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Informationsaustausch: Die Musik der Zukunft wird Realität

Auch der AIA lässt noch Schlupflöcher offen. Keystone

Vor weniger als 3 Jahren entfachte bereits lautes Nachdenken darüber eine harsche Polemik. Jetzt hat die Schweiz den automatischen Informationsaustausch (AIA) faktisch beschlossen. Der Nationalrat hat dies mit einer satten Mehrheit getan, der Ständerat wird es aller Voraussicht nach im November tun. Doch mit dem AIA werden nicht alle Probleme gelöst.

“Ich bin positiv überrascht über die hohe Geschwindigkeit. Seit rund zwei Jahren haben die Schweizer Banken und auch die Politik begriffen, dass man die Paradigmen wechseln muss”, sagt Sergio RossiExterner Link, Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg, gegenüber swissinfo.ch.

Bereits vor Jahren bezeichnete Rossi den AIA als “Musik der Zukunft” und andere, damals von der Schweiz favorisierte Lösungen als bestenfalls “gekaufte Zeit”. Damals setzte die Schweiz auf eine Abgeltungssteuer, bei der die ausländischen Kunden anonym und das Bankgeheimnis gewahrt bleibt. Im Dezember 2012 bekräftigte der Bundesrat in seiner Finanzplatzstrategie, er wolle sich “mit aller Kraft” gegen den AIA einsetzen und mit den anderen Staaten Abgeltungssteuerabkommen abschliessen.

Bürgerliche Kehrtwende

Schweiz im OECD-Examen

Im März 2015 hat die OECD die Schweiz zur 2. Phase der Länderüberprüfung zugelassen. Damit endete eine Phase der Unsicherheit, denn der Schweiz drohten wegen Mängeln bei der Amtshilfe die Aufnahme auf einer schwarzen Liste der Steuerparadiese und ein damit verbundener Reputationsschaden.

In der ersten Phase überprüfte das Global Forum der OECD, ob die gesetzlichen Grundlagen der Schweiz den OECD-Normen für die Amtshilfe bei Steuerdelikten genügten.

In der 2. Phase überprüft das Global Forum die Praxis der Steueramtshilfe. Das Länderexamen bezieht sich auf die Praxis der Amtshilfe von Mitte 2012 bis Mitte 2015. Es hat vor wenigen Tagen begonnen und wird voraussichtlich im Sommer 2016 abgeschlossen.

Am Tag nach der Verabschiedung der Finanzplatzstrategie sagte Finanzministerin Eveline Widmer-SchlumpfExterner Link, man müsse über die Bedingungen nachdenken, zu denen die Schweiz eventuell Kundendaten austauschen könnte: “Diese Diskussion müssen wir führen.”

Die aus heutiger Sicht harmlose Aussage löste bei bürgerlichen Politikern und unter Bankern harsche Reaktionen aus. Kurzfassung: Die Magistratin habe schweizerische Werte verraten, spiele mit gezinkten Karten, falle dem Bundesrat in den Rücken und der Linken in die Arme, und das Dossier müsse ihr entzogen werden.

Inzwischen befürworten die Grossbanken, alle Kantonalbanken, die Privatbanken im Land, die bürgerlichen Parteien geschlossen den AIA. Einzige Ausnahme: die rechtsbürgerliche Volkspartei (SVP) lehnt ihn ab.

Leichtes Spiel der SVP

“Jetzt muss mal Schluss sein”, sagte Thomas Matter, Nationalrat und Bankenspezialist der SVP, in der Parlamentsdebatte. Er meinte damit die in den vergangenen Jahren erfolgte stufenweise Abschaffung des Bankgeheimnisses. Der AIA sei ein “völliges Unding” und widerspreche dem Staatsverständnis der SVP. Der Staat habe ohne Verdacht auf Delikte nichts in der Privatsphäre seiner Bürger zu suchen, sagte Matter, der auch die nach ihm benannte Volksinitiative, die das Bankgeheimnis im InlandExterner Link in der Verfassung verankern will, lanciert hat.

Amtshilfe auch bei gestohlenen Daten

Die Schweiz soll künftig auch auf Basis von gestohlenen Bankdaten Steueramtshilfe leisten. Das schlägt der Bundesrat vor.

Die Praxis der Schweiz sei von vielen Ländern sowie vom zuständigen Global Forum “in Frage gestellt” worden. Mit der Gesetzesänderung würde sich die Ausgangslage der Schweiz für die zweite Phase der Länderüberprüfung des Global Forums zur steuerlichen Amtshilfe verbessern.

Laut dem bundesrätlichen Vorschlag soll Amtshilfe nicht möglich sein, wenn ein Staat gestohlene Daten gekauft oder den Datendiebstahl in Auftrag gegeben hat. Dagegen soll die Schweiz neu auf Amtshilfegesuche eintreten, wenn ein ausländischer Staat Daten aus einem Diebstahl auf ordentlichem Amtshilfeweg erhalten oder öffentlich zugänglichen Quellen wie Medien entnommen hat.

Der bekannteste Fall ist Indien: Das Land hat von Frankreich Daten erhalten, die bei der HSBC in Genf entwendet worden waren. Inzwischen wurden Teile der Daten auch in den Medien veröffentlicht. Gestützt darauf richtete Indien zahlreiche Amtshilfegesuche an die Schweiz.

Der Bundesrat weist auch darauf hin, dass das Global Forum zwei ähnliche Fälle bereits beurteilt hat. Luxemburg erhielt unter anderem wegen des Umgangs mit Gesuchen auf Basis gestohlener Daten die Gesamtwertung “nicht konform”. Die Folgen seien nicht zu unterschätzen, warnt der Bundesrat. Eine solche Note biete anderen Staaten die Grundlage für schwarze Listen und wirtschaftliche Sanktionen.

Verschiedene Ratskollegen, auch solche aus dem bürgerlichen Lager, warfen der SVP vor, sie spiele mit ihrer Ablehnung ein leichtes Spiel, denn sie brüste sich damit, “die letzte Verteidigerin des Bankgeheimnisses zu sein”, obschon sie genau wisse, dass die Mehrheit den AIA gutheissen werde.

Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden

Dass selbst harte Verfechter des Bankgeheimnisses zuerst dessen stufenweiser Durchlöcherung (mehrmaliger Ausbau der Amtshilfe bei Steuerfragen) zugestimmt und jetzt dessen Ende definitiv besiegelt haben, ist auf die veränderten globalen Rahmenbedingungen zurückzuführen.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)Externer Link, der die meisten  Industrieländer angehören, hat in den vergangenen Jahren den Kampf gegen die Steuervermeidung intensiviert und ihre Standards verschärft. Der Finanzplatz Schweiz ist ohne globale Einbindung nicht überlebensfähig und deshalb gezwungen, sich OECD-konform zu verhalten. Auf dem Spiel stehe die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes. Wer der Wirtschaft nicht Schaden zufügen wolle, könne nicht gegen den AIA sein, sagte der freisinnige Nationalrat Ruedi Noser.

Nach dem Nationalrat wird im November der Ständerat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit den AIA gutheissen.

Gefahr der Schubladisierung

Wenn der Standard wie vorgesehen 2017 in Kraft tritt, dann müssen die Banken Kontendaten von Personen und Unternehmen, die in einem anderen Staat steuerpflichtig sind, den Schweizer Steuerbehörden melden. Diese leiten die Informationen periodisch an die ausländischen Steuerbehörden weiter. Dasselbe gilt für Schweizer, die Bankkonten im Ausland haben.

Kritiker monieren, das führe zu einer immensen Flut an auszutauschenden Daten, die von gewissen Staaten gar nicht verarbeitet werden können, und verursache hohe Kosten. Auch Sergio Rossi, der den AIA befürwortet, fürchtet, dass “die Kunden und die Mitarbeiter der Banken für die Kosten werden geradestehen müssen” und sagt mit Blick auf die hoch komplexen und teilweise undurchschaubaren Finanzströme und Konstrukte: “Man wird jene zur Rechenschaft ziehen, die relativ kleine Beträge am Fiskus vorbeigescheust haben, aber die Fälle der ganz grossen Steuerzahler wird man aufgrund der zu erwartenden Kosten, der komplizierten Prozeduren und des Risikos, sich zu täuschen, schubladisieren.”

Umstrittener “Swiss finish”

Zudem werde der AIA Steuerbetrug nicht umfassend verhindern können: “Klar, der Handlungsspielraum wird eingeengt, aber es wird schon wegen den weiterhin existierenden Steuerparadiesen auf der Welt nicht möglich sein, alle denkbaren Finanzkonstrukte zu erfassen.”

Darum will der Bundesrat die Sorgfaltspflicht für die Banken verschärfen und so den Zufluss von unversteuerten Vermögen verhindern. Konkret sollen die strengeren Regeln für alle Kunden aus jenen Ländern gelten, mit denen die Schweiz keine AIA-Abkommen hat.

Die erhöhten Sorgfaltspflichten kommen noch im September ins Parlament und stossen auf Widerstand. Die vorberatende Kommission des Nationalrats lehnt den so genannten “Swiss finish” als unnötig und bürokratisch ab. Es bestehe zudem kein internationaler Druck, die Regeln zu verschärfen. “Die Banker werden versuchen, das Ansinnen des Bundesrats zu verhindern”, sagt Rossi. Wenn aber künftig unversteuerte Gelder ausländischer Kunden entdeckt werden, dann habe das für die Kunden “schwerwiegende Konsequenzen”, und für die Banken stellten sie ein “grosses Reputationsrisiko” dar.

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