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Wie wahrscheinlich ist ein schwarzer Oktober?

Reuters

Während 2009 die Rezession in der realen Wirtschaft zuschlug, liessen sich bei den Aktien wieder saftige Gewinne einstreichen. Zeigt sich in dieser Diskrepanz ein Ungleichgewicht, das in einem schwarzen Oktober enden könnte?

Färben sich die Blätter an den Bäumen golden, sehen viele Aktienbesitzer und –händler schwarz: Der Monat Oktober geniesst in Börsen-Kreisen keinen guten Ruf. Schon der Börsencrash von 1929, der die Weltwirtschaftskrise einleitete, fand im Oktober statt (“Schwarzer Donnerstag”).

1987, wiederum im Oktober, stürzte am “Schwarzen Montag” der Dow Jones vorübergehend um über 20% ab. Und 2008, ebenfalls im Oktober, verloren die Börsen im Rahmen der Finanzkrise ebenfalls bis zu 20%.

Kein anderer Monat ist börsenpsychologisch derart belastet: Von den 50 schlechtesten Börsentagen seit 1929 entfielen 16 auf einen Oktober-Tag (US-Aktienindex S&P 500).

Und 2009? Ein zwar bekanntes, aber dennoch auffälliges Ungleichgewicht zwischen Finanz- und Realmärkten hat das laufende Jahr geprägt: Einerseits haben sich nach dem Einbruch im letzten Jahr viele Aktienkurse seit Jahresbeginn stark erholt, nämlich um über 50% (US-Aktienindex S&P 500).

Andererseits bot sich in der Realwirtschaft das Bild einer Rezession: Sinkendes Bruttoinlandprodukt, auf einem Tief verharrende Kreditvergabe der Banken, Zunahme der Firmenkonkurse, der Arbeitslosigkeit und vor allem der öffentlichen Verschuldung.

Plausible Erklärungen

Kommt dazu, dass sich im September das Wachstum des Kursverlaufs abgeflacht hat. Zeichen für ein eventuelles Kippen Ende Oktober?

Die ökonomische Theorie hat eine plausible Erklärung für diese Diskrepanz: Anleger nähmen erwartete künftige Gewinne von Unternehmen bereits früh vorweg und kauften Wertpapiere. Das lasse deren Preise steigen, bevor das Bruttoinlandprodukt selbst wachse, sagt Yngve Abrahamsen von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) gegenüber swissinfo.ch .

Früher reagierte die Börse eher nach diesem Muster: Die Börsenkurse liefen also im Einklang mit der Konjunkturkurve, aber vorauseilend. Doch ist dieser Trend in den letzten Jahren einer zunehmenden Verselbständigung des Verlaufs der Finanzmärkte gewichen.

Brüchiges Eis?

Eher etwas skeptisch beschreibt Konrad Hummler, geschäftsführender Teilhaber der Bank Wegelin & Co., den Börsenaufschwung seit März “als enorm brüchiges Eis”(Anlagekommentar Oktober). Denn die Entwicklung der Kurse sei das eine, die Anzahl gehandelter Aktien das andere. Und da seien bisher “die Volumina klein und erst noch abnehmend”.

Alessandro Bee von der Bank Sarasin sieht überhaupt nicht schwarz für den Oktober. Er freut sich über den positiven Verlauf der so genannten vorauseilenden Konjunktur-Indikatoren, wie der Geschäftsreisen oder dem Verhalten der Einkaufsmanager: “Sicher ist das BIP in der Schweiz geschrumpft, aber nicht so stark wie befürchtet”, sagt er gegenüber swissinfo.ch .

Zumindest kurzfristig optimistisch

“Es zeichnet sich langsam ab, dass die Rezession zu Ende geht”, meint er. “Zumindest auf kurze Frist.” Mittelfristig gibt sich auch Bee dann weniger zuversichtlich. Der Konsum werde wohl wegen der noch zunehmenden Arbeitslosigkeit leiden. Und in den konjunkturell oft vorauseilenden USA kämen diesmal die Privatpersonen viel weniger gut an Konsum-Kredite heran als früher.

Walter Edelmann, Leiter Research Anlagestrategien bei der UBS, versteht zwar die Vorsicht oder gar Angst der Anleger: “Wir befinden uns in einem schwachen makroökomischen Umfeld”, sagt er gegenüber swissinfo.ch

Das Hauptrisiko sei ein möglicher Taucher der Weltwirtschaft. Andererseits gebe es gute Gründe, weshalb sich die Börse gut erholt habe: “Man hat sich vom Schreckens-Szenario des letzten Jahres erholt. 2009 gab es eine Erholungs-Rally, denn die Risiken sind eindeutig kleiner geworden.”

Doch ein Fragezeichen setzt auch Edelmann hinter die Entwicklung des Arbeitsmarkts. “Hier steckt uns die Rezession noch in den Knochen.”

Edelmann stellt aber klar: “Aktienkurs-Ausschläge nach unten könnten sich zwar einstellen. Jedoch sind die Kurse durch die Wirtschaftserholung gestützt und einen Stillstand oder gar eine Trendumkehr nach unten sollte dies nicht bedeuten.”

Auslandschweizer Zweckpessimist

An den Kapitalmärkten gibt es auch Zweckpessimisten. Der Auslandschweizer Crash-Börsenguru und als Skeptiker bekannte Marc Faber rechnet mit der Möglichkeit, dass die Aktienmärkte in der nächsten Zeit bis zu 20% fallen könnten.

Falls die Börse einen Rückfall erleiden sollte, rät Faber in einem Interview mit cash vom 5. Oktober zum Zukauf von Aktien. Das heisst, mittelfristig sieht der Schweizer Investmentprofi, der aus dem Norden Thailands Kundenvermögen von rund 300 Mio. Dollar verwaltet, jedenfalls bessere Aussichten.

Faber befindet sich in guter Gesellschaft: Der US-Ökonom Nouriel Roubini, der vor zwei Jahren die Finanzkrise korrekt vorausgesagt hatte, rechnet laut cash mit einem Rückgang bis ins Jahr 2010 hinein.

Marc Twain statt Marc Faber

Wie immer auch die Prognosen ausfallen, einer hat es schon im vorletzten Jahrhundert gewusst: Marc Twain, auch er ein Amerikaner, aber einer aus dem 19. Jahrhundert. Der Autor des Jugendklassikers “Tom Sawyer und Huckleberry Finn” spottete schon damals über den ‘Schwarzen Oktober’:

“Um mit Wertpapieren zu spekulieren, ist der Oktober einer der besonders gefährlichen Monate. Die anderen sind Juli, Januar, September, April, November, Mai, März, Juni, Dezember, August und Februar.”

Alexander Künzle, swissinfo.ch

BIP: Das Bruttoinlandprodukt misst den Wert aller erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen (Wertschöpfung) einer Volkswirtschaft und gilt als Indikator der Wirtschaftsleistung resp. des Wohlstands. Unbezahlte Leistungen, Umweltfolgen, Sozialprobleme und dergleichen bleiben dabei unberücksichtigt.

S&P 500: Standard & Poor’s 500 ist ein Aktienindex, der die Aktien von 500 der grössten, börsennotierten US-Unternehmen umfasst. Er gehört zu den meistbeachteten Indizes der Welt.

SMI: Der bedeutendste Aktienindex der Schweiz ist ein Blue-Chip-Index. Er bildet die 20 liquidesten und grössten börsennotierten Unternehmen in der Schweiz ab. Im SMI sind rund 90% der Marktkapitalisierung aller an der SWX Swiss Exchange kotierten Schweizer Titel enthalten.

Auch in den letzten 20 Jahren sind Finanzkrisen in der Folge von (Spekulations-)Blasen entstanden, nachdem diese platzten (Bubble Economy). Beispiele:

Japanische Blase (Immobilien-/Aktienblase, 2. Hälfte der 80er-Jahre): Es folgte für Japan ein “verlorenes Jahrzehnt”.

Südostasien-Blase (Asienkrise 1997/8): Ende des vorangegangenen südostasiatischen Wirtschaftswunders.

USA: New-Economy- oder Dotcom-Blase (2000). Durch die Verbreitung des Internets hatten Anleger überhöhte Gewinnerwartungen, IT-Unternehmen hatten wenig materielle Gegenwerte aufzuweisen.

USA/Europa: Immobilien-Blase ab Juni 2007 in den USA und teils in Europa (Kapitalmarkt-Papiere, Subprimes, die zu Schrott wurden).

Anfang Oktober hat der Internationale Währungsfonds (IWF) in einer Studie gezeigt, dass in den vergangenen 200 Jahren weltweit über 200 Bankenkrisen eintraten.

In den letzten 100 Jahren haben die grössten Bankenkrisen in den betroffenen Volkswirtschaften im Durchschnitt zu einer zwei Jahre dauernden Rezession geführt, bei einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5 bis 10%.

Oft jedoch dauerten solche Krisen viel länger.

swissinfo.ch

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