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Weltlandwirtschaftsbericht nicht für die Katz

Biodiversität spielt eine immer wichtigere Rolle, auch aufgrund des Weltlandwirtschafts-Berichts, Keystone

Vor rund einem halben Jahr hat der Weltlandwirtschaftsrat mit der Forderung nach einer Agrarwende Aufsehen erregt. Der Aufruf bleibt nicht ohne Folge: Immer mehr Forschungszentren richten sich auf Öko-Landwirtschaft aus.

Agro-Konzerne wie Monsanto und Syngenta haben den im Frühjahr erschienenen Bericht des Weltlandwirtschaftsrates (IAASTD) heftig kritisiert. Der Protest verwundert kaum: Die Zukunft liege nicht in der Hightech-Landwirtschaft, sondern in der naturnahen Produktion, lautete das Fazit des Rates.

Die Experten aus aller Welt, die sich im Auftrag von Weltbank, UNO-Organisationen und EU-Kommission formiert hatten, forderten ein radikales Umdenken.

Eine Landwirtschaft, die nur darauf ausgerichtet sei, zu möglichst günstigen Bedingungen möglichst viel zu produzieren, zerstöre unweigerlich ihre eigenen Grundlagen, steht im Bericht. Ein Drittel der fruchtbaren Böden sei durch die industrielle Landwirtschaft bereits nachhaltig beschädigt worden. Die Welt brauche eine Landwirtschaft, die auf die kleinbäuerliche Produktion ausgerichtet und an kulturelle und landschaftliche Besonderheiten angepasst sei.

Auf gleicher Ebene wie der Klimarat

Der Bericht hat nicht nur Kritik ausgelöst: Das Interesse sei immens, sagt der Schweizer Agrarexperte Hans Rudolf Herren, der als Ko-Präsident das Gremium leitete. Seit der Bericht veröffentlicht wurde, ist der Wissenschafter pausenlos unterwegs, um die Befunde Parlamenten, Organisationen und Fachgremien zu präsentieren. Im Oktober wird er für eine Veranstaltung mit Vertretern von Hilfswerken und Bundesämtern in der Schweiz erwartet.

Dass die Befunde ernst genommen werden, zeigt sich auch an den laufenden Bestrebungen, den Weltlandwirtschaftsrat dem Weltklimarat gleichzustellen und als permanente Organisation zu etablieren.

Zuversichtlich stimmt Herren aber vor allem die Entwicklung in der Forschung: Nach anfänglicher Skepsis hat die “Consultative Group on International Agricultural Research” (CGIAR), die weltweit fünfzehn Forschungszentren umfasst, ihre Leitlinien und Schwerpunkte auf die Forderungen des Berichts ausgerichtet.

Sie hat Nachhaltigkeit zum obersten Prinzip erhoben und will sich künftig lokales Wissen und biologische Vielfalt zu Nutze machen, statt auf Einheitslösungen für die ganze Welt zu setzen.

Gentechnik kein Heilmittel

Die Kritiker sind allerdings nicht verstummt. Sie verweisen nicht zuletzt auf die Ernährungskrise. Um Ernährungssicherheit zu gewährleisten, seien höhere Erträge nötig, und diese seien nur mittels einer industriellen Landwirtschaft und Gentechnik zu erzielen, lautet das Argument.

Hans Rudolf Herren weist es zurück – obwohl er Gentechnik nicht pauschal ablehnt. “Ich bin in Sachen Gentechnik nicht religiös”, sagt er. Möglicherweise könne die Gentechnik dereinst einen Teil zur Lösung der Probleme beitragen. Tatsache sei aber, dass sie bis anhin nicht zu Ertragssteigerungen geführt habe. “Wer etwas anderes behauptet, lügt”, sagt Herren.

Das grösste Hindernis für hohe Erträge sind gemäss dem Schweizer Experten die ausgelaugten Böden. Die Erträge könnten nur gesteigert werden, wenn die Bodenfruchtbarkeit erhöht werde. Und dafür brauche es Pflanzenvielfalt. Die Gentechnik aber führe zu bodenschädigenden, krankheitsanfälligen Monokulturen, da die Herstellung mehrerer gentechnisch manipulierter Sorten teuer sei.

“Selbst wenn es gelingen würde, mittels Gentechnik trockenheitsresistenten oder mehrjährigen Weizen zu züchten, wäre dies sicher nicht der richtige Weg”, sagt Herren. Er ist überzeugt, dass die ökologische Landwirtschaft mehr zur Produktivitätssteigerung beitragen kann als die Gentechnik.

Abgesehen davon sei nicht die Produktivität, sondern die Verteilung das Hauptproblem, gibt Herren zu bedenken. Und auch dafür sei die Export orientierte, industrielle Landwirtschaft die falsche Lösung.

swissinfo, Charlotte Walser, InfoSüd

Hans Rudolf Herren hat an der ETH Agronomie studiert und gehört zu den weltweit führenden Wissenschaftlern in der biologischen Schädlingsbekämpfung.

Während 27 Jahren lebte und forschte der Berner in Afrika. 1995 wurde er mit dem Welternährungspreis ausgezeichnet. Seit 2005 leitet Herren das Millennium Institut in Washington.

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