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Viel Streit um Lärm – kein Lärm um Steuern

V.l.n.r. auf der Treppe vor dem Reichstag: Bundestags-Abgeordneter Thomas Dörflinger (CDU), Ständerat Maximilian Reimann (SVP), Nationalrätin Kathy Riklin (CVP), Nationalrat Hans Ulrich Gysin (FDP), Ständerat Hannes Germann (SVP), Ständerat Eugen David (CVP). swissinfo.ch

Eine Schweizer Delegation sprach kürzlich mit ranghohen deutschen Politikern vor allem über den Verzug beim Ausbau der Neat-Zufahrtsstrecken und das Doppelbesteuerungs-Abkommen. Trotz guter Stimmung gab es nicht in allen Punkten Einvernehmen.

Vom 5. bis 7.10. weilte die fünfköpfige Delegation für die Beziehungen zum Deutschen Bundestag zu einem Gedankenaustausch in Berlin und traf unter anderem den deutschen Verkehrsminister Peter Ramsauer von der Christlich-Sozialen Union (CSU) und den Vizepräsidenten des deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).

Auf der Tagesordnung standen so brisante Themen wie der Streit um die Landeanflüge am Flughafen Zürich, die Verzögerungen beim Ausbau des Zubringers der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) auf deutscher Seite und das neu zu verhandelnde Doppelbesteuerungs-Abkommen zwischen der Schweiz und Deutschland.

Trotz Freundschaftsbekundungen und allgemein herrschender Zuversicht erzielten beide Seiten erwartungsgemäss nicht in allen Punkten ein Einvernehmen.

Kein Verständnis für Verzug Karlsruhe-Basel

Im Vordergrund der Besprechungen, so der Delegationspräsident, Ständerat Maximilian Reimann von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), habe der Ausbau der Rheintalbahn gestanden.

Deutschland wurde gerügt, weil der Ausbau der nördlichen Neat-Zufahrtsstrecke um Jahre in Verzug geraten ist. “Das belastet das bilaterale Verhältnis. Mit Interesse und Genugtuung haben wir aber zur Kenntnis genommen, dass das Problem in Deutschland erkannt worden ist”, so Reimann weiter.

Als Gründe für den Rückstand beim Bahnausbau nennt Deutschland einerseits Geldmangel und die zahlreichen Einsprachen seitens der Bevölkerung andererseits. “Dafür haben wir wenig Verständnis”, sagte dazu die christdemokratische Nationalrätin Kathy Riklin, Vizepräsidentin der Delegation.

Sollten die Zufahrtsstrecken tatsächlich nicht termingerecht fertiggestellt werden, wie es das gemeinsame Abkommen zwischen Deutschland, Italien und der Schweiz vorsieht, müsse Deutschland an der Grenze zur Schweiz Verlade-Einrichtungen schaffen, in denen Güter von der Strasse aufs Gleis umgeladen werden können: “Ein Transit von Gütern wird nicht mehr akzeptiert. Da wird die Schweiz hart bleiben”, lautet die Ansage an die Deutschen.

Thomas Dörflinger, Bundestags-Abgeordneter von Waldshut-Tiengen und Vorsitzender der Deutsch-Schweizerischen Parlamentariergruppe, bestätigte, der Verzug beim Ausbau der Bahntrassen in Baden-Württemberg sei Fakt, betonte aber gleichzeitig, dass diese Situation auch für Deutschland nicht befriedigend sei.

Doppelbesteuerungs-Abkommen: Win-win-Situation

Viel befriedigender seien hingegen die guten Kontakte der Häuser Schäuble und Merz, und viel zuversichtlicher äusserten sich die Delegationsmitglieder hinsichtlich einer baldigen Unterzeichnung des revidierten Doppelbesteuerungs-Abkommens mit Deutschland.

“Wir gehen davon aus, dass die Verträge noch in der Amtszeit von Finanzminister Hans-Rudolf Merz, also bis Ende Oktober unterzeichnet werden”, sagte Delegationspräsident Reimann. Merz hoffe natürlich, dass dies dann auch sein deutscher Amtskollege Wolfgang Schäuble tun wird.

Schäuble ist derzeit im Spital und wurde bei den Besprechungen von Finanzstaatssekretär Hans Bernhard Beus vertreten.

Als unabdingbar bezeichnete die Delegation, dass es im Rahmen des Doppelbesteuerungs-Abkommens keinen automatischen Informationsaustausch geben werde. Die Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Steuerpflichtigen müssen gewahrt werden.

“Der Staat darf sich nicht zum Hehler machen”, sagte Reimann. Alle Schweizer Forderungen seien von deutscher Seite gut aufgenommen worden.

Gleichzeitig mit dem Doppelbesteuerungs-Abkommen solle nun eine Regelung gefunden werden, wie man mit den sogenannten “Altlasten”, das heisst, den Geldern umgeht, die bereits vor Jahren in der Schweiz angelegt wurden. Auch der weitere Zufluss von unversteuerten Geldern müsse verhindert werden.

Die Details des Abkommens sind zwar noch vertraulich, fest steht aber, dass man auf deutscher Seite bereit war, Zugeständnisse zu machen. “So gibt es eine Win-Win-Situation”, sagte Ständerat Eugen David von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP). “Die Schweiz wird als Finanzplatz nicht geschwächt und Deutschland bekommt Zugang zu seinen Steuern.”

Die Kuh sei noch nicht vom Eis, fügte er noch hinzu. Die Signale aus Deutschland seien jedoch sehr positiv.

Hörprobe auf Zürcher Anflugschneise

Weniger positiv scheint die Stimmung in Hinsicht auf den Fluglärmstreit am Flughafen Zürich gewesen zu sein. Hierzu gebe es nicht viel Neues, sagte Reimann. Nach der Erstellung des gemeinsamen Lärm-Gutachtens sei nun Deutschland an der Reihe, konstruktive Vorschläge zu machen.

In diesem Sinne hat zumindest schon einmal eine Kommission des Verkehrsministeriums einen baldigen Besuch in Zürich angekündigt. “Um sich an der Anflugschneise Süd einmal umzuhören”, wie es Reimann formulierte. Zwischen sechs und sieben Uhr morgens, versteht sich. Das ist doch immerhin schon einmal ein Zugeständnis.

Der Streit um den Fluglärm am Flughafen Zürich belastet die Deutsch-Schweizerischen Beziehungen seit rund vierzig Jahren, seit dem Jahr 2000 auf höchster politischer Ebene.

Im Jahr 2003 schränkte Deutschland per Verordnung die Anzahl der Flüge über Süddeutschland ein und verhängte ein Nachtflugverbot.

Im September 2010 ist die Schweiz mit einer Klage gegen diese Verordnung vor dem Europäischen Gericht gescheitert.

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe versucht zwar, objektive Verhandlungsgrundlagen für den Lärmstreit zu schaffen, doch eine Lösung ist nicht in Sicht.

Um Lärm geht es auch beim Ausbau der “Rheintalbahn” – der Neat-Zufahrtsstrecke zwischen Basel und Karlsruhe.

In Süddeutschland kämpfen Anwohner und Bürgerinitiativen gegen den Ausbau von zwei auf vier Gleise und führen vor allem die Lärmbelastung an.

Sie fordern die Planung von Tunneln bzw. den Streckenverlauf parallel zur Autobahn.

Ein Staatsvertrag zwischen Deutschland und der Schweiz von 1996 sieht vor, dass die Neat-Zubringerstrecken bis 2017 fertig sein müssen.

Heute schon ist klar, dass sich der Ausbau um mehrere Jahre verzögern wird.

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