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Welthandel: NGOs gegen Regierung

Anti-WTO-Graffiti in Seattle 1999. Keystone

Der Welthandel ist für das Exportland Schweiz sehr wichtig. In Cancùn wird innerhalb der Welthandels-Organisation (WTO) darüber verhandelt – und gestritten.

Die Schweizer Regierung will über ein multilaterales Investitions-Abkommen verhandeln. Die Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) möchten das vermeiden.

Wie heftig der Streit um die Struktur des Welthandels und die Ministerkonferenzen der Welthandels-Organisation (WTO) ausfallen kann, hatte sich im Herbst 1999 in Seattle erstmals deutlich gezeigt.

Aktivisten brachten damals mit ihren gegen den Freihandel gerichteten Demonstrationen, die in Ausschreitungen endeten, die gastgebende US-Regierung arg in Verlegenheit.

Unternehmensverantwortung statt Investorenschutz

Im kommenden Tagungsort Cancùn am Golf von Mexiko sind vom 10. bis 14. September weitere WTO-Verhandlungen der Wirtschafts- und Handelsminister angesagt, besonders bezüglich Handel und Investitions-Abkommen.

Dabei soll unterschieden werden zwischen “nachhaltigen ausländischen” Direktinvestitionen der Industrieländer in die Dritte Welt, und Investitionsregeln, die die Unternehmen aus Industrieländern einfach privilegieren würden.

Schweiz als weltweit neuntgrösster Investor

Ein Investitionsabkommen als multilaterales Regelwerk ist für die Schweiz sehr wichtig. Die Schweiz fällt dank der rund 4500 Unternehmen mit Tochtergesellschaften im Ausland in der Kategorie der zehn weltweit grössten Investorenländer. Den Auslandinvestitionen fällt deshalb auch fürs Wachstum der Volkswirtschaft eine wichtige Rolle zu.

Einige Schweizer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) lehnen Verhandlungen um den Schutz der Investoren in Cancùn mit der Begründung ab, solche Investitionen gäben den Unternehmen nur Rechte, aber keine Pflichten. Ihrer Ansicht nach bricht die Schweizer Regierung im kommenden September mit dem Einstieg in diese Verhandlungen ein Versprechen, das sie 2001 in Doha gemacht hatte.

WTO oder UNO?

So sagte Marianne Hochuli von der “Erklärung von Bern” (EvB am Dienstag vor den Medien in Bern: “Ich denke, die UNO wäre ein besseres Forum als die WTO, denn bei dieser Thematik geht es ja nicht nur um Handel. Ein Investitions-Abkommen umfasst immer auch Sozialpolitik, Umwelt und Menschenrechte.”

Luzius Wasescha hingegen, der Schweizer Chefunterhändler für die WTO, findet es nichts als logisch, wenn diese Gespräche innerhalb der WTO geführt werden. “Es geht hier um Handel – es gibt keinen Handel ohne Investitionen und umgekehrt”, sagte er gegenüber swissinfo.

“Es tut mir leid, dass die NGOs trotz unserer Anstrengungen noch immer nicht verstehen, dass die WTO eine Organisation von Regierungen ist, in der Privat-Unternehmungen keine Rolle spielen”, sagte Wasescha weiter.

Sowohl die UNO als auch die OECD (Organisation für witrschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) kennen Direktiven, wie sich Privat-Unternehmen zu verhalten haben, sagte der Chefunterhändler weiter. Die Schweiz ist bei beiden Organisationen Mitglied. Es sei nicht auszuschliessen, dass in Cancùn Bezüge zu diesen Direktiven gemacht würden.

Die Schweiz tritt für Freihandel ein

An der letzten WTO-Ministerkonferenz in Doha, Katar, hatte sich die Schweiz 2001 für eine Entwicklungsrunde eingesetzt. Als seit langem exportierendes, aber im Grunde genommen wirtschaftlich kleines Land mit wenig eigenen Ressourcen tritt sie traditionell für einen möglichst unbeschränkten Freihandel ein.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) des Eidgenössischen Volkswirtschafts-Departements (EVD) hält fest, dass sich die Schweiz nach wie vor für eine umfassende Runde einsetze. Diese soll nicht nur den Marktzugang (der Entwicklungsländer) erhöhen, sondern auch bestehende Regeln verbessern.

Alle der WTO angehörenden Länder haben sich an zahlreiche bestehende Abkommen zu halten. Die Schweiz hatte sich vor Doha gewünscht, diese Abkommen zu überprüfen.

Investitionen und Handelserleichterungen im Paket

Besonders Indien stemmte sich dann in Doha gegen die Lancierung von formellen Verhandlungen rund um Investitionen. Diese sollten erst in Cancùn im September 2003 erfolgen.

Das seco hält fest, dass in den Bereichen Investitionen und Handels-Erleichterungen wegen den vielen KMU der Schweiz Verhandlungen eine hohe Priorität genössen.

Schlüsseldossiers in Cancùn werden aber nicht die Investitionen sein, sondern die Landwirtschaft (Exportsubventionen) und der Marktzugang für Industriegüter.

Der Schweiz geht es darum, dass in der laufenden Doha-Runde auch neue Regeln entwickelt werden, die das Welthandels-System auf sinnvolle Weise ergänzen. Erklärtes Ziel ist es, die Doha-Runde bis Anfang 2005 unter Dach zu haben.

Nur Rechte, aber keine Pflichten

Die Schweizer NGOs kritisieren grundsätzlich, dass westliche Investoren in Entwicklungsländern mit diesen Verhandlungen lediglich Rechte, aber keine Pflichten erhielten. Das sei undemokratisch, unsozial und unökologisch, hiess es in Bern vor den Medien.

Ausserdem bestünden drei Viertel der ausländischen Investitionen in Entwicklungsländer ohnehin nur aus Firmenübernahmen. Damit würden kaum Arbeitsplätze geschaffen, sondern höchstens abgebaut.

Den Entwicklungsländern werde damit verunmöglicht, eigene Industrien aufzubauen, wie es die Industrieländer früher getan hätten.

Auch die Märkte der Industrieländer müssten vermehrt für ausländische Konkurrenz geöffnet werden, andererseits sei die Subventionierung und Förderung (Stichwort Landwirtschaft) einzuschränken.

Internationale Abkommen statt bilaterales Geflecht

Bekanntlich ergibt sich bei fehlendem internationalen Rahmen ein undurchsichtiges Geflecht von vielfältigen “bilateralen Abkommen” aller Industrie- mit vielen Entwicklungsländern.

Auch die Schweizer NGOs räumen ein, dass solche bilateralen Investitionsschutz-Abkommen “noch schlimmer” seien als ein multilaterales WTO-Abkommen, erklärte Miriam Behrens von Pro Natura vor den Medien in Bern.

swissinfo, Alexander Künzle

WTO: World Trade Organisation, Welthandels-Organisation der UNO. Ziel ist die Liberalisierung des Handels (und der Investitionen).

Die WTO hat sich 1995 in Genf etabliert.

Die fünfte WTO-Ministerkonferenz findet vom 10. bis zum 14. September 2003 in Cancùn statt.

“Doha-Runde”: Wurde innerhalb der WTO 2001 in Doha, Katar, lanciert, und soll die Handelsliberalisierung umfassend begleiten (Umwelt, Entwicklung etc.)

Die NGOs wünschen sich statt der WTO ein Art internationalen Rahmen, innerhalb dessen die multinationalen Unternehmen reguliert werden, was Investitionen und Verpflichtungen betrifft.

Die WTO konzentriert sich auf die multilaterale Ebene zwischen den Staaten, ohne Unternehmen. Die NGOs zielen demgegenüber auf die Regulierung der Konzerne.

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