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Vatikanisches Geheimarchiv wird zugänglich

Vatikanisches Archiv: Eine umfangreiche Wissensquelle, die sich über 85 Regal-Kilometer erstreckt. Ufficio stampa Archivio Segreto Vaticano

Erstmals verlassen Hunderte von Dokumenten, auch solche über die Schweizergarde, die Schwelle des Vatikans. In Roms Kapitolinischen Museen sind bis September im Rahmen der Ausstellung "Lux in Arcana" Schätze aus dem Vatikanischen Geheimarchiv zu sehen.

Von der Akte zum Häresieprozess gegen Galileo Galilei bis zur Exkommunikations-Bulle gegen Martin Luther, von Michelangelos Brief über seine Arbeit an der Sankt-Peters-Kirche bis zu den “verwahrten Dokumenten” des Pius XII-Pontifikats während des Zweiten Weltkriegs:

Bisher tief in den Geheimarchiven des Vatikans versteckt, werden solche Kulturgüter ersten Ranges als Weltpremiere in Form von über hundert Dokumenten öffentlich zugänglich. 

Es gehe darum, den Schleier des Geheimen und Mythischen zu lüften, der diese Objekte umwehe, sagt Gianni Venditti, seit sieben Jahren vatikanischer Archivar und Kurator der Ausstellung, zusammen mit Alessandra Gonzato, Marco Maiorino und Pier Paolo Piergentili.

85 Kilometer Bücherregale

Der Zeitpunkt der Ausstellung “Lux in Arcana” fällt genau 400 Jahre nach der Einweihung dieser Geheimarchive. Eingerichtet worden waren sie 1612 von Papst Paul V. “Lux in Arcana” bleibt bis zum 9. September in den Kapitolinischen Museen zu sehen. Dem Betrachtenden wird Einblick in ein unglaubliches Kapitel geschichtlichen Wissens vermittelt: Das Geheimarchiv erstreckt sich über 85 km in Regal-Linie und 650 Archivierungen. 

“Diese Längenangabe ist keine Legende”, sagt Venditti. “Werden alle Archivregale aneinandergereiht, kommt man auf 85 km.” Für diese Ausstellung habe man ein Auswahl von welthistorisch entscheidenden Dokumenten getroffen.  

Darunter gibt es auch Überraschungen: Zum Beispiel der auf reiner Seide geschriebene, im einem Bambuskästchen verwahrte Brief aus dem Jahr 1650 der chinesischen Kaiser-Witwe Wang an Papst Innozenz X. Darin teilt sie ihm ihre und ihres Sohnes Bekehrung mit – auf die Namen Elena und Konstantin.

Oder der Brief aus Birkenrinde, verfasst 1887 von Pierre Pilsémont, Häuptling des kanadischen Indianerstamms der Ojibwa. Darin bedankt sich Pilsémont bei Papst Leone XIII für die Entsendung des ersten apostolischen Vikars in sein Land.

Diese beiden Dokumente sollen die Verschiedenartigkeit des im Vatikan archivierten Materials zeigen, sagt Venditti. Diese grosse Breite zeige sich auch an den unterschiedlichsten Siegeln dieser Dokumente, die vom normalem Lack bis zu purem Gold reiche. 

Schweizergarde

In dieser Ausstellung durften natürlich auch zwei Dokumente, die die Schweiz betreffen, nicht fehlen. Es geht um die Schweizergarde: Die Anwerbung des ersten Kontingents und das Truppen-Reglement, das erste in Pergament und das zweite im Samt eingebunden.  

Die Anwerbung des ersten Kontingents fällt auf den 21. Juni 1505. Papst Julius II hatte die Verhandlungen für ein Abkommen mit den Schweizer Kantonen begonnen, und eine militärische Vereinbarung, eine so genannte Kapitulation angestrebt. 

Dank der Vermittlung des Zugers Pfarrers Peter von Hertenstein wurden die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen: Die angeforderten Söldnergardisten dürften nie für Kriegshandlungen verwendet werden, sondern nur für die persönliche Sicherheit des Papstes und die Verteidigung des Heiligen Stuhls.

Truppenreglemente

Am 22. Januar 1506 kamen die ersten 500 Gardisten in Rom an, unter Führung des Urners Kaspar von Silenen. Doch schon 1510 wollte Julius II das Abkommen revidieren, und am 5. Juli 1512 erhielten die Schweizer den Titel von “Verteidigern der Freiheit der Kirche”.

Das ausgestellte Dokument des Truppenreglements datiert vom 20. März 1561. Nur ein einziges Mal war der Papst seither nicht mehr mit den festgelegten etwas über 500 Mann versorgt worden: Nach dem “Sacco di Roma”, der Plünderung Roms durch deutsche Landsknechte im Jahr 1527, als von 189 mit der Verteidigung von Klemens VII beauftragten Schweizergardisten nur 42 überlebt hatten.

Mehr als zwanzig Jahre später, 1548, kam es zu einem neuen Abkommen zwischen den katholisch gebliebenen Kantonen und dem Kirchenstaat. Am 17. März 1559 schliesst der neue Römer Gardeführer Kaspar Leo von Silenen, Nachkomme des ersten Führers und wie er aus Uri, mit der Schweizer Gegenseite ein Abkommen ab. Diese wird am 20. März 1561 Papst Pius IV zur Genehmigung vorgelegt.

Das Abkommen, abgelegt unter dem Titel Capitula pro strenuo domino Gaspare Syllano capitaneo Helvetiorum Suae Sanctitatis, ist in zwölf Kapitel unterteilt. Es reglementiert jeden Aspekt der Päpstlichen Schweizergarde, inklusive ihr äusseres Auftreten. So wird festgelegt, dass die Uniformen alle acht Monate ersetzt werden müssen.

Eigentlich nur bis 1939

Die Ausstellung ist in sieben Sektionen gegliedert: “Tiara und Corona” (wo die Dokumente über die Schweizergarde zu sehen sind); “Im Geheimnis der Konklave”; “Heilige, Königinnen und Kurtisanen”; “Reflexion und Dialog”; “Häretiker, Kreuzzügler und Ritter”; “Wissenschaftler, Philosophen und Erfinder”; “Gold und Tinte”.

Das Ende der Ausstellung ist der so genannten “Geschlossenen Periode” gewidmet – der schwierigen Weltkriegs-Zeit von Papst Pius XII. “Sie wird so genannt”, sagt Venditti, “weil das Päpstliche Archiv, wie alle anderen auch, Dokumente aufbewahrt, die zur Zeit nicht einsehbar sind.” Momentan sei das Material nur bis zum Februar 1939 einsehbar, als das Pontifikat von Pius XI zu Ende ging. “Die folgenden Jahre unter Pius XII und seinen Nachfolgern müssen der Forschung erst noch zugänglich gemacht werden.” 

Deshalb hätten jene Dokumente, die unter die “Geschlossene Periode” fallen, einer speziellen Genehmigung durch den gegenwärtigen Papst Benedikt XVI bedurft, um den Vatikan zu verlassen.  

Das Vatikanische Geheimarchiv ist offiziell 1612 von Paul V gegründet worden.

Es dient als zentrale Sammelstelle des Heiligen Stuhls und archiviert alle promulgierten Gesetze, Akten und Regierungsdokumente der Kirche.

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts wird es “geheim” (segreto) genannt, obschon das lateinische Wort “secretum” eigentlich privat bedeutet. Deshalb bedeutet das “Geheim”-Archiv eigentlich das Privatarchiv im Besitz des Papstes. 

Die aufbewahrten Dokumente erstrecken sich über einen Zeitraum von rund 12 Jahrhunderten (7. bis 20. Jahrhundert). Es verteilt sich über 600 separate Archive, die über 85 Regalkilometer erstreckt sind. 

Die Recherche im Geheimarchiv ist gratis, zugänglich ist es für qualifizierte Forscher. Das heisst, Bedingung ist ein spezialisierter (Hoch-)Schulabschluss.   

Leo XIII entschied 1881, das Geheimarchiv für Forscher jeglicher Nationalität und Glaubensrichtung zu öffnen.  

Gemäss einer seit 1924 geltenden Praxis gewährt der Papst den Zugang “per Pontifikat”. Zur Zeit reicht der zugängliche Zeitbereich bis Februar 1939, dem Pontifkatsende von Pius XI.

In Abweichung von dieser Gewohnheit hat Paul VI nach dem Abschluss der Arbeiten zum II. Vatikanischen Konzil 1965 den Forschern die Jahre 1962 bis 1965 geöffnet.

Johannes Paul II machte auch das Archiv des Vatikanischen Informationsbüro “Kriegsgefangene 1939-1947” zugänglich.

Fonte: Archivio Segreto Vaticano

Die Ausstellung “Lux in Arcana – das Geheimarchiv des Vatikans öffnet sich” ist seit Anfang März in den Kapitolinischen Museen der Stadt Rom zu sehen.

Sie dauert noch bis zum September. Sie ist täglich ausser montags von 9 bis 20 Uhr geöffnet.

(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

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