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“Ich habe noch viele Bücher in der Pipeline”

Tito Bassi
Tito Bassi an der Buchmesse in Turin, Mai 2022. swissinfo.ch

Er verliess das Tessin, um schnell ein erfolgreicher Geschäftsmann in Guatemala zu werden. Dann folgten Schicksalsschläge. Er begann zu schreiben. Heute ist Tito Bassi ein gefeierter Autor.

Er hat mit dem Schreiben in einem Alter begonnen, in dem viele mit der Arbeit aufhören. Tito Bassi war 67 Jahre alt, als er seine Memoiren veröffentlichte, und dies gleich in in zwei Bänden unter dem Titel “Insubria verso Nord”. Das war 2012, und das war erst der Anfang. Auf die autobiografischen Erzählungen folgten Romane. Das jüngste Werk, “Gavilan Blues” wurde kürzlich auf der Turiner Buchmesse vorgestellt.

Abenteuerlust

In Lugano geboren, verliess Tito Bassi das Tessin 1974 mit 29 Jahren. Als Auswanderer möchte er nicht bezeichnet werden. “Ich bin aus reiner Abenteuerlust gegangen und nicht auf der Suche nach dem Glück, wie es so viele unserer Vorfahren in der Vergangenheit getan haben”, erzählt er. “Ich wollte einfach meinen Horizont erweitern. Meine Heimat war mir zu eng und so habe ich es gewagt und bin gegangen.”

Dem ältesten Sohn eines Bahnhofsvorstehers und einer Hausfrau bot sich diese Gelegenheit, als er auf den Pisten von Cardada-Cimetta oberhalb von Locarno, wo er nach einer Bauzeichner-Lehre als Skilehrer tätig war, einen wohlhabenden guatemaltekischen Kunden kennenlernte. Dieser brachte ihn auf die Idee, sein Glück in dem karibischen Land zu versuchen.

Alles verloren

Vom Abenteuergeist getrieben, zögerte der Tessiner nicht. “Träume, die für die meisten Träume bleiben, sind für mich Wirklichkeit geworden”, sagte er einst. In Guatemala fand Tito Bassi seine Ehefrau, gründete eine Familie, war aber auch Geschäftsmann, Kaufmann, erfolgreicher Hotelier, Besitzer einer Insel, bevor er alles verlor und neu anfangen musste. Der Tessiner macht keinen Hehl daraus: Er hat viel Geld gehabt und auch verloren. Aber Reue hat er nie kultiviert.

Heute ist  Bassi vor allem in Guatemala als Schriftsteller erfolgreich. Der Wendepunkt folgte nach einem intensiven Leben, in dem er 1979 auch als Vermittler beim Verkauf von Schweizer Pilatus-Flugzeugen an die guatemaltekische Armee auftrat. “In aller Legalität, sie waren nicht bewaffnet, sondern für die Pilotenschulung bestimmt.” Weil die Flugzeuge aber nachträglich bewaffnet und gegen die Guerilla eingesetzt wurden, haftete Bassi später auch der Ruch eines Waffenhändlers an. 

Es begann mit den Memoiren

Es begann mit der Diagnose einer schweren, aber sehr seltenen neurologischen Erkrankung. “2012 wurde bei mir zunächst das Guillain-Barré-Syndrom und dann die Parkinson-Krankheit diagnostiziert, und diese Verschlechterung meines Gesundheitszustands veranlasste mich, meine Memoiren zu schreiben.”

Cover

So erschienen seine ersten beiden Bücher im Tessin – bei Edizioni Ulivo in Balerna – und auf Italienisch, “Insubria verso Nord I und II”, die seine Erinnerungen an Kindheit und Jugend versammeln. Sie beschreiben ein ländliches, immer noch armes Tessin. Ein Tessin, das “nie mehr zurückkehren wird.”

Aber warum, so fragen wir ihn heute, zehn Jahre nach der Veröffentlichung, wählte er den Begriff “Insubrien” anstelle des üblichen “Tessins” oder der “italienischen Schweiz”? Der Autor antwortet: “Um uns die historischen Wurzeln eines Territoriums verständlich zu machen, das sich über die italienische Schweiz hinaus erstreckt. Für die meisten Menschen in der Welt ist dies eine unbekannte Realität ist, während das Territorium von Insubrien, dessen antike Hauptstadt Mediolanum, das heutige Mailand, war. Es kann mit jenem der Maya verglichen werden. Es ist also nicht nur ein Punkt auf der Landkarte.”

Appetit auf mehr

Für Tito kam mit dem Schreiben Appetit auf mehr. Er wandte sich der Belletristik zu und veröffentlichte auf Spanisch, das er inzwischen besser beherrscht als seine Muttersprache, “El Molino del Oso” (“Die Bärenmühle”) I und II, die in “Insubrien” spielen, “Mala Vida”, das die Geschichte der Nachkommen einer Bauernfamilie nahe der italienischen Grenze erzählt sowie “Livingston Forever”, das in Guatemala spielt. Die Inspiration für die Handlung des Buches erhielt Tito durch sein Abenteuer als Manager eines Hotels, “am Rande des Waldes”, wie er es beschreibt, dem Tucan Dugu in Livingstone, einer Insel in Guatemala.

“Gavilan Blues”, sein jüngstes Werk, das ins Italienische mit “Il blues del falco” übersetzt und in Italien von Vertigo veröffentlicht wurde, behandelt ein heikles Thema, das auch heute noch in Lateinamerika präsent ist, nämlich die Homosexualität in ländlichen Gemeinden.

Rückkehr in die Schweiz

“In diesem Buch erschüttere ich das Gewissen mit einem nicht traditionellen Thema, nämlich mit der Geschichte einer Bauernfamilie, die die Homosexualität ihres Sohnes entdeckt”, sagt Bassi. Dennoch war das Buch in der Tessiner Wahlheimat ein Erfolg: Der Autor wurde von lokalen Fernsehsendern interviewt und nahm an Talkshows teil.

Und welche Pläne hat Tito Bassi für seine Zukunft als Schriftsteller und für seine Zukunft? “Ich werde bald in die Schweiz kommen, um mich in Bern einer medizinischen Behandlung zu unterziehen. Und ich werde sicherlich die Gelegenheit nutzen, um im Tessin Halt zu machen, das ich seit zehn Jahren nicht mehr besucht habe. Was das Schreiben angeht, so habe ich viele Bücher in der Pipeline!”

Bild aus einem Dokumentarfilm, den das Tessiner Fernsehen RSI 2012 über den Schweizer “Waffenhändler” produzierte. RSI-SWI

Tito Bassi lebt nun seit fast einem halben Jahrhundert in Guatemala-Stadt. Wir fragen ihn, ob er manchmal ein wenig Sehnsucht nach dem Land seiner Jugend hat? “Heimweh kommt bei mir vor, aber das heutige Tessin ist nicht mehr das meine, und wenn sich die Menschen verändern, wird die Verbindung schwächer, und auch das Wesen verändert sich … Und landschaftlich gesehen ist die Welt voll von Orten, von denen einer schöner ist als der andere…’ 

In der Zwischenzeit, philosophische Melancholie hin oder her, widmet sich Tito Bassi in Guatemala Stadt einer neuen Art des Schreibens: Gedichte im Tessiner Dialekt … als wolle er sagen, dass die Sprache des Herzens, die Sprache der Seele, niemals wirklich vergessen geht.

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