Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Wenn Wasser zum Frieden führt

Mit der Trinkwasserversorgung kommt für die Tataren auf der Krim auch das Lächeln zurück. swissinfo.ch

Die Schweiz beteiligt sich in der Ukraine an einem Wasserprojekt. Wichtiger Nebeneffekt: Ein besseres Zusammenleben zwischen verfeindeten Ethnien.

Dank der gemeinsamen Arbeit für ein Wasserversorgungs-System haben sich Russen und Tartaren gegenseitig kennen gelernt und alte Spannungen abgebaut.

Jeden Tag muss der junge Tatare Osman zum Brunnen gehen, um Wasser zu holen. Wegen dieser beschwerlichen Aufgabe kann er nicht einmal die Schule besuchen. Russische Mitbürger auf der anderen Strassenseite verfolgen seinen Gang mit argwöhnischen Blicken. Osman will nur eines: diesen Ort verlassen.

So sah die Situation vor zirka 15 Jahren aus, als Wasser in Sevastyanovka auf der ukrainischen Halbinsel Krim nur aus Brunnen geschöpft werden konnte. “Auch dank Schweizer Hilfe verfügt unser Dorf heute über ein Wasserversorgungs-System, und die Lebensumstände haben sich wesentlich verbessert”, sagt Sabri Ramazanov, ein Vertreter der 400-Seelen-Gemeinde, gegenüber swissinfo.

Ramazanov zeigt zwei Zisternen mit einem Fassungsvermögen von je 100 Kubikmeter Wasser, die auf einem Hügel beim Dorf mit Hilfe des UNO-Programms für Integration und Entwicklung (CIDP) installiert wurden.

Schweizer Beitrag

“Seit 1996 unterstützen wir dieses Programm mit ca. 500’000 Franken jährlich”, sagt Ludmyla Nestrylay, die für das Schweizer Kooperationsbüro der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) in der Ukraine verantwortlich ist.

Neben der Versorgung mit einem lebenswichtigen Rohstoff wie Wasser werde mit dem Projekt auch ein friedliches Zusammenleben der unterschiedlichen Ethnien gefördert, so Nestrylay.

Das Dorf Sevastyanovka wird mehrheitlich von Tataren bewohnt, die türkischer Abstammung und muslimischen Glaubens sind. In der Vergangenheit gab es oft Spannungen mit der russischen Bevölkerung.

Die Krimtataren waren unter Stalin wegen ihrer angeblichen Kollaboration mit Hitler-Deutschland nach Zentralasien deportiert worden. Das Zwangsexil dauerte fast ein halbes Jahrhundert. Viele mussten in unwirtlichen Gegenden Zentralasiens, insbesondere in Usbekistan, wohnen.

Misstrauen gegen Tataren

Erst nach 1989 konnten 260’000 Krimtataren wieder zurückkehren, jedoch nicht in ihre alten Siedlungsgebiete. Stattdessen wurden sie auf der ganzen Halbinsel verteilt.

Staatliche Hilfe bei der Rücksiedelung gab es nicht. “Wir mussten alles alleine aufbauen: Häuser, Strassen, Elektrizität, Wasser”, erinnert sich Gemeinderätin Ayshe Kudusova.

Den Rückkehrern machte zudem das Misstrauen der einheimischen Bevölkerung zu schaffen. Den Russen war jahrzehntelang eingeimpft worden, die Tataren seien “ein wilder, muslimischer Volksstamm”. Die ethnischen Spannungen waren erheblich, wie sich der CIDP-Verantwortliche Monsur Huetov erinnert.

Doch die Willenskraft der Tataren konnte das Misstrauen besiegen. Mit der Gründung von Gemeinderäten konnte der Grundstein zu einem friedfertigen Zusammenleben gelegt werden. Vor allem das Projekt für ein Wasserversorgungs-System ermöglichte die Annäherung der verfeindeten Volksgruppen.

Neue Lebensqualität

“Dank einer gemeinsamen Bewirtschaftung dieser Infrastruktur hat sich das soziale Klima deutlich entspannt und verbessert”, bilanziert Huetov. Das Wasserleitungs-System reicht sogar aus, um auch das Nachbardorf Samahvalovo mitzuversorgen.

Der direkte Einbezug der lokalen Bevölkerung beim Verlegen der Leitungen, bei der Festlegung der Preise und beim Unterhalt des Systems hat das Verantwortungsgefühl gestärkt. Der Beitrag von 50 Rappen pro Monat für die Wasserversorgung erlaubt es dem Dorf zudem, einen kleinen Fonds zu äufnen.

“Auch wenn es wenig ist: Viele Tropfen ergeben irgendwann einen Ozean”, lacht Gemeindrätin Pakizée Kamusheva unter ihrem weissen Schleier.

Der Segen der neuen Wasserversorgung ist sichtbar: Vertrocknetes Land konnte in blühende Gemüse- und Obstgärten verwandelt werden.

Osman, der in der Zwischenzeit in die Krim-Kapitale Simferopol emigriert ist, hat einen Traum: Er will in sein Heimatdorf zurückkehren, wo ihm die Lebensqualität besser erscheint, als in der Stadt.

swissinfo, Luigi Jorio, Sevastyanovka, Krim
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

In der Autonomen Republik Krim (26’000 km2) leben ca. 2 Millionen Menschen aus 125 verschiedenen Ethnien.

Russen (58%), Ukrainer (24%) und Tataren (12%) bilden die Hauptgruppen.

Seit 1989 kehrten 260’000 Personen, die unter Stalin deportiert worden waren, auf die Krim zurück. Bei den meisten handelt es sich um Tataren.

Dieselbe Anzahl von Deportierten lebt bis heute in Zentralasien.

Die Krimtataren leben hauptsächlich von einer subsidiären Landwirtschaft.

Stalin hatte Tausende von Krimtataren für die angebliche Kollaboration mit Hitler deportieren lassen. Sie mussten zwangsweise in Sibirien und Zentralasien leben.

Während des Zwangsexils wurden Ländereien von Tataren (vor allem an der Küste des Schwarzen Meeres) durch russische Familien illegal enteignet.

Trotz der Perestrojka-Politik von Michail Gorbatschow konnten die Tataren auch nach 1989 häufig nicht in ihre alten Siedlungsgebiete zurückkehren. Stattdessen wurden sie auf der ganzen Halbinsel verteilt, meist in unwegsamen Gegenden ohne Wasser, Elektrizität und Gas.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft