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UNICEF rüffelt Schweiz wegen Kinderschutz

Die "ausgerutschte Hand": Vom Schweizer Gesetzgeber erlaubt. Keystone

Die Schweiz ist bei der Gewalt gegen Kinder leider keine Insel. Gemessen an den Todesfällen liegt sie im Mittelfeld der Industrieländer.

Das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF fordert die Schweiz auf, die gesetzlichen Lücken bei Gewalt gegen Kinder zu schliessen.

In den Industrieländern sterben im Durchschnitt jedes Jahr etwa 3500 Kinder unter 15 Jahren an den Folgen von Misshandlung. Dies zeigte eine UNICEF-Studie, für die in den letzten 5 Jahren 27 Länder unter die Lupe genommen wurden.

In der Schweiz lag die Todesrate bei elf Kindern pro Jahr. Mit einer Rate von 0,9 Todesfällen pro 100’000 Kinder liegt sie damit im Mittelfeld, wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Studie des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF hervorgeht.

In Spanien, Griechenland, Italien, Irland und Norwegen ist die Todesrate verhältnismässig niedrig (0,1 bis 0,3 Todesfälle pro 100’000 Kinder). Vier bis sechs Mal höher ist sie in Belgien, Tschechien, Neuseeland, Ungarn und Frankreich.

Die USA führen mit wöchentlich 27 Kindestötungen durch Prügel und andere Quälereien die traurige Statistik an. Ebenfalls eine hohe Kinder-Todesrate durch Gewalt weisen Mexiko und Portugal auf.

Generelles Verbot gefordert

Die UNICEF fordert in der Studie, dass körperliche Gewalt gegen Kinder in allen Ländern per Gesetz verboten wird. In der Schweiz ist dies noch nicht der Fall. Das Schweizerische Strafgesetzbuch erlaubt leichte körperliche Strafen wie Ohrfeigen, sofern sie im Affekt geschehen. Nach der Praxis des Bundesgerichts muss das allgemein übliche und gesellschaftlich geduldete Mass überstiegen sein, damit Schläge und Ohrfeigen gegen Kinder als Tätlichkeiten gelten.

Züchtigung im Affekt nicht strafbar

Dies geht aus einem Entscheid vom vergangenen Juli hervor, als die Lausanner Richter zu einem Fall im Kanton Waadt Stellung nahmen, bei dem ein Kind nach einer Misshandlung gestorben war. Demnach ist wiederholtes Schlagen strafbar, eine leichte Züchtigung im Affekt hingegen nicht.

Das UNO-Kinderrechtskomitee fordert die Schweiz dagegen auf, sämtliche Formen von körperlicher Strafe zu verbieten, Sensibilisierungsarbeit zu leisten und alternative Disziplinarmassnahmen zu fördern.

Damit rennt UNICEF beispielsweise bei der Organisation Kinderschutz Schweiz offene Türen ein. “Erfahrungen in Ländern, in denen eine ausdrückliches gesetzliches Verbot besteht, zeigen jedoch eindeutig, wie sehr ein solches Gesetz zur Reduktion von Körperstrafen beitragen kann”, heisst es in einer Würdigung des rechtlichen Kinderschutzes in der Schweiz.

Armut und Stress als häufigste Ursachen

Gemäss einer Umfrage, die im Rahmen der Studie in den Industrieländern gemacht wurde, liegen die Ursachen für Gewalt gegen Kinder meist in Armut und Stress. In 80 Prozent der Fälle sind die Täter die Eltern, wobei die Gewalt zu gleichen Teilen von Mütter und Vätern ausgeht.

Die Gewaltanwendungen im familiären Umfeld stehen oftmals im Zusammenhang mit Alkohol- und Drogenmissbrauch. Häufig herrscht auch zwischen den erwachsenen Bezugspersonen ein gewalttätiges Klima.

swissinfo und Agenturen

Die UNO-Kinderkonvention ist seit 1989 in Kraft.
Die Schweiz ratifizierte sie 1997.
Das StGB stellt Körperstrafen an Kindern nicht ausdrücklich unter Strafe. Schwere und einfache Körperverletzungen sind aber strafbar.
Strafbar ist auch die Tätlichkeit.
Laut Bundesgericht ist systematische Gewalt gegen Kinder nicht erlaubt.
Leichte “Ausrutscher” wie Ohrfeigen im Affekt liegen aber drin.

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