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Verkehrsminister ausgebremst

Ein zerknirschter Moritz Leuenberger. Keystone

Die Schweiz soll eine zweite Gotthardröhre und einen Strassenbaufonds erhalten. Der Nationalrat will damit noch weiter gehen als die Avanti Initiative.

Damit bricht die Grosse Kammer mit der Tradition, wonach Gegenvorschläge die Forderung von Initiativen abfedern.

Die Avanti-Initiative wollte den europäischen alpenquerenden Verkehr durch den Gotthard erleichtern. Neben dem laufenden Ausbau der neuen Alpentransversale (NEAT) für die Bahn sollte der Gotthard-Strassentunnel eine zweite Röhre erhalten.

Derzeit fliesst der Verkehr durch den Gotthard einspurig nur durch eine Röhre. Ausserdem wollte die Initiative die Autobahn zwischen Bern und Zürich und zwischen Lausanne und Genf ausbauen.

Nachdem die Verkehrskommission des Nationalrats den Gegenvorschlag des Bundesrats zur Avanti-Initiative noch angereichert hatte, stimmte eine knappe bürgerliche Mehrheit für die Version der Kommission.

Dagegen sprachen sich Christdemokraten, Sozialdemokraten und Grüne aus. Der neue Gegenvorschlag gehe noch weiter als die ursprüngliche Initiative.

Weiter als die Initiative

Die Kommission hatte diese Idee angereichert, um auch gegen Staus im Agglomerationsverkehr anzukämpfen. Zudem will die Kommission einen speziellen Fonds schaffen.

Dieser Infrastrukturfonds soll mit Treibstoffzöllen finanziert und für die Finanzierung von Strassenbauprojekten, hauptsächlich in den urbanen Zentren, verwendet werden. Ausserdem soll der Alpenschutzartikel für den Bau der zweiten Gotthard-Röhre gelockert werden.

Der sozialdemokratische Nationalrat und Fraktionssprecher Andrea Hämmerle bezeichnete es gegenüber swissinfo als “historisch einmalig, dass ein Gegenvorschlag weiter geht, als die Initiative. Normalerweise ist ein Gegenvorschlag ein Kompromiss.”

Ausbau statt Alpenschutz

Die Annahme des Vorschlages ist eine Schlappe für die Linke und ihren Verkehrsminister Moritz Leuenberger: Statt die Alpen zu schützen, wie dies der Auftrag an den Bundesrat ist, soll nun die Nord/Süd-Transversale ausgebaut werden.

“Man hat eine neue Tendenz eingeleitet, man geht zurück zur Vernunft”, sagte Avanti-Initiant Ulrich Giezendanner, Transportunternehmer und Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei, gegenüber swissinfo.

Für ihn ist klar, dass diese Massnahmen der Schweiz helfen, die Wirtschaft ankurbeln: “Das sind Investitionen über Jahre. Wir machen damit eine Infrastruktur, die unserer Volkswirtschaft und einer guten Schweiz dient.”

Linke hoffen auf Stimmvolk

Andrea Hämmerle war alles andere als zufrieden. Doch er gab zu bedenken: “Die knappe bürgerliche Mehrheit hat hier ein Fuder geladen, das spätestens in der Volksabstimmung umfallen wird.”

Denn das Stimmvolk habe in der Verkehrspolitik “wie in keinem anderen Bereich eine äusserst konsequente Linie eingeschlagen: Förderung des öffentlichen Verkehrs, Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene.”

Und er ist überzeugt, “dass es diese Linie auch bei der Volksabstimmung nicht verlassen wird.” Denn die Regierung sei vom Volk beauftragt worden, die Verlagerung des Verkehrs durchzusetzen.

Eine Einschätzung, die auch Bundesrat Leuenberger teilte: “Die Verlagerungspolitik als solche widerspricht einer zweiten Röhre. Sie wurde im übrigen durch das Schweizervolk in zahlreichen weiteren Abstimmungen – ich erinnere an die LSVA, die NEAT-Vorlage, die FinöV-Vorlage – immer wieder bestätigt.”

EU-Gespräche nicht gefährden

Ausserdem seien derzeit Verhandlungen mit der EU über die europäische Transitpolitik im Gange. Es sei eine gewisse Privilegierung des Binnenverkehrs gegenüber dem gewöhnlichen Transitverkehr vorgesehen.

Und hier stelle eine zweite Röhre die “Trumpfkarte” dar. Er warne davor, diese zu früh auszuspielen, so Leuenberger weiter.

Und der christlichdemokratische Kommissionssprecher Alex Heim kritisierte, mit einer zweiten Röhre werde der Volksentscheid zur Lockerung des Alpenschutzes umgangen.

Argumente, welche die Ratsmehrheit nicht erreichten. Sie stimmte mit 94 zu 83 Stimmen dem angereicherten Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative zu.

Ulrich Giezendanner gab sich siegessicher: “Ich bin absolut sicher, dass der Vorschlag bei der Volksabstimmung angenommen wird.”

Doch vorerst geht die Vorlage in den Ständerat, die kleine Kammer.

swissinfo, Christian Raaflaub

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