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Walter Kälin untersucht die Leiden Libanons

Südlibanon: Viele Dörfer sind zerstört, viele Menschen vertrieben. Keystone

Vier Menschenrechts-Experten, darunter der Schweizer Walter Kälin, haben am Mittwoch im Auftrag des UNO-Menschenrechtsrates einen Bericht über die Lage in Libanon und Israel präsentiert.

Nach Recherchen vor Ort weist Kälin im Gespräch mit swissinfo auf eine Reihe von Verstössen gegen die Genfer Konventionen hin.

Walter Kälin, Professor an der Universität Bern, ist international einer der anerkanntesten Experten des humanitären Völkerrechts. Er war es auch, der mit mehreren Studien das Fundament legte, auf dem der neue UNO-Menschenrechtsrat geschaffen wurde.

Nach dem Krieg zwischen Israel und Libanon vom Sommer untersuchte Kälin als Repräsentant des UNO-Generalsekretärs die Situation der vertriebenen Zivilisten im Land der Zedern.

swissinfo: Sie haben Libanon und Israel nach dem Konflikt besucht. Was haben Sie gesehen?

Walter Kälin: Mir kommen mehrere sehr starke Bilder wieder in den Sinn. In erster Linie Bilder der Verwüstungen, vor allem in Südlibanon, wo ganze Dörfer durch die israelischen Angriffe zerstört wurden. Aber auch im Süden Beiruts, wo mehrere grosse Gebäude einstürzten.

Ich erinnere mich auch an die Treffen mit Opfern und ihren Familienangehörigen, sowohl in Libanon als auch in Israel.

Es war sehr eindrücklich zu sehen, mit welcher Energie die Betroffenen ihr Leben und den Aufbau der zerbombten Häuser wieder in die Hand nahmen. Dies gilt wiederum für die Gebiete beidseits der Grenze.

swissinfo: Welche Schlüsse ziehen Sie in ihrem Bericht?

W.K.: Für die israelische Seite sind wir zum Schluss gekommen, dass es Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts gegeben hat. Die israelische Armee hat zahlreiche zivile Ziele angegriffen mit der Begründung, dass diese für militärische Zwecke benützt worden seien.

Es scheint, dass die Hisbollah zivile Einrichtungen für militärische Zwecke verwendet hat. Die israelischen Zerstörungen sind aber dermassen gross, dass man nicht in jedem Fall zum Schluss kommen kann, es habe sich um gerechtfertigte Ziele gehandelt.

Beispielsweise wurden Ambulanzen beschossen, wie auch Personen, die vor Kämpfen flüchteten. Dafür haben wir von den israelischen Verantwortlichen keine überzeugenden Erklärungen erhalten.

Umgekehrt hat auch der Hisbollah zivile Ziele im Norden Israels angegriffen. Auch das sind schwerwiegende Verletzungen des internationalen Völkerrechts.

swissinfo: Nichtregierungs-Organisationen haben Israel Kriegsverbrechen vorgeworfen. Haben Sie sich auch diese Vorwürfe untersucht?

W.K.: Der Menschenrechtsrat hat am 11. August entschieden, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die sich mit dieser Frage auseinander setzen wird. Kriegsverbrechen umfassen nicht nur Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht. Man muss immer auch die Beweggründe für diese Verstösse prüfen, was wir aber bei einer derart kurzen Mission nicht machen konnten.

swissinfo: Welches sind Ihre Empfehlungen?

W.K.: Wir haben der Regierung Libanons Empfehlungen zum Wiederaufbau und dem Schutz von 200’000 Menschen gegeben, die nach den Kämpfen immer noch nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten.

Israel haben wir empfohlen, zu untersuchen, ob es Kriegsverbrechen gegeben habe. Auch hier haben wir die Frage des Wiederaufbaus angesprochen, da wir zum Schluss gekommen sind, dass die arabische Bevölkerung Israels diesbezüglich diskriminiert worden sei. Denn in vielen arabischen Wohngebieten fehlten Schutzunterkünfte, und sie wurden nicht genügend entschädigt.

Wir empfehlen dem Menschenrechtsrat ebenfalls zu prüfen, ob der Hisbollah Kriegsverbrechen begangen habe. Wir geben der internationalen Gemeinschaft ferner die Aufgabe, sich mit dem Problem der Streubomben zu befassen.

Tatsächlich ist es grösstenteils unmöglich, nach Südlibanon zurückzukehren, weil dort eine sehr grosse Anzahl dieser Bomben nicht explodiert sind. Wir verlangen deshalb, dass Israel bei der Lokalisierung der Streubomben Hilfe leistet.

swissinfo-Interview, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Der Präsident des UNO-Menschenrechtsrates beschloss im August, eine Experten-Kommission nach Israel und Libanon zu entsenden.

Der Mission gehören folgende Mitglieder an: Walter Kälin, Repräsentant des UNO-Generalsekretärs Kofi Annan; Miloon Kothari, UNO-Sonderberichterstatter für angemessenen Wohnraum; Philip Alston, UNO-Sonderberichterstatter für außergerichtliche Hinrichtungen sowie Paul Hunt, Sonderberichterstatter. für das Recht auf Gesundheit.

Die Mission weilte vom 7. bis 14. September in Israel und Libanon.

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