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Knarren überall und mehr, als man glaubt

Keystone

In der Schweiz hat es überall Waffen. Das Land scheint nach den USA und Jemen an dritter Stelle zu stehen, was die Schusswaffendichte betrifft. Das ist jedoch nicht sicher, denn nicht jede Waffe ist deklariert. Ein zentrales Register gibt es bisher nicht.

Wie viele Karabiner, Maschinen-Gewehre und Pistolen sind in Schränken, auf Estrichen gelagert oder thronen auf den Cheminées in der guten Stube? Keiner weiss es genau.

In den Augen der Linken sind es in jedem Fall zu viele. Eine Volksinitiative, die den Zugang zu Waffen einschränken wollte, wurde allerdings im Februar 2011 von mehr als 56% der Stimmenden abgelehnt.

Damals sprachen die Befürworter der Initiative von 2,3 Millionen Feuerwaffen in der Schweiz, also von 29 Waffen auf 100 Einwohnerinnen und Einwohner. Laut einer Schätzung des Instituts “Small Arms Survey” der Uni Genf sind es 3,4 Millionen, was 42 Waffen auf 100 Einwohner wären.

Klar zu sein scheint, dass lediglich ein kleiner Teil dieses Arsenals bei den kantonalen Behörden registriert ist. Total sind 600’000 Waffen in der Schweiz registriert. “Es gibt viel mehr nicht registrierte Waffen, als die Politiker denken”, sagt Pierre-Alain Dufaux, ein Waffenhändler in der Region Freiburg.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht In den USA kann man sein Gewehr im Supermarkt kaufen. In Japan sind Waffen verboten. Die Gesetzgebung variiert von Land zu Land. Sind Waffen in Friedenszeiten ein Risiko? Oder sind es Sammlerobjekte? Ihre Ansicht interessiert uns.

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Der lange Weg

Ein zentrales Waffenregister – das war eine der Forderungen der gescheiterten Volksinitiative. Am Tag nach der Abstimmung kündeten die kantonalen Polizeidirektoren an, dass sie die kantonalen Waffenregister, die seit 2008 existieren, miteinander vernetzen werden. Diese Register erfassen lediglich die nach 2008  legal erworbenen oder vererbten Waffen und die Armeewaffen. Nicht erfasst sind die illegal erworbenen Waffen, die Armeewaffen, welche die ausgemusterten Soldaten seit 2008 behalten haben.

Zwei Jahre später lässt die Vernetzung immer noch auf sich warten. “Wir haben uns gleich nach der Ablehnung der Initiative an die Arbeit gemacht, aber das ist nicht etwas, das sich in zwei oder drei Monaten realisieren lässt”, sagt Roger Schneeberger, der Generalsekretär der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) gegenüber swissinfo.ch. Jeder Kanton habe sein eigenes System. “Wir müssen zudem sicherstellen, dass jeder sofort weiss, um welche Waffe es sich handelt, egal ob er die Suche auf Deutsch, Französisch oder Italienisch durchführt.”

Da zudem die Gesetzgebungen je nach Kanton unterschiedlich sind, musste auch eine Revision des eidgenössischen Gesetzes eingeleitet werden. Die Vernetzung der kantonalen Waffenregister soll Ende 2014 abgeschlossen sein.

Laut der offiziellen Statistik aus dem Jahr 2010, ist die Zahl der Schusstoten in der Schweiz in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken und zwar von 466 (1998) auf 259 Tote im Jahr 2008.

Neuere Zahlen liegen nicht vor.

Massentötungen sind in der Schweiz selten. Im September 2001 tötete ein Amokläufer in Zug 14 Kantonsparlamentarier. Am 2. Januar 2013 tötete ein Mann in Daillon im Wallis drei Frauen.

Die grosse Mehrheit der durch Schüsse
getöten Menschen geht in der Schweiz auf Suizide zurück. Deshalb ist das Thema in der Öffentlichkeit relativ wenig präsent, denn die Medien berichten in der Regel nicht über Suizide.

Daillon bringt Bewegung

Das Drama von Anfang Januar in Daillon (Wallis) hat nun zusätzliche Bewegung in die Diskussion um ein strengeres Waffenrecht gebracht. So verlangt die KKJPD, dass alle Waffen nachregistriert werden. Die Kantone fordern die zuständige Nationalrats-Kommission in einem Brief dazu auf, zu handeln und die Nachregistrierung gesetzlich zu verankern. Vor drei Wochen hatte sich die Kommission gegen eine Nachregistrierung ausgesprochen.

Die Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht, Pro Tell, wehrt sich gegen ein zentrales Waffenregister. Kürzlich sagte Frank Leutenegger, Journalist, Waffensammler und Mitglied von Pro Tell in einer Sendung des Westschweizer Fernsehens, er misstraue den Waffenregistern, “denn die Geschichte zeigt, dass sie immer in Beschlagnahmungen münden”.

Waffentragen – eine grosse Ehre

Pro Tell hat auf eine Interview-Anfrage von swissinfo.ch nicht geantwortet. Auf der Website der Gesellschaft findet sich immer noch das Argumentarium gegen die Waffeninitiative. “Registrieren, das heisst nichts anderes, als fichieren. Wie wenn wir in unserem Land nicht schon genug fichiert würden”, ist hier zu lesen. “Zudem besteht die Gefahr, dass sich zahlreiche Besitzer von legalen Waffen, die sich nicht registrieren lassen, strafbar machen.”

“In diesem Land war es lange Zeit eine grosse Ehre, eine Waffe zu tragen”, sagt der Historiker und ehemalige Grüne Nationalrat Josef Lang. “In der Zeit des ‘ancien régime’ beispielsweise durften nur Männer mit Waffen an der Landsgemeinde teilnehmen. Wenn man nun von den Schützen verlangt, dass sie ihre Waffen registrieren lassen, dann kommt das einer Beleidigung gleich.”

Eine im Januar 2013 publizierte Studie der Universitäten Bern und Zürich zeigt auf, dass vor allem bei Familiendramen Schusswaffen vielfach eine zentrale Rolle spielen.

Laut den Forschern sind “praktisch bei allen untersuchten Fällen” Schusswaffen im Spiel.

Ihre Untersuchungen sehen sie als “weiteren Beweis dafür, dass durch einen eingeschränkten Zugang zu Schusswaffen mindestens einige Tragödien” verhindert werden könnten.

Starker Verband

Wie andere Stimmen aus dem linken Lager kritisiert Lang die Langsamkeit der Bürgerlichen  bei der Reform des Waffenrechts und die Macht der Waffenlobby. So habe Pro Tell lediglich 7600 Mitglieder “aber diese sind gut verankert”, so Lang. “An den Versammlungen nehmen zahlreiche Politiker teil, auch wenn sie nicht unbedingt Mitglied sind.”

Dazu kommt, dass sich die Waffenlobby nicht auf Pro Tell beschränkt. In einem Land wie der Schweiz, in dem jeder Soldat jährlich das “Obligatorische” schiessen muss, ist der Schiesssport tief in der Bevölkerung verankert. So ist es nicht erstaunlich, dass der Schweizerische Schützenverband mit 175’000 Mitgliedern der drittgrösste Sportverband der Schweiz ist.

“Registrieren oder abgeben”

“Unser Ziel ist es, die Anzahl der Waffen in der Schweiz bis zum Jahr 2020 auf weniger als eine Million zu reduzieren”, sagt Josef Lang. Den Grünen schwebt eine breit angelegte Kampagne, ähnlich der Stopp-Aids-Kampagne vor.

“Registrieren oder abgeben” – mit dieser Botschaft möchten die Grünen die Besitzer von Waffen, die durch Erbschaft oder im Rahmen der Ausmusterung von der Armee erworben wurden, dazu bringen, die Waffe der Armee zurückzugeben oder weiter zu verkaufen. Durch den Verkauf würde die Waffe registriert. Sportschützen, Jäger und Sammler müssten ihre Waffen registrieren. Nach einer Übergangsfrist würden alle nicht registrierten Waffen als illegal gelten.

(Übertragung aus dem Französischen: Andreas Keiser)

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