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Wenn das Parlament auf Reisen ist

Der Nationalrat 2001 in Lugano. Keystone

Die Session von Flims ist nicht die erste Versammlung des Schweizer Parlaments ausserhalb des Bundeshauses. Schon 1993 in Genf und 2001 in Lugano tagten die beiden Kammern "extra muros".

Auch damals gab es Kritik am “Wanderparlament”. Doch beide Sessionen erlaubten einer Generation von Parlamentariern, sich ein Bild von Randregionen der Schweiz zu machen.

Nicht alle Parlamentarier schätzen es, die Koffer zu packen, um in Flims die Session abzuhalten. Films liegt im Bündnerland, einer vom Tourismus geprägten Region der Schweiz. Es ist relativ schwierig zu erreichen.

Einige Parlamentarier beklagen sich hinter vorgehaltener Hand. Vor allem solche, die es gewohnt sind, nach den Parlamentssitzungen abends nach Hause zu fahren. Andere wie der angriffige SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli nehmen hingegen bei ihrer Kritik kein Blatt vor den Mund. Als “dreiwöchige Wellnessferien” bezeichnete Mörgeli die Session im Tourismusort Flims.

Erfahrungen anderer Sessionen extra muros

Das Ausweichen auf andere Landesteile stellt für die Eidgenössischen Räte indes keine Neuheit dar. Schon 1993 gab es eine Session extra muros in Genf, und im Frühjahr 2001 folgte Lugano (Tessin). Aber was ist von diesen beiden Sessionen geblieben?

“Ich bin überzeugt, dass die Sessionen ausserhalb Berns zu einer mentalen Öffnung gegenüber den jeweiligen Regionen beigetragen haben”, meint der Liberale Genfer Jacques-Simon Eggly, der seit 1983 im Nationalrat sitzt (Volkskammer) und damit einer der wenigen aktiven Parlamentarier ist, der beide auswärtigen Sessionen miterlebt hat.

“Die Session von Genf war vor allem für die Deutschschweizer wichtig. Viele von ihnen waren vorher noch nie in der Calvin-Stadt.” Eggly gibt aber auch zu bedenken, dass der positive Effekt nicht nachhaltig ist: “Am Ende einer Legislatur hören viele Parlamentarier auf und dann muss man wieder von vorne beginnen.” Man sollte den Wert der Sessionen extra muros daher nicht überschätzen.

Sensibilität für regionale Probleme

“Die Session von Lugano hat mit Sicherheit die Sensibilität gegenüber den Problemen von Randregionen geschärft”, sagt die Generalsekretärin des Schweizer Parlaments, Mariangela Walliman-Bornatico. „So haben viele Parlamentarier erst einmal verstanden, wie weit das Tessin von der Hauptstadt Bern entfernt ist. Auch jetzt klagen Parlamentarier über die Distanz von Bern nach Flims. Doch ich sage: Es ist die gleiche Distanz, welche die Bündner Parlamentarier immer zurücklegen müssen, um nach Bern zu gelangen.”

Mark Stucki, Verantwortlicher für die Parlamentsdienste, erinnert sich daran, dass man während der Frühjahrssession von 2001 sehr konkret über die Probleme des Kantons Tessin gesprochen hatte, sowohl zwischen Parlamentariern, als auch in den Medien.

“Beispielsweise die Verkehrsprobleme: Wenn man mit eigenen Augen sieht, wie eine Autobahn ein Dorf in zwei Teile schneidet, nützt dies mehr als Hundert Reden”, so Stucki. Und: “In Lugano gab das Kindergartenmodell des Kantons Tessin viel zu reden. Seither ist dieses Modell landesweit bekannt und bestimmt die öffentlichen Diskussionen.”

Wie eine Schulreise

Auch SVP-Präsident und Nationalrat Ueli Maurer hat beide Sessionen extra muros miterlebt. Er sitzt seit 1991 im Parlament. Doch sein Enthusiasmus für diese Übungen hält sich in Grenzen.

“Ganz nüchtern betrachtet ist unsere politische Arbeit ausserhalb des Bundeshauses in Bern schwieriger, weil die entsprechenden Infrastrukturen fehlen”, erklärt Maurer. Sicherlich könne man auch einige neue Kontakte knüpfen, aber meistens seien diese nicht von Dauer.

Maurer glaubt auch nicht daran, dass diese Sessionen die Sensibilität für die Probleme von Minderheiten schärfen: “Wenn jemand im Parlament sitzt, sollte er schon eine gewisse Sensibilität für regionale und sprachliche Fragen mitbringen.” Das Rahmenprogramm bei den Sessionen extra muros erinnere ihn jedenfalls mehr an Schulausflüge als an die Arbeit eines Parlaments.

swissinfo, Andrea Tognina
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Vom 18. September bis 6. Oktober 2006 versammelt sich das Schweizer Parlament zur Herbstsession im bündnerischen Flims. Diese Session “extra muros” ist eine Hommage an die rätoromanische Schweiz, nachdem das Parlament zuvor die französische Schweiz (Genf 1993) und die italienische Schweiz (Lugano 2001) mit einer Session beehrt hatte.

Während des Auszugs des Parlaments werden im Bundeshaus von Bern immer wichtige Renovationsarbeiten durchgeführt. 1993 wurde der Nationalratssaal renoviert (Volkskammer), 2001 der Ständeratssaal (Kantonskammer). Dieses Jahr seht eine Generalüberholung des Bundeshauses an.

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