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Wenn die Liebe Chinesinnen in die Schweiz führt

Ein Leben zwischen den Welten: Die Peking-Oper-Darstellerin und der Schauspieler Sebastian Krähenbühl in der Rolle des "Schweizers". Judith Schlosser

In der Theaterrecherche "Der rundere Mond" erzählen Chinesinnen, die mit einem Schweizer verheiratet sind, über ihr Leben zwischen den Kulturen. Dabei wird die innere Zerrissenheit angesprochen, Beziehungsprobleme werden jedoch weiträumig ausgeklammert.

Eine chinesische Volkslegende handelt von einer Frau, die ihrem Mann vom Himmel auf die Erde folgte. Da sie solche Sehnsucht nach dem Himmel hatte, nahm sie ein Elixier.

Danach lebte sie auf dem Mond, um ihrem Mann dennoch möglichst nah zu sein. Auf dem Mond war es dunkel, ruhig und kalt.

Von ebendieser Legende erzählt die Frau auf der Bühne mit dem weiss gepuderten Gesicht, den leuchtend roten Lippen und den schwungvoll geschminkten Augen und Brauen.

Ihre Bewegungen sind grazil und voller Anmut. Es ist als würde sie in ihrem langen Gewand und dem glänzenden Kopfschmuck über den Boden schweben. Die Frau wirkt zerbrechlich, sie scheint tatsächlich von einer anderen Welt, aus einer anderen Zeit.

“Für meinen Beruf ist es ein bisschen schwierig, weil in der Schweiz ist die Peking-Oper nicht sehr populär”, sagt Cao Man, die in China Peking-Oper-Darstellerin war, bis sie die Liebe vor 1 1/2 Jahren in die Schweiz führte. Kennengelernt hat sie ihren Ehemann nach ihrer Tanzausbildung in London in einem Starbucks Coffee.

“Ich wollte nicht mehr auftauchen”

In der dokumentarischen Theaterrecherche “Der rundere Mond” der chinesischen Regisseurin Cao Kefei und des Schweizer Dramaturgen Mats Staub erzählen fünf Chinesinnen, die mit Schweizern verheiratet sind und in der Schweiz leben, davon, was es bedeutet, wenn es einen der Liebe wegen in eine andere Kultur verschlägt.

In dem von Pro Helvetia im Rahmen eines Kulturaustauschs Schweiz-China entstandenen Projekt geht es auch um das Leben zwischen den Kulturen und die Frage, wie viel die Liebe tragen kann.

Die Chinesinnen haben als Tänzerin, Musikerin, Buchhalterin, Lehrerin, Architektin gearbeitet. Nachdem sie ihren Mann kennengelernt hatten – zwei davon durch das Internet -, kündigten sie ihren Job und verliessen ihre Familien und Freunde.

“Ich hatte eine gute Ausbildung, nun bin ich ein Nobody und muss alles von vorne beginnen”, sagt Qin Strelller-Shen. Im Dörfli, wo sie nun wohne, fühle sie sich etwas fremd. Gerne würde sie wieder arbeiten. Doch ihre Mutter, die das Grosskind sehr gerne hüten würde, lebe in Peking und die Schwiegereltern hätten keine Zeit, seien sehr aktiv.

“Einmal beim Schwimmen hatte ich so grosse Schmerzen, dass ich nicht mehr auftauchen wollte”, sagt die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren mit ernstem Gesicht.

“Deutsch ist eine schreckliche Sprache”

Zu schaffen machen den Chinesinnen auch Sprachprobleme. “Deutsch ist eine schreckliche Sprache”, sagt die Peking-Oper-Darstellerin auf Englisch. Sie bereite ihr Hals- und Ohrenschmerzen. Doch sie müsse diese “furchtbare Aussprache” lernen, denn sie lebe nun mal hier. “Welcome in Switzerland!”

Wo sie ihre Depressionen, Frustrationen und ihre Traurigkeit abbauen könne, fragt sie in den Zuschauerraum im Roxy Theater in Basel, in dem auch viele Chinesinnen sitzen.

Klar, man könne Shoppen gehen oder sich eine Massage machen lassen, doch in der Schweiz sei alles so teuer, das könne sie sich alles nicht leisten. Und nachdem sie ihr Gesicht abgeschminkt und ihr Kostüm abgelegt hat, fügt sie an: “Ich fühle mich hier nutzlos und mir ist kalt.”

Klare Worte

Dass sind klare Worte, vor allem wenn man bedenkt, dass es in China alles andere als selbstverständlich ist, in der Öffentlichkeit über Persönliches zu sprechen oder Kritik zu üben.

“Die Frauen sind sehr mutig”, sagt Cao Kefei. Die chinesische Regisseurin weiss, wovon die Frauen reden, ist sie doch selbst mit einem Schweizer verheiratet und hat fast zehn Jahre in der Schweiz gelebt.

1987, als sie nach ihrem Deutsch-Studium in Shanghai in die Schweiz kam, habe man im Gegensatz zu heute wenig über China gewusst, und in der Schweiz habe es noch kaum Chinesen gegeben.

Sie sei immer wieder gefragt worden, ob sie aus Thailand oder Japan stamme. Sie erinnere sich noch gut an das Gefühl der Freiheit, das sie bei ihrer Ankunft in der Schweiz verspürt habe und auch an ihre Freude darüber, wie bunt die Leute gekleidet waren. Sie habe auch bald gemerkt, dass hier der Alltag ganz anders funktioniere.

“Darauf hören, was nicht gesagt wird”

Über allfällige Probleme in der Beziehung erfährt man von den fünf Chinesinnen jedoch nichts. “Man muss im Stück auf die Zwischentöne hören und darauf, was alles nicht gesagt wird. Denn das ist eigentlich genau so wichtig wie das, was ausgesprochen wird”, sagt Mats Staub.

Die Frauen sprechen denn auch vielmehr über ungewohnte Schweizer Essgewohnheiten und denkwürdige Fondue-Erlebnisse, über den chinesischen Hotpot und Tofu oder über ihre Eltern in der Heimat, als über allfällige Probleme in der Beziehung.

Davon erfährt man lediglich aus den von Mats Staub geführten Gesprächen mit Schweizern, die mit Chinesinnen verheiratet sind, welche der Schauspieler Sebastian Krähenbühl auf der Bühne wiedergibt.

Das Wort der grossen Philosophen

Das Vorurteil, dass Chinesinnen “gefügiger” seien als Europäerinnen, treffe tendenziell schon zu, erzählt etwa ein Schweizer. Seine Frau habe nie gesagt, was sie selber wolle. Es habe deshalb auch schon Streit gegeben.

Grosse chinesische Philosophen würden sagen, dass wenn man jemanden lieb hat, man nichts zu bereden habe, weil man sich einfach verstehe. Miteinander debattieren und streiten gehöre in China nicht zum Eheleben.

Als er seiner Frau erzählt habe, dass er vor ihr schon Freundinnen gehabt habe, sei das für sie ein Schock gewesen. Nicht dass sie es nicht geahnt hätte, sondern weil er es ihr sagte. In China spreche man einfach nicht über solche Dinge, und Probleme seien tabu.

Bei ihnen habe das Sexleben lange nur unter der Bettdecke stattgefunden, seine Frau habe vor ihm nicht einmal die Brust entblösst.

“Bewusstsein geschärft für Nichtwissen”

Die Theaterrecherche lebt von Erlebnisberichten, die durch Einspielungen von Videoprojektionen ergänzt werden, in denen in China lebende Chinesinnen Aussagen über ihr Land machen.

Trotzdem wirkt das Stück, in dem auch traditionelle chinesische und Schweizer Lieder gesungen werden, teilweise klischeehaft. “Wer sich vertiefter mit China auseinandergesetzt hat, empfindet diese vermeintlichen Klischees nicht als solche”, sagt Staub.

Doch für ihn ist klar: “Nach der intensiven Zusammenarbeit bleibt immer noch vieles, bei dem ich nicht sicher bin, ob ich es richtig verstanden habe. Dieses Projekt hat das Bewusstsein geschärft für das Nichtwissen.” Staub verweist auch auf die sprachliche Herausforderung bei der Zusammenarbeit, wo immer wieder Dolmetscher in die Bresche springen mussten.

Das Stück, das nach verschiedenen Stationen in der Schweiz zurzeit im Kleintheater Luzern gespielt wird, soll auch in China aufgeführt werden, vorausgesetzt die finanziellen Mittel dafür werden bereitgestellt. Die fünf Chinesinnen sind jedenfalls bereit für Auftritte in ihrem Heimatland.

Wäre es für sie kein Problem, mit ihrer Lebens- und Liebesgeschichte in Peking auf die Bühne zu treten? “Nein, es würde mich sehr freuen. Wir sagen ja nur das, was uns Freude macht und wobei wir uns wohlfühlen”, sagt Wenmin Jowanka Zhang.

Cao Kefei, geboren 1964 in Shanghai, lebt in Peking. Sie ist mit einem Schweizer verheiratet.

Nach ihrem Deutsch-Studium in Shanghai lebte sie von 1987 bis 1997 in der Schweiz und studierte an der Universität Bern Theaterwissenschaft.

Seit 1998 inszenierte sie in Peking in unterschiedlichen Theatern.

In letzter Zeit beschäftigte sie sich verstärkt mit dokumentarischen Theaterformen.

Mit der Produktion “Together” realisierte sie im Theater Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin ein Projekt über weibliche Biografien im gegenwärtigen China.

Der 1972 in Bern geborene Künstler und Dramaturg studierte in Bern, Friburg und Berlin Theaterwissenschaft, Journalistik und Religionswissenschaft.

Von 2002 bis 2004 war er als Dramaturg am Theater Neumarkt in Zürich engagiert.

Von 2004 bis 2006 lebte er in St. Petersburg, machte mit dem Projekt “5000 Liebesbriefe” eine Russlandtournee und erarbeitete eine österreichische Version für die Wiener Festwochen 2006.

Seit 2008 ist er mit dem dokumentarischen Langzeitprojekt “Meine Grosseltern” unterwegs (www.erinnerungsbuero.net).

Im September 2010 begann er sein neues Langzeitprojekt Feiertage.

Kleintheater Luzern: 24. und 25. November 2010

Kurtheater, Baden: 3. März 2011

Voraussichtlich wird das Projekt, das von Pro Helvetia im Rahmen des Kulturaustausches Schweiz-China entstand, auch in China aufgeführt.

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