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Tourismus zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit

Luzern, touristisches Herz der Schweiz und Austragungsort des 2. World Tourism Forum. swiss-image.ch/Christof Sonderegger

Im Tourismus geht es, wie auch im Energiebereich, je länger je mehr nicht alleine um Wachstum, sondern auch um Nachhaltigkeit. Am World Tourism Forum in Luzern versuchten Mitte April 230 Experten einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden.

Wegen seiner gewerblichen, in Hunderte von Kleinunternehmen aufgeteilten Struktur gehört der Tourismus in der Schweiz zu den wirtschaftlich stark unterschätzten Branchen. Dies im Gegensatz zur Uhrenindustrie etwa, die von einigen grossen und weltbekannten Namen dominiert wird. Dennoch wetteifern Uhren- und Tourismusbranche jeweils um den dritten Platz in der nationalen Ausfuhr-Statistik.

Weltweit jedoch ist der Tourismus die mit Abstand grösste Konsumindustrie. Während Jahrzehnten global krisenresistent, sorgt er seit vielen Jahren für stabile Wachstumsraten.

Die ‘Nachhaltigkeit’ (Sustainability), welche eigentlich das gängige quantitative Wachstum in Frage stellt, ist zwar seit vielen Jahren in die Fremdenverkehrs-Werbung eingebaut. Doch wirkt sie dadurch nicht immer glaubwürdig. 

Zur Nachhaltigkeit beitragen

230 touristische Führungskräfte und Experten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Finanz trafen sich kürzlich in Luzern, um zu den Dimensionen der Nachhaltigkeit im Fremdenverkehr und zur Frage, wie sie ernster genommen werden könnte, beizutragen.

“Wie man ohne Wachstum zu Prosperität kommt, muss erst herausgefunden werden”, sagte Jürg Schmid, Direktor Schweiz Tourismus (ST), im Podiumsgespräch am Forum.

Gerade die wachsenden Konsumentenmassen in Entwicklungsländern würden noch lange ein starkes Bestreben nach konventionellem Reisen haben, doppelte der südafrikanische Tourismusminister Marthinus Van Schalkwyk nach.

Besonders gross sei die Nachfrage nach Reisen in gut erhaltene und dennoch erschlossene Naturgebiete, wie sie die touristische Schweiz anbiete. Schmid berief sich auf eine Umfrage von ST bei Touristen aus Übersee, aus der hervorgeht, wie sehr das Naturerlebnis “dominantes Nachfragemoment” sei.

Ineffektive Effizienz

Dabei sei ein gewisses Wachstum nicht zu umgehen: “Wie können wir in der Schweiz einen nachhaltigen Tourismus machen, wenn die Aufenthaltsdauer pro Gast abnimmt?”, fragte Schmid. Auf diese Grösse könne man kaum einwirken, doch werde mit der Landeswerbung versucht, die Anzahl der Gäste-Ankünfte zu erhöhen, um diesen Effekt zu neutralisieren.

Tim Jackson von der britischen Kommission für Nachhaltigkeit und Regierungsberater nannte das Dilemma dann beim Namen: Die Effizienzgewinne durch Energieeinsparungen und kleinerem CO2-Ausstoss pro Einheit würden durch die ständig weiter gehende Expansion der Touristenströme völlig verwässert. Die technologische Effizienz trägt also nicht zur effektiven Nachhaltigkeit bei, auch wenn damit geworben wird.

Ähnliche Herausforderungen gab es bereits

Gegenüber swissinfo.ch gab sich Forumsbesucher Michel Rochat, Direktor der Ecole Hôtelière Lausanne, weniger skeptisch: “Die Geschichte zeigt, dass die Menschen bereits früher vor ähnlichen Herausforderungen standen. Es braucht erfahrungsgemäss immer zuerst die Einsicht, dass ein Problem besteht, bevor dann wirklich intensiv nach technischen Lösungen gesucht wird.”

London sei im 19. Jahrhundert fast in der Drecksluft der Kohle erstickt, bevor strombetriebene Transportmittel aufkamen. Das Entscheidende liegt für Rochat jedoch in der Politik: “Sie muss die Forschungsgelder in die richtige Richtung lenken, also in die Nachhaltigkeits-, Clean Tech- und ähnlichen Bereiche.”

Queensland als Beispiel

Doch nicht nur in der Schweiz macht man sich Gedanken zur Nachhaltigkeit. Auch am anderen Ende der Welt, in Down Under, ist das Thema genau so präsent: “Der nachhaltige Tourismus war in Queensland immer schon ein Thema”, sagt Daniel Gschwind, Chief Executive des Queensland Tourism Industry Councils, Auslandschweizer und Honorarkonsul der Schweiz in Brisbane, gegenüber swissinfo.ch.

“Weil alle unsere Attraktionen, die für den Tourismus sehr wichtig sind, wie das Barrier Reef, der Regenwald oder der Norden von Queensland, Naturschätze sind, nur genutzt werden können, wenn dies nachhaltig geschieht.”

Dies sei seit jeher einer der touristischen Wettbewerbsvorteile von Queensland gewesen. “Mit den Naturkatastrophen, die wir in den letzten drei Monaten hatten, ist dies noch in den Vordergrund gerückt. Das Gefahrenpotenzial, das uns noch erwartet, ist etwas transparenter geworden.”

Mehr Gewicht für die Nachhaltigkeit

Ausser einer gezielteren Forschung wurden in Luzern weitere Methoden aufgezählt, um der touristischen Nachhaltigkeit zu mehr Gewicht zu verhelfen.

Dazu gehören die Preispolitik, also die Frage nach dem alle Kosten berücksichtigenden Preis von Flugtransport und Hotel-Dienstleistungen. Empfohlen wurde die Erneuerung von globalen Vereinbarungen, wie das internationale “Flugabkommen von Chicago”.

Ebenfalls vorgeschlagen wurde ein schneller Generationenwechsel auf Entscheidungsebene, weil die Jungen viel grüner denken, oder das Etablieren von Staatsfonds wie in Norwegen, die nachhaltig investieren und grünen Tourismus eher unterstützen.

In Luzern fand Mitte April das 2. World Tourism Forum statt, eine Art Mini-Davos des weltweiten Fremdenverkehrs, einer der am schnellsten wachsenden und grössten Wirtschaftsbranchen der Welt.

Ohne interdisziplinäre Hilfe aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Finanzwelt kann der Tourismus seine Herausforderungen – Globalisierung, demografischer Wandel, Nachhaltigkeit, Preisdruck, Social Media – nicht mehr alleine lösen.

Das WTF-Thema 2011 lautete: Nachhaltigkeit. Darüber wird seit langem diskutiert, doch die Massnahmen bleiben isoliert und wenig vernetzt.

General Manager des WTM ist Professor Martin Barth, Institut für Tourismuswirtschaft, Hochschule Luzern – Wirtschaft.

Weltweit wird sich die Zahl der Touristenankünfte von 880 Mio. im Jahr 2009 auf 1,6 Mrd. 2020 fast verdoppeln.

Weltweit betrug die Anzahl Flugpassagiere in den Jahren 2000 bis 2003 jährlich rund 3,5 Mrd.

2007 waren es bereits 4,8 Mrd.

Die Schweiz ist eine traditionelle und alte Tourismusdestination. 2008 nahm sie allein mit ausländischen Gästen fast 16 Mrd. Franken ein.

Gleichzeitig gaben die Schweizer Wohnbevölkerung beim Reisen ins Ausland rund 12 Mrd. Fr. aus.

Der positive Saldo (für die Ertragsbilanz des Landes) bewegt sich seit Mitte der 70er-Jahre zwischen etwas unter 2 bis fast 4 Mrd. Franken.

45% der Reisen der Wohnbevölkerung bleiben im eigenen Land. Dennoch gelten die Schweizer als sehr reisefreudig.

2008 betrug die Anzahl auswärtiger Übernachtungen 115,4 Mio.

2010 registrierte die Schweizer Hotellerie über 36 Mio. Logiernächte (Übernachtungen). Davon fielen 15,8 Mio. auf inländische Nachfrage. 

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