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Verlagerung: Schwacher Schub aus Europa

Die Verkehrsminister Werner Faymann, Oesterreich, Martin Meyer, Lichtenstein, Kommissar Jacques Barrot, EU, Wolfgang Tiefensee, Deutschland, Moritz Leuenberger, Schweiz und Camiel Eurlings, Niederlande.

Theoretisch ist die NEAT und damit auch der neu eröffnete Lötschberg-Basistunnel gut in die Verkehrsplanung der Europäischen Union (EU) eingebettet.

Doch die Verlagerung der Gütertransporte von der Strasse auf die Schiene harzt in der EU noch viel stärker als in der Schweiz.

EU-Verkehrskommissar Jacques Barrot ist ein Fan der Neuen Alpentransversale, NEAT.

“Der Lötschberg ist ein grossartiges Vorbild, das man all jenen entgegen halten kann, die denken, dass die nachhaltige Mobilität nur ein hohler Slogan ist”, erklärte er am Freitag bei der feierlichen Eröffnung des Lötschberg-Tunnels.

Der neue Basistunnel stärke “die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnachse von Rotterdam bis Genua”.

Die Europäische Union hat die NEAT längst in die Planung für den Schienenverkehr eingebaut. Das muss sie auch: Im bilateralen Landverkehrsabkommen verpflichtete sich die Schweiz zum Bau der NEAT, die EU verpflichtete sich zur Verbesserung der NEAT-Anschlüsse im Süden und Norden.

Vier Tunnels sind nicht zuviel

Die NEAT ist Teil der vorrangigen Achse Nummer 24 von Rotterdam bis Genua des “Transeuropäischen Verkehrsnetzes”. Die EU erhob sie 2004 zusammen mit 30 weiteren Verbindungen zu prioritären Projekten.

Dazu gehören allerdings auch Konkurrenzprojekte zur NEAT. So die geplanten Bahn-Alpentransversalen durch den Brenner und den Mont-Cenis.

Sind vier neue Alpentunnel zu viel? Nein, meint der Sprecher von EU-Verkehrskommissar Barrot. “Das Hinterland der vier Tunnel ist doch sehr verschieden”, erklärt er.

In der Tat verbinden die Tunnel unterschiedliche Korridore, die sich kaum konkurrenzieren werden. Der natürliche Weg von den riesigen Nordseehäfen Rotterdam und Antwerpen nach Italien führt für Bahnfracht durch die Schweizer Tunnel.

Italien und Deutschland sind gefordert

Ein Problem für die Achse Rotterdam-Genua ist aber, dass Brüssel den Ausbau nur begrenzt steuern kann. Die Mitfinanzierung der EU ist einerseits zu gering. “Andererseits kann weder die EU noch die EU-Kommission die Ausführung von Massnahmen auf dieser oder anderen Achsen direkt initiieren”, erklärt der Sprecher.

Bauen müssen Deutschland und Italien. Während der Ausbau der Strecke Basel-Karlsruhe auf vier Spuren beschlossene Sache ist, sorgen die NEAT-Anschlüsse im Süden immer wieder für Unsicherheit.

Der Haupteffekt der EU-Politik auf dem Bahnkorridor Rotterdam-Genua dürfte sein, dass hier der Bahnfrachtverkehr früh liberalisiert wurde. Der Konkurrenzkampf bewirkte tiefere Preise und bessere Leistungen.

Eine detaillierte Untersuchung des Dachverbandes der europäischen Bahnen CER für das Jahr 2004 zeigte dennoch ein nur mittelprächtiges Bild: Die Schiene transportierte zwar fünf bis zehn Prozent mehr Güter auf der Achse Rotterdam-Genua. Ihr Marktanteil verharrte aber bei gut einem Fünftel. Anders gesagt: Die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene klappte bisher nicht.

Beispielhafte Schweiz

Auch in der Schweiz kommt zwar die Verlagerung langsamer voran als versprochen. Immerhin findet sie auf dem Schweizer Abschnitt der Achse Rotterdam-Genua statt: Der Anteil der Bahn am Güterverkehr durch die Alpen stieg von 63% im Jahr 2003 auf 66% 2006.

Ein wichtiger Grund ist, dass die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe in der Schweiz viel höher ist als die Abgaben auf dem Lastwagenverkehr in der EU.

“Die EU sollte sich da am Beispiel der Schweiz orientieren”, fordert die Sprecherin des Bahnverbands CER, Elke Schänzler. Bisher war der EU der freie Güterverkehr jedoch wichtiger als eine umweltgerechte Besteuerung der Lastwagen.

Ändern könnte dies die Klimadebatte: Wenn die EU ihre ehrgeizigen Klimaziele tatsächlich erreichen will, dann wird sie den Güterverkehr massiv auf die umweltfreundlichere Schiene verlagern müssen.

swissinfo, Simon Thönen, Brüssel

September 1992: Die Neue Eisenbahntransversale NEAT mit den Basistunnels am Gotthard und am Lötschberg wird in einer Volksabstimmung mit 64% Ja-Stimmen gutgeheissen.

Februar 1994: Die Alpeninitiative wird angenommen. Sie verlangt eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene innert 10 Jahren.

März 1998: Die eidgenössischen Räte heissen den gleichzeitigen Bau beider Basistunnels gut. Der Lötschberg wird nur einspurig bewilligt.

November 1998: Das Volk nimmt mit 63,5% Ja-Stimmen den Bundesbeschluss über Bau und Finanzierung von Infrastrukturvorhaben des öffentlichen Verkehrs (FinöV) an.

Dezember 1999: Das Parlament einigt sich auf einen NEAT-Gesamtkredit von 12,6 Milliarden Franken (ohne Mehrwertsteuer und Teuerung).

Juli 2001: Der Bundesrat erhöht den NEAT Gesamtkredit auf 14,7 Milliarden Franken

April 2005: Durchstich des Lötschberg-Basistunnels

September 2006: Nach verschiedenen Erhöhungen werden die NEAT-Gesamtkosten vom Bundesamt für Verkehr nunmehr auf rund 24 Milliarden Franken veranschlagt.

15. Juni 2007: Feierliche Eröffnung des Lötschbergtunnels. Dessen Gesamtkosten betragen 5,3 Milliarden Franken.

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