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Weniger Polizei, mehr Verbrechen?

Weniger Polizeipräsenz wegen Spardruck fördert die Zahl der Verbrechen, befürchten die Ordnungshüter. Keystone

Laut dem Verband der Schweizer Polizeibeamten könnten Stellenkürzungen bei den Korps beitragen, dass die Zahl der Gewaltdelikte weiter zunimmt.

Das Bundesamt für Statistik (BFS) relativiert: Die Zahl der Polizeibeamten in der Schweiz ist seit 2000 in etwa gleich geblieben.

In der Schweiz gab es im vergangenen Jahr 213 Fälle von Mord, denen insgesamt 244 Menschen zum Opfer fielen. Das bedeutet eine Zunahme von 14%, so die Fedpol letzte Woche bei der Veröffentlichung der Kriminalstatistik 2004.

Gar um 20% zugenommen haben die Gewalttaten gegen Vertreter von Behörden. Auch bei den schweren Körperverletzungen gab es einen Anstieg.

Angesichts der wachsenden Zahlen bei den Gewaltverbrechen in den letzten zehn Jahren müsse man von einem Trend sprechen, so der Sprecher des Fedpol. Die Behörde erklärte, dass 2004 ein besonders schlimmes Jahr gewesen sei.

Fedpol-Vertreterin Henriette Haas weist gegenüber swissinfo aber auch auf eine andere Ursache der Zunahme hin: Das neue Strafgesetz, das seit April 2004 in Kraft ist. Häusliche Gewalt ist neu ein Offizialdelikt, bei dem Behörden also von sich aus Ermittlungen aufnehmen müssen. Zuvor bedurfte es einer Anzeige seitens der Opfer, also der Frauen, die in den eigenen vier Wänden misshandelt oder verletzt worden sind.

Alarmglocken

Jean-Pierre Monti, Generalsekretär des Verbands Schweizer Polizeibeamter, warnt vor gravierenden Folgen von Personalkürzungen. “Die Sparmassnahmen sorgen für einen inakzeptablen Druck auf die Polizeibeamten im ganzen Land.” Sorge bereitet ihm vor allem die zunehmende Gewaltbereitschaft gegen Beamte.

“Wir sind nicht ausreichend dotiert, um in der Gewaltprävention wirksam zu sein”, so Monti. Dazu fehlten landesweit rund 1600 Beamte. “Die Gewalt in den Schweizer Städten nimmt zu, das könnte mit der geringeren sichtbaren Polizeipräsenz zu tun haben.”

Rekord?

Nur: Die Zahl der Polizeibeamten in der Schweiz ist mit rund 16’000 in den letzten fünf Jahren in etwa gleich geblieben, wie Daniel Fink vom Bundesamt für Statistik (BFS) gegenüber swissinfo sagt. Er geht davon aus, dass sich diese Zahl auch nicht gross verändern werde.

Andere Zahlen sprechen gar noch eine andere Sprache: Gemäss einem Bericht des “Tages-Anzeiger”, der sich auf Angaben des Bundes stützt, gab es in der Schweiz noch nie so viele Polizisten wie Anfang 2004, nämlich 15’136. Dagegen waren es 1979 noch 11’080 gewesen.

Das sind vielleicht auch die Gründe, weshalb Fedpol-Vertreterin Haas keinen Zusammenhang zwischen Verhältnis von Polizisten und Verbrechen herstellen mag. Aufgabe ihrer Behörde sei das Zusammentragen von Daten aus den 26 Kantonen, nicht deren Interpretation.

Akut in Zürich

Abbau-Pläne für Polizeikorps haben in der Schweiz die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Im Frühling warnte beispielsweise Peter Reinhard, Präsident des Verbandes der Kantonspolizei Zürich (VKPZ), die Zürcher Kantonspolizei werde bald zur Lachnummer für Einbrecher und Drogenhändler.

Im Zuge seiner Sparpakete hat die Zürcher Regierung die Kantonspolizei beauftragt, bis in vier Jahren 200 ihrer rund 1700 Stellen zu streichen. Schon früher wurden 55 Stellen abgebaut.

Besorgte Bürger befürchteten darauf in Leserbriefen eine abnehmende öffentliche Sicherheit und sprachen von einer Entwicklung zu “mehr Selbstjustiz” sowie der “Erosion unseres rechtsstaatlichen Systems”.

Wer verantwortlich?

Am Anfang solcher Befürchtungen stehen die Sparmassnahmen in der öffentlichen Verwaltung. Wer aber ist genau dafür verantwortlich?

Vordergründig könne man in erster Linie die Politiker als Sündenböcke nennen, die sich im Parlament für Sparmassnahmen stark machten, sagt der Berner Politologe Hans Hirter zu swissinfo. “Allerdings muss man sehen, dass in der Bevölkerung, d.h. bei den Stimmberechtigten, ein sehr grosser Widerstand vorhanden ist, dem Staat mehr Geld zu geben.”

Stimmbürger

“Wir haben bei eidgenössischen und vor allem kantonalen Abstimmungen häufig das Phänomen, dass Steuererhöhungen zur Sanierung des Budgets abgelehnt werden. Steuererhöhungen seien extrem unpopulär, erklärt Hirter. Da fehle bei der Bevölkerung die Einsicht, dass man nicht mehr Geld ausgeben kann, wenn man nicht bereit ist, etwas mehr daran zu zahlen.

Und so macht der Politologe letztendlich die Stimmbürger verantwortlich für die Situation: “Sie machen es sich zu einfach, wenn sie, obwohl zum Teil sehr begründet, gegen Sparmassnahmen protestieren, aber andererseits nicht bereit sind, mit Steuern dem Staat entsprechend mehr Geld zu geben.”

swissinfo

2004 gab es in der Schweiz 213 Fälle von Mord (+14%).
Vergewaltigungen: 573 (+4,8)
Gewalt und Drohung gegen Beamte: +20,5%.
Fahrzeugdiebstähle: -12%.
Vertrauensmissbrauch: – 57,9%.

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