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Tod eines Theatermanns mit grosser Ausstrahlung

René Gonzales leitete ein Muliplex-Theater, das einmalig ist in der Schweiz. Mario Del Curto

René Gonzalez, der Direktor des Théâtre de Vidy-Lausanne, ist im Alter von 69 Jahren gestorben. Gonzalez hatte dem Theater einen internationalen Nimbus verliehen. Für die Schweiz war er ein bemerkenswerter Botschafter der Schweizer Kunst im Ausland.

Als René Gonzalez 1991 die Leitung des Theaters übernahm, hatte er Grosses vor. Heute, 20 Jahre später, ist die ehrwürdige Lausanner Institution in der westlichen Kunstszene bestens bekannt, vor allem in Europa.

Etwas ist seinen Ambitionen allerdings entwischt: Die Genesung. Gonzalez hatte immer geglaubt, dass er seine Krankheit besiegen könne. Aber ein bösartiger Tumor in der Speiseröhre behielt die Oberhand. Am 18. April ist René Gonzalez an den Folgen der langen Krankheit gestorben. Sein Stellvertreter, René Zahnd, verliert einen Partner, “der von der Utopie der Kunst begeistert” war.

Zahnd verbirgt im Gespräch mit swissinfo.ch seine Bewunderung für den verstorbenen Direktor nicht, mit dem er während vielen Jahren zusammengearbeitet hat. “Als er ans Vidy-Theater kam, begriff er sogleich, dass man das gesamte Potential des Ortes ausschöpfen musste: Die aussergewöhnliche Lage am Ufer des Genfersees, eine künstlerische und administrative Truppe, die sich mit Leib und Seele dem Theater hingibt, aber auch Behörden, die ein offenes Ohr für fruchtbare Gespräche haben”.

Sinn für Diplomatie

Gonzalez hat die vielen Vorteile brillant zu nutzen verstanden. Er hat das Programm von Jahr zu Jahr ausgebaut, die Zuschauerkapazitäten vergrössert, den Ruf des Hauses in der Schweiz gestärkt und ihm einen Nimbus im Ausland verliehen. Geholfen hat ihm dabei sein wertvoller Adresskalender.

Der gebürtige Pariser hatte in der französischen Hauptstadt grosse Häuser geleitet, so das Théâtre Gérard Philippe in Saint-Denis, die Opéra Bastille oder das MC 93 in Bibigny; er war überall bekannt.

All das war den Lausanner Kulturbehörden bewusst, als sie ihn 1990 an den Genfersee beriefen. Anfänglich leitete Gonzalez das Vidy-Theater gemeinsam mit dem Deutschen Matthias Langhoff, einem Künstler mit starkem Charakter. Nach nur einem Jahr verliess Langhoff das Lausanner Theater, Gonzalez blieb. Er hatte das diplomatische Geschick, das es braucht, um eine “Stadt” wie das Vidy zu leiten. Er hatte vor allem ein grosses Talent als Intendant.

Unter ihm waren die Finanzen stets im Lot. Weder als Schauspieler noch als Regisseur stand ihm irgend eine Karriereplanung im Weg. Seine Zeit widmete er ausschliesslich dem Beruf als Produzent.

Auch der Kulturverantwortliche von Lausanne, Grégoire Junod, war mit der Wahl zufrieden, die seine Stadt zu Beginn der 1990er-Jahre getroffen hatte. “Die Berufung von René Gonzalez ans Vidy-Theater entsprach einem politischen Wunsch der Stadt: Aus dem Ort eine der grössten Theaterszenen Europas zu machen”, sagt er.

“20 Jahre später kann man sagen, dass der Auftrag erfüllt wurde. Mit drei Sälen und einem Kapitell ist Vidy ein Multiplex-Theater geworden ohne Seinesgleichen in der Schweiz, und sogar in Europa, vor allem, was die Ausstrahlungskraft betrifft “. Vor allem die Tourneen haben viel zur Ausstrahlung des Vidy beigetragen: Zwischen 500 und 600 Vorstellungen wurden jährlich auf Bühnen in der ganzen Welt gezeigt.    

Die Stars und die jungen Talente

Von Bob Wilson zu Heiner Goebbels, von Claude Régy, Luc Bondy zu Rezo Gabriadze, zahlreiche international bekannte Regisseure haben im Theater am Genfersee ihre Produktionen (Theater, Tanz, Zirkus, Musik) gezeigt. Zu den berühmten Namen gesellen sich jene der Künstler aus der Deutschschweiz, der Romandie und des Tessins: Denis Maillefer, Daniele Finzi Pasca, Valentin Rossier, Gian Manuel Rau…

Obwohl Gonzalez die Stars eingeladen hatte, mit ihm zu arbeiten, war ihm bewusst, dass man auch die Talente in der Region, besonders die jungen, bekannt machen musste.

Der bekannte französische Schauspieler Gérard Desarthe, der oft in Genf und Lausanne auftritt, erinnert sich: “Ich kannte René seit 30 Jahren. Er hatte eine grosse Qualität: Empathie. Er konnte den Jungen zuhören, sie ermuntern. Ich bedaure, dass man in Frankreich seinen eigentlichen Wert nicht erkannt hatte. Er war ein bemerkenswerter und unvergleichlicher Programmdirektor und Produzent. Das haben die Schweizer schnell begriffen. Und sie liebten ihn sehr. Umso besser für sie; schade für uns”.

René Gonzalez wurde 1943 in Paris geboren.

Nach Ausbildungen am Cours Simon und an der Rue Blanche gehörte er zur ständigen Truppe des Théâtre Gérard Philippe de Saint-Denis (Vorstadt von Paris), einer Institution, die zwischen 1976 und 1985 leitete.

Die Arbeit als Direktor und Intendant führte er am Maison de la Culture MC 93 de Bobigny (Paris) zwischen 1985 und 1988 weiter.

Im Dezember 1988 wurde er der erste Direktor der Opéra Bastille, die er bereits im August 1989 verlässt, nach dem er die Ouvertüre sichergestellt hatte.

Dann wird er nach Lausanne berufen, als Co-Direktor des Théâtre de Vidy für die Saison 1990-1991 gemeinsam mit Matthias Langhoff. Ab 1991 leitet er das Theater allein.

Im Laufe der Zeit macht er aus dem Theater an den Ufern des Genfersees einen bekannten Ort für lebendiges Theater mit internationaler Ausstrahlung.

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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