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Weniger Ehen – weniger Kinder

Traditionelle Hochzeitfotos bekommen allmählich Seltenheitswert. Keystone Archive

Die Lust auf das Heiraten und Kinderkriegen nimmt in der Schweiz weiter ab - und Scheidungen liegen wieder im Trend.

Die Ehe gerät zunehmend aus der Mode: Im vergangenen Jahr wurden knapp 36’000 Ehen geschlossen, 10% weniger als im Jahr 2000. Damit liegt die Zahl der Eheschliessungen auf dem tiefsten Stand seit 20 Jahren, wie aus der Statistik der Bevölkerungs-Bewegung 2001 des Bundesamts für Statistik (BFS) hervorgeht.

Weshalb aber gibt es immer weniger Hochzeiten? “Die heiratsintensiven Altersjahrgänge nehmen ab”, sagte Walter Zingg vom BFS gegenüber swissinfo.

Und: “Es gibt immer mehr Paare, die sich bewusst dazu entscheiden, nicht zu heiraten – weil man entweder Single bleiben will oder zwar zusammen lebt, aber ganz gut ohne Ehevertrag auskommt.”

50% mehr Scheidungen als im Vorjahr

Nicht genug damit, dass sich immer weniger Paare das Ja-Wort geben: Die klassische Lebensgemeinschaft wird auch immer häufiger aufgelöst. 2001 sprachen die Schweizer Gerichte 15’778 Scheidungen aus – rund 50% mehr als im Vorjahr.

Diese drastische Zunahme der Scheidungen dürfe allerdings nicht dramatisiert werden, relativiert Zingg: “Mit der Einführung des neuen Scheidungsrechts im Jahr 2000 kam es zu einem vorübergehenden Rückgang der Scheidungen. Dieser wurde in der Zwischenzeit nun etwa zur Hälfte wieder ‘aufgeholt’.”

Markanter Geburtenrückgang

Gemäss BFS ist nicht nur die Ehe, sondern auch das Kinderkriegen zunehmend out: Die Geburtenzahl ging zwischen 2000 und 2001 um 6,3% zurück – von 78’458 auf 73’509 Babys.

Man muss bis ins Jahr 1980 zurückgehen, um eine tiefere Zahl zu finden. Das Ausmass der Abnahme zwischen 2000 und 2001 ist einmalig seit Mitte der 70er-Jahre.

Wenn Kinder, dann mit Ehe

Wer in der Schweiz Kinder zur Welt bringt, tut dies gemäss BFS immer noch mit Vorliebe innerhalb der Institution Ehe – obwohl zunehmend unverheiratete Frauen Kinder zur Welt bringen.

Derzeit hat etwa jedes zehnte Baby keine verheirateten Eltern. Damit liegt die Schweiz im internationalen Vergleich aber weit unter dem Durchschnitt: In Deutschland sind 22% der Neugeborenen unehelich, in Österreich 32%, in Frankreich 42%.

Mentalitätswandel

Die Realität in der Schweiz ist nicht eben kinderfreundlich. So gibt es etwa viel zu wenig Kinderkrippen und Tagesschulen. Das scheint auch die Politik erkannt zu haben: Am Dienstag bewilligte die Kleine Kammer – der Ständerat – ein Impulsprogramm des Bundes für Kinderkrippen, die es berufstätigen Eltern erlaubt, ihren Kinderwunsch mit beruflicher Tätigkeit zu vereinen. Das Bundesprogramm sieht jährliche Förderbeiträge von 50 Mio. Franken vor (vgl. Link).

Einrichtungen wie Kinderkrippen und Tagesschulen könnten zwar durchaus eine unterstützende Wirkung haben, dass die Schweiz kinderfreundlicher werde, sagt Zingg. Um die Geburtenzahl jedoch wieder steigen zu lassen, bräuchte es wesentlich mehr.

“Die Kinder sind gut und recht, so lange sie nicht stören”, ist Zingg überzeugt. “Unsere Gesellschaft hat grosse Schwierigkeiten, Kinder so zu akzeptieren, wie sie eben sind. Es bräuchte einen tiefgreifenden Wandel in der Einstellung Kindern und deren Eltern gegenüber.” Konkret: mehr Freiräume und Toleranz.

Felix Münger

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