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Umweltbedingungen setzen den Pilzen zu

Der Steinpilz, ein beliebter Speisepilz. S. Hartmann

Ein Drittel der Schweizer Grosspilze sind gefährdet. Dies hält die am Montag publizierte Rote Liste der bedrohten Pilzarten fest.

Ein Unterschied zwischen Speisepilzen und ungeniessbaren Pilzen ist dabei nicht feststellbar. Mit gezielten Massnahmen liesse sich der Zustand verbessern.

Rote Listen gibt es bereits seit längerem zu Brutvögeln, Blütenpflanzen, Fischen, Libellen, Moosen oder Flechten. Nun liegt, mit etwas Verzug, auch die definitive Liste für Grosspilze vor. Sie ersetzt die provisorische Rote Liste von 1997.

Die gemeinsam vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) und der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) erstellte Liste lässt wegen des umfassenden Datenmaterials relevante Aussagen zu. Eine vergleichbare Untersuchung liegt bis jetzt nur in Deutschland vor.

Die Untersuchung fusst auf rund 300’000 Datensätzen aus unterschiedlichen Quellen, so auch von vielen freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Pilzvereinen, die zwischen 1995 bis 2004 gesammelt wurden.

Launenhafte Pilze

Die Erstellung der Liste hat sich hingezogen, da die Fruchtkörper der Pilze anders als etwa die standorttreuen Blütenpflanzen oder Flechten nicht regelmässig jedes Jahr spriessen und häufig nur kurze Zeit zu sehen sind. “Zudem wurden Pilze lange Zeit stiefmütterlich behandelt”, stellt Simon Egli, Projektleiter am WSL, fest.

Pilze spielen in der Natur eine wichtige Rolle. Sie liefern anderen Partnerpflanzen wichtige Nährstoffe, versorgen sie mit Wasser und erhöhen dadurch deren Stresstoleranz.

Pilze bauen aber auch organisches Material ab und sind selber Nahrung für viele Kleintiere. “Mit der Roten Liste erhalten die Pilze jetzt die öffentliche Bedeutung, die ihnen gebührt”, betont Egli.

Ein Drittel der Pilzarten gefährdet

Die Resultate der Pilzuntersuchung bestätigen einen Trend, den auch andere Roten Listen belegen: Rund ein Drittel ist gefährdet. Speisepilze und ungeniessbare Pilze sind gleichermassen betroffen.

Gesicherte Daten bestehen zu 3000 der 5000 Schweizer Grosspilzarten (Grosspilze: Hut-Durchmesser über 2 mm). “Gesichert” heisst in diesem Fall, dass mindestens 5 Meldungen einer Art vorliegen müssen, die aus mehreren Jahren stammen.

Dabei besteht allerdings eine Unschärfe: “Bei Pilzen mit nur 5 Fundnachweisen handelt es sich entweder um extrem seltene Arten, oder ein Pilz ist wenig bekannt und wird daher kaum bestimmt”, präzisiert Beatrice Senn-Irlet, Hauptautorin der Roten Liste der Grosspilze.

Von den 2956 erfassten Grosspilzarten wurden 937 Arten oder 32% der Roten Liste zugeteilt. Davon sind 81 Arten vom “Aussterben bedroht”, 360 sind “stark gefährdet”, und 495 sind verletzlich” (leichter Rückgang). “Ausgestorben” bzw. verschollen ist bis jetzt der Moor-Hallimasch, dessen letzte Beobachtung aus dem Jahr 1935 datiert.

Totholz wichtig für Pilze

Generell, so der Befund der Untersuchung, kommen die am meisten gefährdeten Pilzarten in Ökosystemen vor, die selber stark zurückgegangen und deshalb selten sind, z.B. Auenwälder, Moore oder extensiv genutzte Magerwiesen.

Grund für den Rückgang sind Veränderungen der Lebensraumstrukturen, wie: intensive landwirtschaftliche Nutzung, stark wachsender Siedlungs- und Strassenbau. Abträglich für Pilze ist auch der hohe Stickoxidgehalt der Luft. Im Wald, wo rund zwei Drittel der Grosspilze gedeihen, nimmt die Bodenbelastung durch schwere Waldmaschinen oder Freizeitsport zu.

Die Pilzsammeltätigkeit selber scheint den Pilzen weniger zu schaden als lange angenommen wurde. Das hat vor zwei Jahren eine Untersuchung des WSL überraschend ergeben. Anderseits hat sich bestätigt, dass regelmässiges Betreten zu einem markanten Rückgang der Fruchtkörperbildung bei gewissen Arten führt.

Die Befunde haben eine Kontroverse in der Fachwelt ausgelöst. Das BAFU empfiehlt weiterhin Beschränkungen der Mengen und Sammeltage.

Fördermassnahmen

WSL/BAFU möchten den Rückgang mit gezielten Fördermassnahmen stoppen. Sie schlagen vor, das Totholz in den Wäldern vermehrt liegen zu lassen. Es sei für viele holzbewohnende Grosspilze wichtig, betont Beatrice Senn-Irlet, vor allem an schattigen Nordhängen mit einem feuchten Mikroklima.

Ferner sollten im Landwirtschaftsland die einst weit verbreiteten Magerwiesen erhalten werden. Und bei Neupflanzungen seien pilzartenreiche Wirtsarten wie Eichen, Ulmen und Linden zu berücksichtigen.

swissinfo, Stefan Hartmann

Über 200 Grosspilze gelten als Speisepilze. Für den Menschen giftig sind gegen 150 Arten.

Pilze sammeln ist beliebt. Im Kanton Zürich werden jährlich rund 10 Tonnen frische Wildpilze gesammelt.

2006 gingen beim Schweizerischen Toxikologischen Zentrum Zürich 456 Anfragen wegen Pilzvergiftungen ein.

Tödliche Pilzvergiftungen sind heute in der Schweiz nicht häufig: Je ein Fall wurden 1996, 2001, 2002 und 2005 gemeldet.

In den Schweizer Gemeinden gibt es rund 800 Pilzkontrollstellen.

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