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Völkermord endlich anerkennen

Eine armenische Frau trauert um ein Kind während der Deportationen von Armeniern im Osmanischen Reich. Keystone Archive

Die Schweiz soll den Genozid am armenischen Volk offiziell anerkennen. Dies fordert ein neues Postulat, das im Nationalrat demnächst eingereicht wird.

Hinter dem Postulat stehen die Gesellschaft für bedrohte Völker, die Gesellschaft Schweiz-Armenien sowie verschiedene Parlamentarier. Mehr als eine Million Armenierinnen und Armenier seien zwischen 1915 und 1918 systematischen Massakern und Deportationen des jungtürkischen Regimes zum Opfer gefallen, betonten die Gesellschaften am Montag in Bern.

Argumente überholt

Die Schweiz habe diese historischen Tatsachen bis heute nicht als Völkermord anerkannt. Gemäss der Nationalrätin und Präsidentin der Gesellschaft für bedrohte Völker, Ruth-Gaby Vermot-Mangold (SP/BE), sind die Vorbedingungen für eine Anerkennung nun erfüllt. Die bislang vom Bundesrat angeführten Argumente für eine Ablehnung bestünden heute nicht mehr.

Der Bundesrat habe bisher immer argumentiert, eine Anerkennung sei nicht sinnvoll, bevor die Schweiz die UNO-Völkermord-Konvention und das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes ratifiziert habe. Beide Abkommen seien inzwischen ratifiziert worden, sagte Vermot-Mangold.

Beispielhafter Kanton Genf

Bis jetzt war die Anerkennung des Völkermords am armenischen Volk vor allem Sache der Parlamente. Zuletzt haben Frankreich (Januar 2001) und Italien, (November 2000) die Verbrechen anerkannt.

Eine Vorreiterrolle in der Schweiz spielte der Kanton Genf, der den Genozid im vergangenen Jahr offiziell anerkannte. Eine entsprechende Resolution war bereits 1998 vom Grossen Rat verabschiedet worden.

Leugnung des Völkermordes

In einem weltweit einmaligen Prozess im vergangenen Jahr sprach ein Schweizer Gericht zwölf Türken frei, die wegen Verletzung der Antirassismus-Strafnorm angeklagt waren. Das Kreisgericht Bern-Laupen wies in seiner Urteilsbegründung auf das Fehlen subjektiver Tatbestände hin. Es hielt den Angeklagten auch zu Gute, dass sie kein Fachwissen über die historischen Ereignisse von 1915 hätten.

Der Völkermord an den Armeniern ist seit 1985 von der UNO-Menschenrechts-Subkommission und seit 1987 vom Europäischen Parlament anerkannt.

Zeichen der Gerechtigkeit

Mit der Anerkennung des Völkermordes würde die Schweiz ein Zeichen der Gerechtigkeit für die Opfer und ihre Nachkommen setzen, erklärte Postulant Jean-Claude Vaudroz (DVP/GE). Sie würde auch einen Beitrag zur Verhütung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit leisten. Der Vorstoss sei in keiner Weise gegen die heutige Türkei gerichtet.

Bereits vor einem Jahr war im Schweizer Parlament ein ähnliches Postulat eingereicht worden, und zwar von Joseph Zisyadis (PdA/VD). Es wurde knapp abgelehnt.

swissinfo und Agenturen

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