschaften müssen. Für die Finanzierung der Infrastruktur (Schienen, Tunnel, Brücken) ist die öffentliche Hand zuständig.

Laut der SonntagsZeitung will das Verkehrsdepartement dafür in den kommenden Jahren einen Teil der Subventionen durch eine Zusatzsteuer auf den Bahn-Billetten ersetzen. Ein solcher Bahnrappen müsste die Hürde einer Volksabstimmung nehmen.

Zu tiefe Mobilitäts-Kosten

“Es gibt keinen Grund, dass Mobilität subventioniert wird. Mobilität ist ein normales Gut. Deshalb soll auch selbst bezahlen, wer dieses nutzt, genauso wie alle andern Güter, die in einer Marktwirtschaft angeboten werden”, sagt Reiner Eichenberger, Leiter des Seminars für Finanzwirtschaft an der Universität Freiburg. “Natürlich kann man nicht von heute auf morgen die Subventionen streichen. Das braucht ein paar Jahre, nicht Jahrzehnte.”

Die Leute hätten sich auf zu tiefe Mobilitäts-Kosten eingestellt, so Eichenberger: “Entsprechend haben sie Arbeitsplätze gewählt, die weit von ihren Wohnorten entfernt sind oder Wohnorte gewählt, die weit ausserhalb der Stadt liegen. Man müsste auch die Schulen dezentralisieren. Es ist doch völlig absurd, dass die Kinder zu Stosszeiten in die Hauptstädte ins Gymnasium gekarrt werden.”

Kostenwahrheit

Voraussetzung für eine Abkehr vom Prinzip des subventionierten Verkehrs sei, dass der private und der öffentliche Verkehr die wahren Kosten, die sie verursachen, tragen müssten. “Ich rechne mit Zusatzkosten von 13 Rappen pro gefahrenen Autokilometer und mit 13 Rappen pro Personenkilometer mit der Bahn”, so Eichenberger.

Dass ein solch tiefgreifender Wechsel politisch nicht machbar sei, bestreitet er. Besonders wehrt er sich gegen die Behauptung, das Stimmvolk habe mehrmals die Subventionierung der Bahn gutgeheissen.

“Das Volk hat immer nur unter der Prämisse zugestimmt, dass der Privatverkehr massiv subventioniert werde. Deshalb die Idee, dass, wenn der eine subventioniert wird, es auch sinnvoll sein kann, den andern zu subventionieren. Wenn aber der Privatverkehr seine wahren Kosten trägt, dann gibt es keinen Grund mehr, den öffentlichen Verkehr zu subventionieren.”

Andreas Keiser, swissinfo.ch

In der Schweiz kommt ein neues Modell zur Finanzierung der Verkehrs-Infrastruktur auf den Tisch.

Eine Mobilitätsabgabe, die bei allen Verkehrsmitteln erhoben würde, soll gemäss dem Bericht die künftigen Verkehrsströme lenken und den mittelfristigen Rückgang bei den Einnahmen aus der Mineralölsteuer kompensieren.

Gemäss dem Bericht ist der Zustand der Infrastrukturen in der Schweiz “gut”.

Die vorhandenen Netze für Strasse, Schiene, Luftfahrt, Strom, Gas und Telekommunikation seien gut ausgebaut, erreichten alle Landesteile und funktionierten zuverlässig.

In den kommenden 20 Jahren würden die Anforderungen jedoch stark steigen, und es sei mit einer eigentlichen “Europäisierung der Netze” zu rechnen.

Die Schweiz müsse mitten in der EU eine aktive Rolle als “Infrastruktur-Drehscheibe” spielen können, schreibt das Verkehrsdepartement.

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