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Warum das IKRK in Afghanistan bleiben wird

Christine Cipolla

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sieht weiterhin einen hohen Bedarf an humanitärer Hilfe in Afghanistan. Die Opfer des Konflikts bräuchten seine Unterstützung, schreibt Christine Cipolla, IKRK-Regionaldirektorin für den asiatisch-pazifischen Raum, in ihrem Gastbeitrag.

Die jüngsten Ereignisse in Afghanistan haben die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen. Viele dieser Szenen sind mit einem Gefühl von Herzschmerz verbunden.

Die afghanische Zivilbevölkerung hat jahrzehntelang unter dem Konflikt gelitten. Und obwohl wir erleichtert sind, dass Kabul bisher von grösseren Kämpfen verschont geblieben ist, denken wir an die Tausenden von Zivilistinnen und Zivilisten, die bei den jüngsten Kämpfen in anderen städtischen Zentren verwundet und vertrieben wurden.

Afghanistan befindet sich mitten in einem Übergangsprozess, dessen Ausgang für die Afghaninnen und Afghanen und für uns alle schwer abzuschätzen ist. Aber einige Dinge weiss ich mit Sicherheit.

Erstens weiss ich, dass sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz weiterhin für die Menschen in Afghanistan einsetztExterner Link. Das IKRK ist seit 1987 im Land, und wir werden auch in absehbarer Zukunft vor Ort bleiben, um unsere Arbeit zur Unterstützung und zum Schutz der Opfer des Konflikts fortzusetzen.

Die Stiftung Glückskette, die humanitäre Solidaritäts- und Sammelplattform der Schweiz, sammelt Spenden zur Linderung der Folgen der Afghanistan-Krise.

Spenden mit dem Vermerk “Afghanistan” können online auf www.glueckskette.chExterner Link oder per E-Banking auf die Konto-Nr. IBAN  CH82 0900 0000 1001 5000 6 getätigt werden.

Die Glückskette ist die humanitäre Solidaritäts- und Sammelplattform der Schweiz und wird von der SRG SSR getragen, zu der auch swissinfo.ch gehört. Sie arbeitet zudem mit privaten Medien und Unternehmen zusammen.

Zum anderen weiss ich, warum wir gebraucht werden – wegen der Tatsache, dass der humanitäre Bedarf hoch ist und es bleiben wird. Um ein krasses Beispiel zu nennen: Seit dem 1. August wurden mehr als 7600 durch Waffen verwundete Patientinnen und Patienten in vom IKRK unterstützten Einrichtungen im ganzen Land behandelt. In den Monaten Juni, Juli und August wurden mehr als 40’000 durch Waffen verwundete Menschen in vom IKRK unterstützten Einrichtungen behandelt.

Das sind schockierende Zahlen, die von der Schwere der jüngsten Kämpfe zeugen. Und natürlich brauchen die Menschen, die durch Kriegswaffen schwer verwundet wurden, oft eine langwierige und spezielle Behandlung.

Ihre Genesung kann Jahre dauern. Sie müssen Leistungen durchlaufen wie die körperliche Rehabilitation, die Anpassung an eine neue Arm- oder Beinprothese, die mentale und emotionale Anpassung an ein neues Leben. Aber schliesslich auch positive Schritte nach vorn, wie die Wiedererlangung der Gehfähigkeit und eine fortgeschrittene Berufsausbildung.

Doch selbst wenn die Kämpfe wirklich vorbei sind, wie wir hoffen, werden unsere medizinischen Teams und Rehabilitationszentren noch Monate und Jahre Patientinnen und Patienten aufnehmen.

Denn diese müssen sich von den Wunden erholen, die von den Sprengkörpern verursacht wurden, die im ganzen Land verstreut sind und von denen viele in den letzten Wochen neu gelegt wurden. Es bricht einem das Herz, wenn man sieht, wie sich unsere Krankenstationen mit Kindern und jungen Männern und Frauen füllen, die Gliedmassen verloren haben.

Der Bedarf an humanitärer Hilfe in Afghanistan ist schon viel zu lange sehr hoch. Und dieser Bedarf wurde, besonders in den letzten Jahren, nicht immer vollständig gedeckt.

Aufgrund unserer jahrzehntelangen Arbeit in dem Land haben wir seit langer Zeit gute Beziehungen zu den Taliban. Die Umgestaltungen in Afghanistan haben unsere Beziehung zu den Taliban nicht verändert. Und die aktuelle Situation ändert nichts an der Art und Weise, wie wir zu arbeiten versuchen.

Die Taliban haben uns sowohl vor Ort als auch auf oberster Führungsebene Sicherheitsgarantien gegeben, damit wir unsere Arbeit fortsetzen können, einschliesslich der Arbeit unserer weiblichen Beschäftigten.

Wir sind der Ansicht, dass alle Kriege irgendwann enden. Und die humane Behandlung von Zivilistinnen und Zivilisten sowie Gefangenen auf allen Seiten des Konflikts trägt zu einem dauerhaften Frieden bei, der wiederum zu weniger Leid führt.

Unser Plan ist es jetzt, in Afghanistan zu bleiben und weiterhin Hand in Hand mit der afghanischen Gesellschaft des Roten Halbmonds zu arbeiten. Um denjenigen zu helfen, deren Leben durch den Krieg gezeichnet ist.

Der Artikel gibt die Meinung der Autorin wieder, die sich nicht unbedingt mit der Meinung der Redaktion von swissinfo.ch decken muss.

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(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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